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Kommentar GamescomZeit verschwenden? Aber immer!

Maik Söhler
Kommentar von Maik Söhler

Die Gamescom, Europas größte Messe für digitale Spiele, ist eröffnet. Ein guter Anlass, um den Eskapismus zu loben und mal hemmungslos unproduktiv zu sein.

Egal wo, Hauptsache spielen: Besucher der Gamescom 2010. Bild: reuters

B ERLIN taz Wieviele Arbeitsplätze schafft die Spielebranche? Wie sind ihre Umsatzzahlen? In welche Richtung entwickeln sich die Konsolen, PCs, Smartphones? Es gibt viele Fragen, die dieser Tage zur Gamescom in Köln gestellt werden.

Nur eine wird häufig ausgespart: Was sind das für Menschen, die sich für die Gamescom eine Dauerkarte sichern? Oder einfacher gefragt: Wie ticken all diese Spieler eigentlich? Die naheliegende Antwort lautet: jeder anders.

Und doch gibt es etwas, dass viele Spieler verbindet. Sie wollen kurz mal raus aus den Mühlen des Alltags, sie fliehen für Stunden vor Job, Uni, Familie, WG und suchen sich eine Welt, in der sie das anspruchsvolle soziale Multitasking zugunsten des schlichten Multitasking am Controller oder an der Tastatur hinter sich lassen.

Sie wollen spielen, sonst nichts. Für eine bestimmte Zeitspanne sich wieder wie ein Kind verhalten, die Umgebung ausblenden, nicht auf Minuten, Stunden, Terminpläne und Erinnerungsmails achten, nicht effizient sein, mit ihren Ressourcen nicht haushalten, sondern sie zweckfrei verschwenden. Digitale Spiele und Eskapismus gehören zusammen wie Lara Croft und ihre Schusswaffe.

Zeitverschwendung

Viele Eltern werfen ihren Kindern ärgerlich vor, die Beschäftigung mit Computer- und Videospielen sei reine Zeitverschwendung. Sie haben Recht. Digitale Spiele mögen so manchen Kollateralnutzen haben - Fingerfertigkeit, verbesserte Reaktionszeiten, Einübung von Rollen etc. -, im Kern aber sind sie digitale Zeitvernichter.

Maik Söhler

(41) ist Chef vom Dienst bei taz.de.

Das ist gut, denn das ach so häufig formatierte Leben bietet nicht mehr viele Bereiche, in denen man einfach mal hemmungslos das Hamsterrad verlassen, sich ausklinken, Vergnügen und Spaß an etwas haben kann, das einen selbst, den Arbeitgeber, die Gesellschaft oder den Staat kaum weiterbringt.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Mit einer Flucht wird nichts besser. Gesellschaftliche Zustände, denen man entflieht, sind nach der Rückkehr ebenso schwierig, komplex und unerträglich wie zuvor. Wer aus einer gewalttätigen Gesellschaft in die heimelige Pixelwelt der "Sims" flieht, wird nach dem letzten Level genauso in die Realität zurückgeworfen wie der, der sich aus einer friedlichen Welt freiwillig in Kriegsspiele stürzt.

Das gilt auch für Menschen, die sich ihre Spiele bewusst für einen Rollenwechsel aussuchen: die Bankangestellte, die abends in "World of Warcraft" als harte Fantasy-Kämpferin agiert, den Künstler, der in der Mittagspause den "Bagger-Simulator" anwirft. Zeitweilig abgeschaltet aber haben all diese Spieler, eine andere Welt war möglich.

Unproduktiv sein

Der Trend der späten nuller Jahre, selbst beim Spielen noch wahnsinnig produktiv zu sein, ist vorbei. Manche Sportspiele für Nintendos Konsole "Wii" und vor allem die Gymnastik- und Fitness-Software der "Wii Fit" hatten ihre Zeit und haben ihren Beitrag zur biopolitischen "Optimierung" von Körper und Geist geleistet.

Auch Microsofts Kinect, die Bewegungssteuerung für die Xbox, beherrscht jene Spiele, in denen Training und Sport die individuelle Leistung selbst noch an der Spielkonsole steigern sollen. Doch der Trend geht längst anderswohin. Mit den Smartphone- und rechnerbasierten Online-Games kehrt das schnelle, körperlich anspruchslose Spiel zurück. Und mit ihm der Drang, wieder vermehrt unproduktiv zu sein.

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Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
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12 Kommentare

 / 
  • M
    Marcus

    @Lars

     

    Deine Verteidigungshaltung und Dein Bedürfnis, um jeden Preis einen Mehrwert voranzustellen, deuten darauf hin, dass Du Dir selbst den Spaß am Spiel nicht gönnen kannst. Dies bedaure und bemitleide ich.

     

    Ich persönlich sehe es nicht ein, mich rechtfertigen zu müssen für etwas, an dem ich Spaß habe, nur weil es von vielen noch als Zeitverschwendung angesehen wird.

     

    Auf den Rest Deines Rumgetrolles will ich hier nicht eingehen.

  • L
    Lars

    @marcus

    Ganz recht. In meinem Umfeld als Softwareentwickler wird mein Hobby (Iltisjagd) nicht anerkannt. Danke für Dein Beileid.

     

    Wenn Du es unnötig findest den Mehrwert von Spielen zu debattieren, dann geh ruhig. Denn genau dieser "unwichtige" Umstand bringt Menschen dazu Spiele zu spielen.

     

    Du "Zockst weil du magst, Punkt."

    Wow, so exakt hast Du Dich also mit dem Thema auseinander gesetzt. Das wird mir zu komplex, sorry.

     

    @rudilf

    klar und gradlinig mag der text ja sein, aber halt auch weitestgehend falsch, verallgemeinernd und plump.

     

    Es fängt an bei der willkürlichen Einteilung in Spiele und digitale Spiele, wobei zweitere natürlich schlecht sind und bestenfalls marginale Pluspunkte aufweisen.

    Am Computer Schach spielen ist also Zeitverschwendung und am Brett spielen schult den Geist?

     

    Wie wichtig Spielen für das Lernverhalten von Menschen ist, sollte eigentlich klar sein.

    Zu behaupten, das sei "reine Zeitverschwendung" weil die Spiele plötzlich digitale Formen annehmen, entbehrt jeder Logik.

     

    Dann versucht er Spielerverhalten zu beleuchten, hat aber leider keine Ahnung, und denkt sich stattdessen lustige Beispiele aus.

     

    Gekrönt wird das ganze dann noch von einem anscheinend recht simplen Produktivitätsverständnis.

     

    Wenn das für Dich einen schönen Text ergibt, dann bitte.

  • R
    Rudolf

    Schöner Text.

     

    Ein weiterer interessanter Aspekt ist, dass es in Spielwelten im Normalfall ein klares (da algorithmisch definiertes) Regelwerk gibt, das vielleicht nicht wenige Menschen in ihrem Alltag vermissen. Im echten Leben geht es längst nicht immer so gerecht zu wie im Spiel. Letzteres ist dann zwar manchmal hart und frustrierend, aber eben doch fair.

     

    Was den Kommentar von "Lars" betrifft: Beeindruckend, wie man diesen wirklich klaren und geradlinigen Artikel derartig missverstehen kann. Schäm dich.

  • MT
    Miaowara Tomokato

    Wie oft muss ich mir das auch anhören: Eines meiner liebsten Hobbies ist Zeitverschwendung? Kommt leider immer von denselben Langweilern, die, darauf angesprochen, nicht mehr als 1, seltenst 2 Interessen vorzuweisen haben und sonst mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen. Wohingegen ich Ihnen spontan gleich mind. 5 an den Kopf werfen kann. Und für mind. 2 davon muss man seine 4 Wände schonmal verlassen.

  • CM
    Cmdr. Marcus Shepard

    Sehr schöner Artikel!

     

    @Lars - Dein Beissreflex klingt sehr danach, als wäre Dein Hobby in Deinem Umfeld nicht anerkannt, dazu mein Beileid.

     

    Ich finde es vollkommen unnötig, irgendeinen Mehrwert von Spielen zu betonen. Ich Zocke, weil ich es mag, Punkt. Dass es gesellschaftlich anerkannter ist, sich allabendlich mit Assi-TV zuzudröhnen, ist schade, aber nicht mein Problem.

    Also mal locker bleiben, nich alles so ernst nehmen und ne Runde Zen Bound 2 spielen.

  • J
    Jörg

    Was hier zumindest zwei Leute nicht verstanden haben: Es geht im Kommentar um Eskapismus und darum, dass dieser vollkommen in Ordnung ist. Klar, auch mit Film und Buch kann man der Realität entfliehen und dabei Zeit verschwenden, verschleudern, vergeuden.

     

    Jeder Spieler kann dabei ein anderes Motiv haben und Eines davon kann Entspannung oder "Zeitverschwendung" sein. Dass man dies als Vorwurf auffasst, zeigt doch nur wie negativ der Begriff besetzt ist und wie wichtig es heute scheint, das Gut Zeit nicht zu verschwenden. Aber auch dabei hat man seine Zeit genutzt, mehr oder weniger sinnvoll. Das liegt doch immer im Auge des Betrachters.

     

    Also entspannt euch mal und verschwendet weiter eure Zeit!

  • S
    Smörf

    Schöner Artikel :)

  • L
    Lars

    Sehr geehrter Herr Söhler,

     

    leider offenbart sich beim Lesen des Artikels, dass sie kaum Sachverstand bei diesem Thema haben.

     

    Statt Spiele plump als Zeitverschwendung zu beschreiben, wäre es einen Artikel wert gewesen, zu beleuchten warum Spiele und insbesondere MMO-Spiele so erfolgreich sind.

     

    Es hat unter anderem damit zu tun, dass Menschen in Spielen Selbständigkeit, Komplexität des Handelns und Zusammenhang zwischen Leistung und Belohnung erleben, die im realen "Arbeits"leben immer weniger vorkommen.

     

    Ferner scheinen sie nicht zu wissen, wie man das Wort Produktivität anders definiert als im kapitalistischen Sinne, ansonsten würden sie spielen nicht als unproduktiv bezeichnen.

     

     

    p.s. zu behaupten, dass Spieler nicht effizient sein wollen, mit ihren Ressourcen nicht haushalten wollen, sondern sie zweckfrei verschwenden wollen ist eine einfach nur dumme Behauptung und entlarvt ihre mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Thema.

  • BN
    Beleidigter Nerd

    Der ganze Beitrag nehm ich persönlich irgendwie ziemlich beleidigend auf :(

    Ich nehme an,oder hoffe zumindenst,das es nicht so gemeint ist,aber hier steht umgeschrieben nichts anderes,als das alle Games Zeitverschwendung sind.

    Immer wieder wird "uns" vorgeworfen,wir würden damit unsere Zeit verschwenden,und das Konsolenspiele und co. nur für Kids sind.

    Sind Filme,bei denen man 2 Stunden nur sitzt den nicht auch Zeitverschwendung?Oder Bücher?Oder was ist mit dem achsotollen Facebook?

  • TU
    The User

    Bei so Sachen halte ich den Begriff „Dork“ für wesentlich passender als den Begriff „Nerd“, letzterer hat für viele Leute eine ganz andere Bedeutung als das Spielen komischer Spiele.

  • O
    opacity

    Zitat:

    "... im Kern aber sind sie [die Computerspiele] digitale Zeitvernichter ..."

     

    Was bitteschön sind denn: "digitale Zeitvernichter"?

     

    Wird da *digital* Zeit vernichtet? Wie geht das? Meint das, man "vernichtet" *diskret* Zeit, schrittweise? Also nicht analog, kontinuierlich die Zeit verlieren, sondern diskret, zu festgelegten Zeitpunkten (digital meint nunmal diskret)? Ich höre schon die Glocke: "Dong" wieder Zeit vernichtet, "Dong" nochmal, "Dong" usw.

     

    Oder meinte man "Digitalzeit"-Vernichter?

     

    Zitat:

    "Wer aus einer gewalttätigen Gesellschaft in die heimelige Pixelwelt der 'Sims' flieht, wird nach dem letzten Level genauso in die Realität zurückgeworfen wie der, der sich aus einer friedlichen Welt freiwillig in Kriegsspiele stürzt."

     

    Ich gebe ja zu, dass ich "Die Sims" nur in der ersten Fassung gespielt habe, aber was war bei den Sims nochmal der *letzte Level*?

     

    Der Ansatz im Artikel auf Spieler einzugehen gefällt mir. Bezogen auf das zweite Zitat gefällt mir die Art und Weise wie mit platten Vorstellungen gespielt wird ("gewaltätige Gesellschaft" -> "heimelige Pixelwelt der Sims"). Kein grobes Draufgehaue, mit der "Killerspiel-Keule", dennoch kritisch!

     

    Aber leider wurde meiner Auffassung nach bei einigen der "Schlagworte" sauber daneben gegriffen ("formatiertes Leben"). Das erinnert mich stark an Sozialarbeiter, die sich in Jugendsprech versuchen. Es ist einfach furchtbar!

  • T
    Thomas

    Laßt die "Nerd"-Spiele beginnen....