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Kolumne GerüchteEin fein getuntes "Hallo"

Wie kann ich der Kassierein bei Rewe "auch Ihnen noch einen schönen Tag" wünschen? Es ist 10 Uhr am Morgen, die Sonne scheint zwar, aber nicht im Supermarkt.

F rüher, da war es einfacher. Damals passierte es nur in besseren Hotels, dass Angestellte an der Rezeption einen so begrüßten, als hätten sie sich die ganze Woche auf den neuen Gast gefreut. Eine ehrliche Heuchelei.

Das Gegenstück dazu gab es im real existierenden DDR-Sozialismus. Nehmen wir zum Beispiel die Gastronomie, wo allmächtige Herrscher in Kellnerverkleidung dem eintreffenden Hungrigen im halbleeren Gastraum erklärten, es sei alles reserviert und man könne leider nur noch am zugerauchten Ecktisch "platziert" werden. Das war Sadismus pur.

Heute sind die Gefühlslagen in der Dienstleistung komplizierter. Ich spüre mein schlechtes Gewissen immer an meinem freien Mittwoch, schon am Morgen. Wenn ich mich um 10 Uhr im Rewe-Supermarkt mit meinem prall gefüllten Einkaufswagen der Kasse nähere. Die Kassiererin haucht mir ein fein getuntes "Hallo" entgegen, wahrscheinlich haben sie den persönlichen Sound in irgendwelchen Schulungen üben müssen.

Im Einkaufswagen liegen Milchtüten, Nudelpackungen und Joghurtbecher. Das Obst in den durchsichtigen Beuteln muss die Kassiererin von Hand abwiegen. In der Brötchentüte mischen sich Schrippen, Vollkornbrötchen und Brezeln. Die muss sie einzeln eintippen. Eine Kassenfrau im Supermarkt soll 55 Kunden pro Stunde schaffen. Zum Abschied wünscht mir die Dame "einen schönen Tag noch". Mein Unbehagen wächst.

BARBARA DRIBBUSCH

ist Redakteurin für Soziales im Inlandsressort der taz.

Denn, was soll ich antworten? Ein schlichtes "Danke" klingt, als sei ich zu keinem Gegenwunsch fähig. Wie wäre es stattdessen mit einem munteren "Ihnen auch noch einen schönen Tag", das eigentlich die Höflichkeit gebietet?

Doch die Kassenfrau hat an diesem Tag noch einige hundert KundInnen vor sich, einige tausend Artikel, die über den Scanner gezogen werden müssen, geplatzte Joghurtbecher, komplizierte Brötchenmischungen, Kunden, deren Kreditkarte nicht funktioniert, und bei all dem muss sie auch noch einige hundert "Hallos" an die Freizeitlinge absondern. Wie kann ich der Lady bei diesen Aussichten "auch Ihnen noch einen schönen Tag" wünschen? Es ist 10 Uhr am Morgen, die Sonne scheint zwar, aber nicht im Supermarkt.

Arbeiten ist nichts Schlimmes

"Natürlich kannst du einen schönen Tag wünschen", sagt mein alter Bekannter F., "die Frau kann auch an der Kasse einen guten Tag haben. Arbeiten ist nichts Schlimmes."

F., Akademiker, ist Unternehmer mit drei Angestellten, von denen er erwartet, dass sie ihren Job toll finden. Wobei F. den besser bezahlten und spannenderen Job hat als seine Angestellten und als die Kassiererin. F. gehört zu den Leuten, die nach einer Untersuchung des IAQ-Instituts in Duisburg-Essen sehr zufrieden sind mit ihrer Arbeit. Leute mit niedriger qualifizierten Jobs sind es seltener und dann kriegen sie auch noch weniger Geld. Ich könnte der Kassendame natürlich wünschen: "Und Ihnen stabile Sehnenscheiden, starke Bandscheiben und nur freundliche Kunden". So was wage ich nicht.

Jetzt habe ich eine Idee für kommenden Mittwoch. Ich kaufe spät ein. Sehr spät. "Einen schönen Abend noch", wird die Kassenlady mir wünschen. "Ihnen auch einen schönen Feierabend", werde ich fröhlich antworten. Es wird 21.50 Uhr sein. Alles wird passen. Die Uhrzeit, der Spruch. Ein gutes Gefühl. Die Brötchen lasse ich zu so später Stunde einfach weg.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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5 Kommentare

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  • P
    Piet

    Na, das nenne ich mal Klassenbewusstsein!

     

    Wenn sich Frau Dribbusch

    ihr hübsches Köpfchen

    über ihre Luxusproblemchen zerbricht,

    dann springt dabei,

    anders als z.B. bei Frau Tenberg,

    immerhin eine aufwühlende Betroffenheitsstrecke heraus!

     

    Hasta la victoria siempre!

  • BA
    bitte anonym

    Wenn ich von besser und schlechter Verdienenden lese, weiss ich nicht was ich davon denken soll.

     

    Die angestellten haben es gut; sie haben einen Job den sie fuer acht Stunden verrichten; kriegen ihr monatliches Gehalt, und wenn sie realistisch sind freuen sie sich das sie uberhaupt einen Job haben, zeigen also ihren spass an der Arbeit.

     

    Der Chef mag evtl. Mehr verdienen, aber er hat auch die ganze Verantwortung. Er ist der jenige der sich evtl. Einen Kredit von der Bank hohlte, um seine Idee vom eigenen Laden zu verwirklichen - er ist derjenige der Arbeitsplaetze schaft, und leuts eine Arbeit haben.

    Das ist eine Riesenverantwortung, und da er sicherlich mehr Stunden an den Tag bringt, hat er auch mehr Geld verdient.

     

    Arbeitgeber sind in Kapitalistischen Laendern, die jenigen die eine Chance wagen - ein Risiko eingehen - wenn der Laden laeuft und Chef macht es richtig, toll - Leute haben arbeit.

     

    Wenn er schlaeft, und schaeft geht pleite, wird der Laden zu gemacht, und Leute haben keine arbeit.

     

    Ich bin Kapitalist. Ich glaube das jemand der Backen kann und moechte seinen eigenen Baeckerladen haben darf, und je mehr er arbeitet, desto mehr broetchen werden verkauft, und desto mehr er verdient, und desto mehr er angestellte haben kann, und sie recht bezahlen - daher wuenscht die Kassirerin allen andern 'auch' noch einen schoenen Tag

     

     

    Uebrigens, so wars eigentlich immer schon - Deutschland, wie ichs kannte ist eines der Freundlichsten Laender ueberhaupt - auch am Telefon

  • I
    Ilmtalkelly

    Wenn ich abend´s 10 vor 10 noch einkaufen gehen musss, sollte ich mich fragen, warum überhaupt so spät. Ne Menge Kassierinnen auch mit Kindern machen Spätdienst vorallem Samstag nicht gern. Das Gefühl des schlechten Gewissens beschleicht Besserverdienende nicht umsonst. Es ist Ausdruck der Schieflage in unserem Sozialsystem. Das die Kundin Barbara Dribbusch im Supermarkt lauter Dinge nahe an den Herstellerkosten im Korb hat, mit dessen Verkauf der Kassiererin nach Abzug aller Kosten und satten Gewinns nur einen geringen Lohn verbleibt, sollte ihr das nächste mal in den Kopf gehen.

    Aber bitte nicht 10 vor 10

    Billiges Histörchen.

    Gute Nacht Frau Dribbusch !

  • K
    kleinalex

    Da frag ich mich doch gleich:

    Warum kann "Ihnen auch noch einen schönen Tag" nicht einfach mal bedeuten: "Ich wünsche Ihnen, dass Sie heute nur nette Kunden an der Kasse haben, dass keine Joghurtbecher platzen und auch sonst einfach alles reibungslos klappt. Toitoitoi."

     

    Ich denke doch, das geht auch ohne Sonnenschein im Supermarkt. "Viel Spaß noch", das fände ich übertrieben, aber ein "Einen schönen Tag noch" sagt eigentlich nichts weiter aus als "Ich bin mir darüber im Klaren, dass ein schöner Tag für Sie keine Selbstverständlichkeit ist und wünsche Ihnen, dass es heute dennoch damit klappt."

  • BA
    bitte anonym

    Sie gehoehren also auch du den Analytikern die sich Stunden, manchmal tagelang ueberlegen, wie man der Kassiererin am besten antwortet, nachdem sie einem,

    " schoenen Tag noch, " wuenscht -

     

    Hier ein paar kleine tips:

    Sollten sie Norddeutschland besuchen, muessen sie snobbisch reagieren um bloss nicht aufzufallen, also am besten antworten sie : " Wuenschen sie sich das mal lieber selber, nich " dann die Tueten nehmen und nichts wie raus aus dem Laden.

     

    Man wird sie in Zukunft als ' Einheimischer sehen, und nur noch ' moin, moin, sagen.

     

    Im Sueden muss man nicht befuerchten das jemand ihnen einen schoenen Tag wuenschen wird - " Servus", tuts auch ( BLOSS NICHT " Gruess Gott" sagen, damit koennten sie bei Kassierern ins Gespraech kommen, und deren naechste Frage wird wohlmoeglich sein : " Wie gehts ?", was jeden wassagichnun-analytiker leicht ins schleudern bringen koennte.

     

    Mein tip waere ein paar Tage im Ruhrpott, vorzugsweise Essen/Essen-Borbeck verbringen, und den Leuten ihre Reaktionen im Supermarkt einfach abkucken ( Koeln waere zwar besser als Lernsstufe eins, aber warum nicht gleich Boot-camp; geht schneller )

     

    Stellen sie sich ganz 'unauffaellig' neben die Kasse ( also Schlapphut, trench coat, ne Zeitung, und nicht vergessen zu pfeifen ) und schauen den leuten zu wie's geht -

     

    Viel Erfolg

     

    * Im naechsten seminar : Popeln leicht gemacht