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Nur zugerichtete Körper

Er sucht das psychologisch Aufgeladene, das unter der Oberfläche des Alltäglichen lauert. Markus Schinwalds „Korridor der Unsicherheiten“ in der Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst in Münster

VON MARCUS TERMEER

„Der Mensch kann gedacht werden als einer, der in einem Körper lebt“, sagt Markus Schinwald. Nach Arbeiten für das Kölner Museum für angewandte Kunst, die 50. Biennale Venedig oder die Manifesta 5 in San Sebastian hat der 32-jährige Österreicher einen L-förmigen „Korridor der Unsicherheiten“ für die Ausstellungshalle zeitgenössische Kunst in Münster entworfen. Schinwald geht es um die dialektischen Prozesse von Körper und Geist, Lust und Angst, Begehren und Hemmung, innen und außen.

Außen entfaltet der Korridor das Panorama einer Waldlandschaft der Romantik. Per digitalem Zoom bearbeitet, werden die Motive immer ungegenständlicher, auch zur Abstraktion eines sentimentalen Naturgefühls. In drei der vier Eingangspforten sind bewegliche Schaukeln eingebaut, die zugleich für strenge Fixierung und Spielerisches, aber auch Schwindelerregendes stehen. Zwei Schaukeln sind in gleichförmige Bewegung versetzt, auf ihnen sitzt ein Marionetten-Paar. Die weibliche ist eine viktorianische Version von Fragonards schaukelnder „Madame“, deren fetischisierter hochhackiger Stiefel im Rhythmus gegen die Schwelle stößt. Ihr männliches Pendant, der stehende Wächter hält sich dagegen „verstohlen“ fest.

Innen besteht der Boden aus einem mit dickem Schaumstoff unterlegtem Teppich. So verwandelt sich das Gehen ins Marionettenhafte, in physische Hemmungen, zugleich in eine Art Zwangs-Choreographie. Vorbei geht es an einer „Ahnengalerie“ aus Biedermeierporträts, männlichen und weiblichen Gesichtern, denen in so genannter „unechter Restauration“ einige „Prothesen für unbestimmte Fälle“ angepasst wurden: Objekte aus Schmuck, Therapie- oder Verbandsmaterial und Fetisch.

Am Ende des Korridors können die BesucherInnen selbst in einer Schaukel Platz nehmen. Gegenüber läuft das Video „1st Part Conditional“, ein Film über den „Wenn-Fall“, über physische Äquivalente intensiver psychischer Zustände einer Frau und ihres starren Beobachters, die sich als „theatralische Inszenierungen“ auch auf die Möbel übertragen. Schinwald thematisiert die Wiederkehr des Verdrängten als Fetisch (prothetische Erweiterung), „Hysterie“ oder als das Unheimliche, das im scheinbar gesicherten Alltag lauert. Seine Phänomenologie eingeengter Körperlichkeiten entfaltet ein Geflecht von Bezugsrahmen. Sie bedient sich des Repertoires der klassischen Psychoanalyse in eigener Version, die die Verhältnisse der Jetztzeit im Visuellen des 19. Jahrhunderts spiegeln.

Bis 8. Januar 2006Infos: 0251-6744675

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