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Kommentar Linke und der MauerbauDer Fluch des Pop-Stalinismus

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Niemand hat die Absicht, die Mauer zu rechtfertigen. Aber irgendwer in der Linkspartei macht es dann doch immer.

N ein, die Linkspartei/PDS hat das Thema Mauer nicht verdrängt: Historische Kommissionen haben getagt, Parteitage haben kritische Erklärungen verabschiedet, Spitzenpolitiker wie Petra Pau haben sie klar verurteilt. Trotzdem wird die Partei das Thema nicht los – und zwar nicht, wie manche unterstellen, weil böswillige Medien das so wollen. Das Problem ist hausgemacht.

Parteichefin Gesine Lötzsch etwa klingt auch 20 Jahre nach Mauerfall noch immer verdruckst und ausweichend. Provinzpolitiker weisen theatralisch auf die kriegslüsterne Nato hin, die 1961 den Mauerbau leider alternativlos gemacht habe. Und das Fundi-Kampfblatt junge welt feierte die Mauer sogar mit dem Slogan "Danke für 28 Jahre Friedenssicherung" – mit dieser Art Pop-Stalinismus hat sich die Zeitung als Flügelblatt der Linkspartei etabliert, das auch bei Lafontaine-Anhängern goutiert wird. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu rechtfertigen – aber irgendwer macht es dann doch immer.

Die Linkspartei als Ganzes ist nicht dazu imstande, die Mauer kristallklar zu verurteilen. Denn wer akzeptiert, dass die SED 1961 nicht nobel den Weltfrieden, sondern panisch und gewaltsam nur ihre schwindende Macht rettete, der zweifelt auch, ob die DDR als Ganzes legitim war. Und das wäre für die Linkspartei dann doch zu viel der historischen Selbstkritik.

taz
STEFAN REINECKE

ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.

Die Linkspartei ist keine totalitäre Gefahr, wie manche CSU-Politiker glauben machen wollen. Im Alltag hat sie sich als berechenbare, linkssozialdemokratische Partei erwiesen. Und sie hat einen moralischen Bonus, weil sie sich für die abgekoppelten Unterschichten engagiert, die von Rot-Grün lange vergessen wurden.

Doch mit ihrer Unfähigkeit, einen klaren Trennungsstrich zu den Diktatur-Fans in den eigenen Reihen zu ziehen, läuft sie Gefahr, dieses moralisches Kapital zu verspielen. So wird sie ihre Anziehungskraft auf das rot-grüne Milieu verlieren. Und irgendwann in der Bedeutungslosigkeit versinken.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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15 Kommentare

 / 
  • D
    Dylan

    @grafinger

     

    Danke für die Info. Das wusste ich nicht:

    "So lieferte die DDR zwölf Jagdflugzeuge vom Typ MiG-21 an Syrien. Die Maschinen wurden zerlegt nach Aleppo transportiert, vor Ort von NVA–Angehörigen montiert und eingeflogen." (Oktober 1973)

     

    Ja, das nennt man wohl Kriegsbeteiligung.

  • JB
    Jan B.

    Hahaha, Pop-Stalinsismus! Zumindest hat dieser Kommentar meinen Wortschatz bereichert!

     

    Ansonsten - wie hier ja bereits erwahnt wurde - der uebliche Mist. Interessant finde ich es ja, dass gerade die Linken die sich die Parole "Freiheit" auf die Fahnen geschrieben haben, eine "Trennung" (?) von einer parteiunabhaengigen Tageszeitung fordern, weil sie mit einer sicherlich geschmacklosen Provokation nicht die Parteilinie vertreten hat (zu der sie ja auch keine offizielle Bindung hat). Natuerlich verbunden mit dem paradoxen Wunsch, eine moderne pluralistische linke Partei dadurch zu schaffen, indem man einfach alle stoerenden und differenten Elemente ausschliesst.

     

    Was kuemmert mich die Mauer? Sie war weniger als die ach so armen deutschen Opfer nach Massenmord und Rassenkrieg verdient haetten. Ihre historische Legitimitaet beziehen naemlich Teilung, Mauer und DDR aus dem Weltenbrand der zuvor von Deutschland und damit vor allem von den Deutschen entfacht wurde.

     

    Und was kuemmert mich die Mauer, wenn derzeit 10 mal so viele Menschen jedes Jahr an der Grenze zur Festung Europa sterben, die aus den gleichen Gruenden dicht gemacht wurde, wie damals die der DDR - naemlich aus wirtschaftlichen udn sicherheitspolitischen Interessen.

     

    Folgenden Kommentar fand ich so gut, dass ich ihn einfach mal zitieren moechte:

     

    "Falls Euch nicht Neues einfällt: Verlangt doch mal von den Grünen eine Distanzierung vom "Einsatz" in Afghanistan.

    Dort hat es bei einem Angriff, befohlen von einem deutschen Offzier, mehr Tote gegeben als in 28 Jahren Mauer. "

  • G
    Gottfried

    Ich hätte mir eine Linke gewünscht, die deutlich und klar sagt: keine Mauern, kein Stacheldraht, keine Schikane an den Checkpoints, kein Schießbefehl, weder gestern noch heute. Mister Netanjahu, tear down this wall!

  • H
    Harald

    Mit ihren 28 "Ja" hat die "Junge Welt" eine Steilvorlage für Kabarettisten geliefert.

    Der Zynismus ist derart dumm, daß man schon wieder lachen muss.

     

    Insgesamt ist "Die Linke" eine nicht wählbare Enttäuschung. Was in anderen Parteien ähnlich ist, tritt hier besonders krass zutage. Man hält sich eine sehr kleine, telegene Führungsschicht, aus der durchaus gute Ansätze für politisches Handeln kommt. Aber direkt dahinter ist schon Schluss. Was folgt sind Kader vom widerwärtigsten: ewig gestrige und unbelehrbare Linksfaschisten.

     

    Die anderen Parteien sind zwar anders, nur eben nicht besser. Der politische Preis, den man für seine Stimme zahlt, ist mir persönlich schmerzhaft zu groß.

     

    Mit SPDCDUFDP wähle ich die neoliberale Herrschaft, bloß unterschiedlich verpackt. Blieben die Grünen. Doch diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, Rechtspopulisten und Rechtsfaschisten der ganz üblen Sorte mit ihrer religiös verbrämten Herrschaftsideologie, zu einem Staat im Staate zu verhelfen.

  • K
    Kommentator

    Klasse Kommentar, Herr Reinecke!

     

    Gute Forderung und erschreckend, dass sie nicht alle

    unterschreiben wollen in der "Linken".

     

    Besonders auch die Einschätzung der Partei als

    linkssozialdemokratisch und die Entfernung der SPD und Grünen von ihrer (eigentlichen) Wahlklientel ist eine selten so offen ausgesprochene Wahrheit.

     

    Bescheid wissen und mutig sein, sind die zwei nötigen Dimensionen guten Journalismus!

  • KP
    Karl-Anton Plass

    Was bei der Gründung de PDS noch Konsenz war, "nie wieder sozialismus ohne freiheit" haben die ewig Gestrigen, die interessanterweise großteils aus dem Westen kommen, mutwillig in Frage gestellt. Dabei handelt es sich um Leute, die RAF Terroristen zum Plausch auf Podiumsdiskussionen einladen, offen mit der Hamas sympatisieren, mal eben zur Fortbildung nach Nordkorea pilgern und Kritik an Israel mit Antisemitismus vertauschen.

    Wenn die junge Linke sich nicht von solchen Leuten und von deren Hetzblättern (junge welt)konsequent trennt, wird sie wieder im 0,5% Keller enden. Wo sie dann auch hingehört! Auch die Zeiten als Volkspartei im Osten sind dann Geschichte!

     

    Karl-Anton Plass

  • M
    Magdaa

    Vielleicht kann man mal, trotz der geforderten Glaubensbekennntnissen in der Mauerfrage, konzedieren, dass Beides zu jener Zeit eine Rolle gespielt hat: Konsolidierung der DDR und Stabilisierung der angespannten Weltlage.

     

    Aber offensichtlich geht der Eingang zum Mainstream nur über solche Gretchenbekenntnisse. Und ich glaube nach wie vor, dass das unhistorisch ist.

  • HK
    Henner Kroeper

    Ohne den II. Weltkrieg hätte es keine Mauer gegeben.

    Wer hat den II. Weltkrieg angefangen?

    Schuld ist natürlich, von Deutscher Seite aus gesehen, der oder die, die den Krieg gewonnen haben.

  • C
    C.Antonius

    Ich habe mit linken Grünen und linken SPDlern gesprochen, die nichts gegen eine glaubwürdige, stärkere Linkspartei hätten, um soziale Themen in der Öffentlichkeit viel stärker als bisher zu verankern.

    In dem Sinne würde eine von Altlasten befreite Linkspartei das Geschäft beleben; progressive Koalitionen wären möglich.

    Diese Chance wurde gründlich mit 'Wege zum Kommunismus' beerdigt. Die DDR ist lange vor der Mauer ausgeblutet - das Brecht-Zitat für die SED-Bonzen - "dann wählt euch doch ein anderes Volk" - fiel lange vorher. Die größte Belastung für die DDR waren nicht die Reparationszahlungen an die Sowjetunion, sondern die Eroberung der sowjet. Besatzungszone durch eine kleine politische Minderheit, durch Kader wie Ulbricht, die in Moskau überwintert hatten und nun zuhause Sozialdemokraten und Christen in Lager steckten, die die Sowjets von den Nazis übernommen hatten. Und später kam die Niederschlagung des 17. Juni-Aufstands hinzu.

    Die Grünen (erst recht die alte Tante SPD) brauchen Druck von der Basis und von einer Linkspartei - deshalb ist es umso bedauerlicher, dass sich 'die Linke' nicht von ihren Sektierern und Nostalgikern befreien kann.

  • DW
    Damals wars

    "Doch mit ihrer Unfähigkeit, einen klaren Trennungsstrich zu den Diktatur-Fans in den eigenen Reihen zu ziehen, läuft sie Gefahr, dieses moralisches Kapital zu verspielen. So wird sie ihre Anziehungskraft auf das rot-grüne Milieu verlieren. Und irgendwann in der Bedeutungslosigkeit versinken."

     

    Das erzählen die Journalisten nun schon seit 20 Jahren.

    Und verlangen seit 20 Jahren eine Distanzierung.

     

    Falls Euch nicht Neues einfällt: Verlangt doch mal von den Grünen eine Distanzierung vom "Einsatz" in Afghanistan.

    Dort hat es bei einem Angriff, befohlen von einem deutschen Offzier, mehr Tote gegeben als in 28 Jahren Mauer.

    Die ,den Ostdeutschen sei Dank (nur zur Erinnerung), vor 20 Jahren gefallen ist.

  • T
    taztest

    Ein ausgezeichneter Kommentar, Gratulation!

  • H
    hannes

    Ich glaube, der Kommentator verkennt den Spagat, zu dem "die Linke" sich genötigt sieht: Sie ist immer noch auch die Partei der (langsam aussterbenden) ehemaligen DDR-Funktionäre, jedenfalls derer, die anders als z.B. Frau Pieper von der FDP udn Herr Althaus von der CDU, im neuen Staat nicht mehr als Funktionäre weitermachen konnten. Diesen Leuten kann die Linkspartei nicht einfach erzählen, die DDR sei als Ganze illegitim gewesen. Es sind immerhin treue und zahlende Mitglieder, auf die die Partei immer noch angewiesen ist.

    Das weiß natürlich auch die bürgerliche Presse, weshalb ihre Vertereter Linkspartei-Politikern in schöner Regelmäßigkeit Stellungnahmen zu DDR und Mauer zu entlocken versuchen. Dann hat man wieder einen Aufreger und alle zücken die DDR-Keule.

     

    Mir persönlich ist die DDR wirklich scheißegal, ich habe sie nie auch nur von Weitem gesehen. Gern angestellte Vergleiche der DDR mit der NS-Zeit halte ich trotzdem für völlig schwachsinnig, und rein polemisch motiviert.

    Zum Teufel mit der Geschichtspolitik - Mich interessiert das Hier und das Jetzt: Der Umgang mit Banken- und Finanzkrise, die Sozialpolitik, der Mindestlohn, die Abwendung weiterer Privatisierungen, die die Lage für Kunden und Beschäftigte verschlechtern, die Eindämmung des Lobbyismus etc. pp. Dafür ist die Linke nun einmal (leider?) unverzichtbar. Von SPD und Grünen ist da ncihts mehr zu erwarten!

  • KV
    Knud Vöcking

    Da kann ich als Mitglied der LINKEN nur 100% zustimmen.

  • N
    nahab

    Keine Frage, mit dem Hintergrund ihrer Vergangenheit und ihrer (fuer alle etablierten Parteien unangenehmen) politischen Position, muss es der Linkspartei gelingen sich medial verstaendlicher und sinnvoller zu presentieren.

    Und wohl handelt es sich um boeswillige Medien; nicht weil sie die Linkspartei attackieren. Nein, weil 22 Jahre nach dem Mauerfall mehr denn je die

    Geschichte vom Gewinner geschrieben wird. Wie waere sie geschrieben worden, waere der Sozialismus uebriggeblieben..., das noetige Bollwerk gegen den Imperialismus, Spione, kapitalistische Verheissungen, ein Bollwerk fuer den Frieden...

    Statt dessen lesen wir von der Einkerkerung millionen unschuldiger Menschen, die forcierte Trennung von Familien und natuerlich hunderten von Toten, erschossen bei dem Versuch sie zu ueberwinden. Wir sehen Dokumentationen ueber Ulbrichts Reisen in die Sowjetunion, Plaene schmiedent fuer den eisernen Vorhang. Wir applaudieren den Bildern, auf denen Volkspolizisten die Waffe niederlegen um ueber den Stacheldraht zu springen.

    Damit kann man Emotionen aufpeitschen, die naechste Mauer - und sie werden weltweit gebaut (Mexico, Israel, Griechenland)- verhindert man damit nicht...

  • G
    grafinger

    Ach ja, die "Journalisten" der "Jungen Welt" wieder mal.

    Auch bei diesen muss die fanatische Ideologie fehlendes Wissen oder wenigstens die Fähigkeit zu einigermaßen geschicktem lügen ersetzen.

    Sie bedanken sich "für 28 Jahre ohne Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegseinsätzen" und "vergessen" die Beteiligung der DDR am als Vernichtungskrieg gegen Israel geplanten Jom-Kippur-Krieg 1973. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Badr abgerufen am 14.08.11)