Boykott der Operateure

Ab 1. Dezember wollen die niedergelassenen Fachärzte in Niedersachsen keine ambulanten Operationen mehr durchführen – aus Protest gegen die ihrer Ansicht nach unterirdische Bezahlung

Sehr wahrscheinlich, dass der Boykott der Operateure eine lange, zähe Angelegenheit wird

von Klaus Irler

Leistenbruch? Verkrümmte Nasenscheidewand? Hammerzeh? Grauer Star? Ins Krankenhaus muss deswegen niemand mehr: Operiert wird stattdessen immer häufiger ambulant bei niedergelassenen Fachärzten. Die Kassen der Chirurgen, Orthopäden, Gynäkologen, Hautärzte, Urulogen, Augenärzte und HNO-Ärzte müssten also eigentlich klingeln. Tun sie aber ganz und gar nicht, sagen die Fachärzte in Niedersachsen, und Schuld daran sei die neue Gebührenordnung vom 1. April 2005 . Kollektiv werden die niedersächsischen Fachärzte deshalb ab kommenden Donnerstag das Skalpell niederlegen und für unbestimmte Zeit nur noch Notfälle operieren. Für alle anderen Operationen bleibt den Kassenpatienten dann nur der kostspielige Gang ins Krankenhaus.

Es würden nur noch „Dumping-Preise“ gezahlt, sagt der niedergelassene Chirurg Gerd-Dieter von Koschitzky aus Walsrode, und rechnet vor: 45 Euro Bruttolohn blieben ihm noch pro Stunde, für eine Leistenbruch-Operation bekomme seine Praxis nur noch 170 Euro statt der fälligen 351 Euro, für einen Hammerzeh 115 Euro statt 238 Euro. „Unser Personal hat bereits auf Weihnachtsgeld verzichtet und ist zum Teil in unbezahlten Urlaub gegangen“, sagt von Koschitzky. „Wenn wir so weitermachen, werden wir in kurzer Zeit unsere Operationseinrichtungen wegen Insolvenz definitiv schließen müssen.“

Von Koschitzky ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Chirurgen in Niedersachen und hat die Protestaktion initiiert. Die Unterstützung der anderen Fachärzte ist groß: 1.530 ambulante Operateure gebe es in Niedersachsen, rund die Hälfte von ihnen verdiene ihr Geld schwerpunktmäßig durch ambulante Operationen, so von Koschitzky. Seine Forderung: Die Krankenkassen müssen mehr zahlen.

„Die Forderung nach mehr Geld geht an der Realität vorbei“, sagt demgegenüber der Sprecher der AOK Niedersachsen, Klaus Altmann. „Mehr Geld wird es nicht geben. Wo sollten wir es denn hernehmen? Es bliebe nur, die Beiträge zu erhöhen, da würden sich die Versicherten aber bedanken.“

Die Krankenkassen erwarten viel mehr, dass die Kassenärztliche Vereinigung in Niedersachsen (KVN) das Problem löst. Die nämlich steht zwischen den Krankenkassen und den Ärzten: Die Kassenärztliche Vereinigung bekommt die Ärztehonorare von den Krankenkassen und ist dafür zuständig, die Vergütungen nach bestimmten Schlüsseln an die jeweiligen Ärzte auszuzahlen. Aber auch bei der KVN fehlt das Geld. „Der Honorartopf der Krankenkassen bleibt konstant, aber die Leistungen und Operationen werden immer mehr. Das ist das Grundproblem“, sagt KVN-Sprecher Detlef Haffke. Die KVN kann nur verteilen, was sie hat: Würde sie den ambulanten Operateuren mehr geben, müssten andere Arztgruppen bluten – Streit innerhalb der Ärzteschaft wäre vorprogrammiert. Was die ambulanten Operationen betrifft, habe man diese nun jahrelang subventioniert aus anderen Bereichen, sagt Haffke. „Wir können und wir wollen das nicht mehr.“ Haffke verweist auf andere Bundesländer wie beispielsweise Hessen, wo die ambulanten Operationen außerhalb der Budgetierung bezahlt würden.

Die Kassenärztliche Vereinigung, als Ärztevertretung im Honorar-Poker grundsätzlich auf Seiten der protestierenden Mediziner, will sich nun mit den Krankenkassen an einen Tisch setzen und bessere Bedingungen für die ambulanten Operateure heraushandeln. Gleichzeitig muss sie als Aufsichtsbehörde sicherstellen, dass die Versorgung der Patienten nicht zusammenbricht – „wir rechnen mit längeren Wartezeiten für die Patienten, vermuten aber keine Versorgungsengpässe“, so Haffke.

Sehr wahrscheinlich, dass der Boykott der Operateure eine lange, zähe Angelegenheit wird, ähnlich dem Konflikt zwischen niedersächsischen Kieferorthopäden und Krankenkassen. In Hamburg und Schleswig-Holstein dagegen gelten andere Zuwendungsschlüssel, Proteste im Zusammenhang mit ambulanten Operationen gibt es dort nicht. Und in Bremen wird derzeit verhandelt: „Es sind schwierige Verhandlungen“, sagt der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen, Till Spiro. Das Problem auch dort: „chronische Unterfinanzierung“.