Filmgeschichte im Norden: Die Heide verliert ihr Hollywood

Die Filmstudios in Bendestorf machten das kleine Dorf in den 1950er Jahren zu einem Zentrum des deutschen Films. Ein Besuch des Ortes, an dem unter anderem "Die Sünderin" gedreht wurde und dessen Abriss bereits beschlossene Sache ist.

Bald weg: Das Filmstudio Bendestorf in der Lüneburger Heide. Bild: Ulrike Schmidt

HAMBURG taz | Dafür, dass in dem 2.000-Seelen-Örtchen Bendestorf alles etwas langsamer geht als im 30 Kilometer entfernten Hamburg, sorgen schon die Bodenwellen in der Hauptstraße. Menschen sieht man an einem Werktag-Vormittag kaum, dafür gibt es frei stehende Häuser, Kopfsteinpflaster und hölzerne Straßenschilder, auf denen die Straßennamen in Fraktur-Schrift stehen. Am Rand des Ortes befindet sich das Filmstudio Bendestorf. Auf dem Gelände bröckeln die Gebäudemauern und auf den Dächern breitet sich Moos aus. Es liegt eine gewisse Melancholie über dem Ort in der Lüneburger Heide, der einst als "Heide-Hollywood" Filmgeschichte schrieb.

Das Filmstudio Bendestorf war in den 1950er und 1960er Jahren ein Zentrum des deutschen Films. Filme wie "Die Sünderin" mit Hildegard Knef und "Ave Maria" mit Zarah Leander wurden in Bendestorf gedreht. Bald wird das Studio nur noch in der Erinnerung fortleben: Der Abriss ist beschlossene Sache. Auf dem Gelände sollen 30 Wohnungen gebaut werden. Diesen Samstag werden noch einmal die Scheinwerfer angeschaltet. Die Country-Band Truck Stop, die einen großen Teil ihrer Platten in dem an die Filmstudios angrenzenden Tonstudio aufgenommen hat, wird ein Abschiedskonzert geben.

Die Bühne wird sich im Studio A3 befinden, dem über 900 Quadratmeter großen Herzstück des Geländes. Beim Betreten der Halle erinnert nichts mehr an die vergangenen Tage. Kein Gegenstand, keine Poster, nur leere Fläche und sehr hohe Decken. Hans-Joachim Fink, der Besitzer der Filmstudios, trägt Jeans und Polo-Shirt und lässt seinen Blick durch die Halle schweifen. "Bereits seit zehn Jahren ist mir klar, dass wir uns auf Dauer nicht halten können. Die Studios sind veraltet, wir wurden von der Konkurrenz überholt", sagt er. Der Verkauf ist für ihn eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Zugleich verbindet er wesentlich mehr mit den alten Gemäuern, als nur Geld.

Finks Großvater Horst-Reinold hatte das Studiogelände 1950 gekauft. "Mein Großvater hat die Studios zu einem magischen Ort werden lassen. Und das ganze Dorf war dabei. Jeder Bendestorfer hat in den goldenen Zeiten in irgendeiner Form mit den Filmstudios zu tun gehabt."

Die großen Zeiten, das waren insbesondere die 1950er und 1960er Jahre. Der Filmproduzent und Ufa-Drehbuchautor Rolf Meyer kam 1945 nach Bendestorf. Er hatte die Vision von einem cineastischen Wiederaufbau nach dem Krieg und wollte diesen unweit einer Großstadt in der britischen Besatzungszone verwirklichen. Am 1. April 1947 erhielt Meyer die britische Lizenz zur Gründung einer Filmproduktionsgesellschaft. Daraufhin entstand in Bendestorf seine Junge Film-Union.

Die neuen Filmstudios weckten das Interesse von Horst-Reinold Fink. Fink, der bis dato einen Filmverleih im Bunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg betrieb, verlagerte seine Firma in die Gebäude. Nach einem schweren Autounfall im November 1951 konnte Meyer seine Firma nicht mehr weiterführen. Daraufhin kaufte Fink das Gelände.

Wenige Monate zuvor, im Januar 1951, war eine neue Phase für die Filmstudios angebrochen. Der Film "Die Sünderin" hatte im Januar 1951 Erstaufführung und löste einen Sturm der Entrüstung aus. Das Melodram erzählt von einer Prostituierten, die sich in einen schwer erkrankten Maler verliebt, ihm Sterbehilfe leistet und daraufhin Selbstmord begeht. Die Kirchen waren so erbost, dass Priester bei den Aufführungen Stinkbomben in die Kinos warfen und Demonstrationen organisierten.

Gleich mehrere Tabuthemen wurden in dem Film behandelt: Inzest, Prostitution, Selbstmord, Euthanasie. Zudem war Hildegard Knef einige Momente fast nackt zu sehen. "Eigentlich sollte diese Szene auf der Wiese gegenüber stattfinden", sagt Fink, während er auf die Weidefläche blickt. "Doch der Knef war es an diesem lauen Herbsttag einfach zu kalt, um sich draußen auszuziehen." Also verlagerte man den Set nach innen ins Studio A3 in Bendestorf.

"Der Aufschrei in der Bevölkerung und insbesondere auch die Mobilisierung durch die Kirchen waren die beste Werbung für den Film und für die Studios", sagt Fink. In den 1950er und 1960er Jahren waren die Studios rund um die Uhr besetzt. "Nach den schrecklichen Jahren des Krieges hatten die Menschen einfach diesen großen Wunsch nach Unterhaltung, den Drang nach Entertainment." Schauspieler wie Heinz Rühmann, Marika Rökk, Willi Quadflieg, Sonja Ziemann und Johannes Heesters drehten auf dem Gelände.

Nach finanziell schwierigen Jahren in den 1970ern, erlebten die Bendestorfer Filmstudios in den 1980er Jahren durch die Werbespot-Produktion eine weitere Blütezeit. "Der Bedarf war damals riesig. Es floss unheimlich viel Geld und hier ging wirklich die Post ab", sagt Fink. Wenn er an die 1980er zurückdenkt, fallen ihm auch die Streiche ein, die seine Freunde und er hier gespielt haben. "Wir sind als 16-Jährige mit den Werbe-Autos durch die Halle gebraust und haben nach einer Bier-Werbung die Reste leergetrunken."

Doch in besonderer Erinnerung werden nicht die Werbespots der 1980er, sondern die Spielfilme der 1950er und 1960er Jahre bleiben. Für Fink war der Film in diesen Zeiten noch ein "wahres Handwerk", weit weg von digitaler Bearbeitung und Post-Production. "Damals hatten wir vier Beleuchter für eine Lampe. Heute bedient ein Beleuchter 200 Lampen." Relikte dieser Tage wie Schneidetische oder Filmplakate sind heute in einer kleinen Dauerausstellung im Haus der Gemeindeverwaltung zu sehen.

Für Hans-Joachim Fink bietet das Ende der Studios auch die Möglichkeit, mit der Filmbranche abzuschließen. "Für uns war der Film immer eine Traumwelt. Doch heute weiß ich: Dieses Geschäft ist ein Haifischbecken und einfach ein brutales Business".

Ein bisschen Wehmut bleibt trotzdem. "Bei uns war immer das Gefühl von großer, weiter Welt zu Hause. Schwer vorstellbar, dass hier bald Familienväter ihren Rasen mähen", sagt er, während sein Blick über die Aufnahmestudios und die Heide schweift.

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