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Debatte EnergiewendeDie Zukunft beginnt jetzt

Kommentar von B. Palmer und F. Untersteller

Welche Energiewende wollen wir? Die vier entscheidenden Streitfragen müssen schleunigst diskutiert werden. Sonst drohen Preisanstiege und Stromausfälle.

"Sun Valley" bei der Shanghai World Expo 2010. Bild: Daniel Foster | CC-BY-SA

S treitfrage 1: Zentral oder dezentral? Über 80 Prozent der Erzeugungskapazitäten in konventionellen Großkraftwerken sind in der Hand von vier großen Energiekonzernen. Das Geschäft mit der Erzeugung erneuerbarer Energie in dezentralen Anlagen beherrschen sie nicht. Hier liegt ihr Marktanteil unter 20 Prozent. Die Konzerne haben Interesse, auch die erneuerbaren Energien künftig in Großkraftwerken zu transformieren.

Dieses Interesse ist die beste Erklärung für die immer wiederkehrenden Versuche, die Stromerzeugung durch Sonne und Wind in Kleinanlagen zu begrenzen und Offshore-Großprojekte stärker zu fördern. Ökonomisch gibt es dafür keinen Grund.

Strom aus Fotovoltaik ist mit Erzeugungskosten von rund 20 Cent pro kWh etwa gleich teuer wie Strom von der Hochsee, wenn man die Kosten der Tiefseekabel für den Stromtransport einrechnet. Und Strom aus Windkraftanlagen an Land ist heute und in Zukunft nur halb so teuer wie Strom aus Hochseewindparks.

archiv/Juergen Holzwarth

Boris Palmer ist Oberbürgermeister von Tübingen, Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke Tübingen und Mitglied des Grünen Parteirats.

Franz Untersteller ist seit 2006 Abgeordneter der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg. Seit 100 Tagen ist er dort nun Umweltminister.

Wenn die Bundesregierung dennoch die Förderung der Fotovoltaik und der Windkraft an Land drastisch kürzt, um gleichzeitig die Vergütung für Offshore-Windparks deutlich zu erhöhen, ist das volkswirtschaftlich unvernünftig. Die Profiteure sind allein die großen Konzerne, denn einzelne Stadtwerke oder Bürgerenergiegesellschaften können Investitionen von bis zu 2 Milliarden Euro für einen Hochseewindpark nicht stemmen.

Streitfrage 2: Welche Speicher? Im Wesentlichen stehen drei Optionen zur Wahl: Pumpspeicherkraftwerke, Batteriespeicher und Erdgasspeicher. Pumpspeicherkraftwerke sind besonders im Alpenraum seit mehr als 100 Jahren etabliert, aber in der Kapazität sehr begrenzt. Benötigt wird voraussichtlich eine Speicherkapazität für mehrere Wochen des deutschen Stromverbrauchs. Pumpspeicher decken davon nur einige Stunden ab. In Skandinavien steht schon heute ein Speichervolumen in Stauseen zur Verfügung, das einen Großteil des kurzfristigen europäischen Speicherenergiebedarfs decken könnte. Allerdings fehlt in der Regel das Unterbecken und für den Transport der Energie bräuchte es gigantische Netze.

Batteriespeicher sind derzeit wegen des Aufschwungs der Elektromobilität in aller Munde. Die Batterien für Elektroautos sind aber noch sehr teuer, und für den Einsatz als Speicher müsste das gesamte Mittelspannungsnetz neu aufgebaut werden, weil die Leistungsfähigkeit von Transformatoren und Leitungen für derartige Belastungen bei weitem nicht ausreicht.

Der jüngste Vorschlag mit Aussicht auf zügige Realisierung setzt auf die vorhandenen Erdgaskavernenspeicher in Deutschland. Deren Fassungsvermögen ist so groß, dass tatsächlich der gesamte Speicherenergiebedarf des deutschen Stromnetzes abgedeckt werden könnte. Zur Stromerzeugung können hocheffiziente Gaskraftwerke und kleine Blockheizkraftwerke eingesetzt werden.

Um überschüssige erneuerbare Energie einzuspeichern, steht grundsätzlich der Prozess der Wasserstoff-Elektrolyse zur Verfügung. Der Wasserstoff kann, ohne eine gesonderte Infrastruktur zu erfordern, bis zu einem Anteil von 10 Prozent direkt dem Erdgas beigemischt werden, erst darüber hinaus wird es erforderlich sein, zur Methanisierungstechnologie zu greifen, bei der mit Strom CO2 und Wasser in Erdgas (Methan) umgewandelt wird. Im großtechnischen Maßstab muss dies allerdings noch realisiert werden. Zu prüfen ist jedoch auch, ob nicht mit bekannten Verfahren wie der kombinierten Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung, Wärmespeichern und Wärmepumpen kosteneffiziente Speichertechnologien entwickelt werden können.

Die Lösung der Speicherfrage ist dringend. Einen Königsweg gibt es nicht. Pumpspeicherwerke wie im Schwarzwald sind leichter durchsetzbar, wenn die Alternativen in Skandinavien oder im Erdgasnetz geprüft und als nicht ausreichend oder als derzeit unwirtschaftlich erkannt sind.

Streitfrage 3: Welche Brücken? Da die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien noch Zeit braucht, benötigen wir Brückentechnologien. Relevante Kräfte in Union und SPD setzen wieder verstärkt auf Kohlekraftwerke. Diese können den Regelenergiebedarf jedoch nur eingeschränkt abdecken und sind zudem teurer als Gaskraftwerke.

Für die Grünen sind hocheffiziente Erdgaskraftwerke derzeit die einzige akzeptable fossile Brücke zu den erneuerbaren Energien. Allerdings ist selbst deren Bau wirtschaftlich kaum attraktiv, weil sie nicht genügend Jahresbetriebsstunden erreichen.

Streitfrage 4: Welche Leitungen? Der sinnvolle Ausbau der Stromnetze setzt Entscheidungen über die Technik und die Standorte von Brückenkraftwerken und Speichern voraus. Wenn skandinavische Speicher und Strom aus der afrikanischen Wüste eine großtechnische Lösung im interkontinentalen Maßstab liefern sollen, dann werden Hochspannungsübertragungsleitungen quer durch Europa und Deutschland erforderlich. Wenn dezentrale Erzeugungsstrukturen und dezentrale Speicher in Verbindung mit dem Erdgasnetz zur Bereitstellung von Regelenergie die Zukunft sind, spielen derartige Investitionen eine zumindest geringere Rolle. Wer in Deutschland Leitungen bauen will, muss Bürgerinitiativen erklären können, welche Struktur der zukunftsweisenden Energieversorgung diese erforderlich macht. Das Stuttgarter Umweltministerium wird im Herbst Regionalkonferenzen zur Energiewende und zu der Frage durchführen, wie man mehr Windenergie mit regionaler Wertschöpfung verknüpfen kann.

Erstaunlicherweise ist diese Debatte aus der Fachwelt gerade erst dabei, die Politik und die Öffentlichkeit zu erreichen. Dabei steht viel auf dem Spiel! Wird die Energiewende falsch angepackt, drohen längere Stromausfälle oder extreme Preisanstiege. Verfolgen wir hingegen eine finanziell und ökologisch optimierte Umbaustrategie für eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien, können wir Deutschland große wirtschaftliche Vorteile sichern: Unabhängigkeit von Energieimporten, günstige Strompreise und einen Vorsprung für die Industrie, die neue Technologien für die erneuerbare Vollversorgung entwickelt.

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8 Kommentare

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  • CO
    Christian - O. Heyner

    Nur Solarenergie und Wasserstoffwirtschaft können´s bringen! Wir haben nichts Anderes!

    Mir ist jede alternative Energieform und auch Technologie wichtig. Sie wird sich ggf. am Markt (dazu zählen auch Förderungen) durchsetzen. EEG und KWKG haben die Tore geöffnet und eine Revolution insceniert, die gesellschaftlich wahrgenommen / akzeptiert wird und sich dezentral auswirkt. Das ist auch gut so! Die etablieten Versorger (Versager?)sind sicher nicht begeitster, mit Millionen Kleineinspeisern fertig :-)zu werden und haben nicht einmal Einfluss darauf. Die EE-Gesetzgebung hat eine Revolution losgetreten, die urdemokratisch verläuft. Jeder darf teilnehmen und partizipieren. Allemal besser als Befragun "Stuttgart 21"! Die äusserst dynamische Praxis wird die Versoger überrollen, rechts überholen! Doch - über die Energieform der Zukunft mus noch geredet werden. Das ausschliesslich Sonne infrage kommt, ist die Folge Solarenergie und Wasserstoffwirtschaft.Der Ernst und die Dringlichkeit, die Energieform zu bestimmen hat für unsere Gesellschaft (über-) lebenswichtige Bedeutung. Unverzügliche Handlung ist von Politik, Bürgern, Unternehemn und Kommunen gefragt. Bürokratische Hindernisse sind kein Spoass mehr! Je scheller die "Umstellung" erfolgt, deste erfogriecher ist Sie in Bezug auf Umwelt, Kosten, Zufriedenheit und Zukunft! Die ansich überflüssigen Stadtwerke bekommen bei dezentraler Energie-einspeisung eine neue und wichtige Bedeutung! boot

  • RR
    Regina Rensink

    Sehr geehrter Herr Untersteller,

    neue Kohlekraftwerke sollen mit der CCS-Technologie ausgerüstet/nachgerüstet werden, einer neuen Hochrisiko-Technologie mit gigantischen Ausmaßen, die keine Versicherung versichern will. Wird das Land Baden-Württemberg dem Kohlendioxid-Speicherungs-Gesetz (dem sogenannten CCS-Gesetz) am 23. September im Bundesrat zustimmen? Die sogenannte „Länderklausel“ ist nach Expertenmeinung europarechtswidrig. Und nicht nur gegen die Länderklausel können die Konzerne klagen: Wenn 2017 festgestellt wird (von den Betreibern?), dass die „Demonstrationsanlagen „dicht“ sind, werden sie die großindustrielle Verpressung einklagen, denn dann wurden bereits Milliarden-Investitionen getätigt. Das heißt, etwa unter die Hälfte der Fläche der Bundesrepublik und unter Nord- und Ostsee sollen im Namen des Klimaschutzes Milliarden Tonnen CO2 einschließlich Schwermetalle usw. gepresst werden und dort Jahrtausende unten bleiben. Zum Vorzeigeprojekt Sleipner/Utsira (Norwegen) wurde schon 2009 festgestellt: „dass sich das eingebrachte CO2 deutlich stärker bewegt, als in Computersimulationen errechnet. So wurden mehrere in der Utsira-Formation liegende Tonschichten vom CO2 durchdrungen, obwohl diese bisher als sehr stabiler Abschluss galten.“ (Forschungsbericht GEOTECHNOLOGIEN SR 14, 2009). Das im Mai gestartete Forschungsprojekt Eco 2 soll klären: „…ob und wieviel Gas an diesen Stellen austritt“... In Norwegen wurden jährlich knapp 1 Mio. t CO2 verpreßt, für "Demonstrationsanlagen" sind 3 (!) Mio. t jährlich erlaubt (das sind 410 LKW pro Tag).

    Übrigens: In Heilbronn wurde am 13.07.11 eine Pilotanlage eingeweiht, mit der das CO2 aus dem Rauchgas "ausgewaschen" werden kann. Im Jahre 2010 hieß es in einem Presseartikel dazu: "Bei vollständiger Technologie der Carbon Capture and Storage (CCS) würde das CO2 in geologische Tiefenschichten eingepresst werden." Sehr geehrter Herr Untersteller, ist Ihnen bekannt, wo das CO2 dann eingepreßt werden soll?

  • SB
    Sebastian Büttner

    Bei Streitfrage 2 fehlen mir zwei wichtige Speichermethoden: (1) Brennstofflagerung (nicht nur per Erdgasspeicher, auch Biomasse) und (2) netzgekoppelte Kleinspeicher (plug-in-hybrid, laptop-Batterien, Batterien vom Pedelec bis zum Gabelstapler). Hierzu gibt es beim Solar-Förder-Verein Aachen das kluge Konzept für ein StromSPEICHERgesetz, das durch (regionale) Strompreisbildung Angebot und Nachfrage von Speicherenergie im Netz zusammenbringt (http://sfv.de/artikel/anreiz_zum_ausbau_dezentraler_stromspeicher_-_stromspeichergesetz.htm). Das macht neue "Brückenkraftwerke" überflüssig und neue Leitungen auch.

  • J
    JOH

    Schön, dass jetzt endlich mal die richtigen Fragen gestellt werden. Allein, wo sind denn die Antworten?

    Offensichtlich wird dem einen oder anderen Politiker bewusst, dass es den Dreiklang von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz nicht geben wird. Einen Tod wird man wohl sterben müssen, es traut sich nur niemand, sich festzulegen, und das aus guten Gründen.

    Da hilft nur eins, wir brauchen eine international abgestimmte Lösung, sonst wird das nichts!

  • KH
    Karsten Hinrichsen

    Sehr geehrter Herr Palmer,

    seit nunmehr fast vier Jahren kämpfen viele Menschen in Brunsbüttel und der Wilstermarsch gegen das von Ihnen als Chef der Tübinger Stadtwerke vehement verteidigte Riesenkohlekraftwerk in unserer Nähe. 2 Tonnen Feinstäube, 600 kg Quecksilber, Arsen, Blei, Cadmium je ca. 500 kg wird das Kohlekraftwerk jährlich emittieren. Mit der ungenutzt in die Elbe geleiteten Abwärme könnte ganz Berlin beheizt werden. Das Kohlekraftwerk wird der größte Fischereibetrieb an der Elbe werden und die Fische und andere Organismen töten. Schauen Sie doch mal auf unsrer homepage: www.bi-unterelbe.net

    Um das Kohlekraftwerk überhaupt wirtschaftlich betreiben zu können, sollen Fördergelder aus dem Klimafond beantragt werden. Welch Irrsinn! Ich wünsche Ihnen so viel Mut wie der Kanzlerin, die sich halbwegs von der Atomenergie abgewendet hat. Korrigieren Sie Ihr Engagement für neue Kohlekraftwerke.

  • JQ
    Jürgen Quentin

    Lieber Boris Palmer,

    schön dass auch Sie endlich zur Einsicht gelangt sind, dass neue Kohlekraftwerke keinen sinnvollen Beitrag zur Energiewende leisten. Wenn Sie es mit der Energiewende und dem Klimaschutz ernst meinen, dann sorgen Sie dafür, dass die Stadtwerke Tübingen hier auch mit gutem Beispiel voran gehen.

    Sie schreiben „Union und SPD setzen wieder verstärkt auf Kohlekraftwerke“ lassen aber unerwähnt, dass die Stadtwerke Tübingen, deren Aufsichtsratsvorsitzender Sie sind, sich seit Jahren für den Bau von Deutschlands größtem Steinkohlekraftwerk in Brunsbüttel engagieren.

    Lassen Sie Ihren Worten Taten folgen und sorgen Sie dafür, dass Ihre Stadtwerke der Projektgesellschaft SüdWestStrom, die das Klimakillerkraftwerk in Schleswig-Holstein plant, nun endgültig den Rücken kehren.

    Wer Politik glaubwürdig vermitteln will, sollte erst vor der eigenen Haustüre kehren, bevor er mit den Fingern auf andere zeigt.

  • V
    vic

    Offshore-Windparks werden darum gefördert, weil sie zumeist von den altbekannten Atom und Kohle-Kraken betrieben werden. Die erhalten auch alle erforderlichen Genehmigungen im Handumdrehen.

  • H
    Hanno

    Boris Palmer vergaß zu erwähnen, dass auch für ihn Kohlekraftwerke eine akzeptable Brücke zu sein scheinen. Zumindest ist das Projekt Südweststrom-Kohlekraftwerk Brunsbüttel, für das er sich in der Vergangenheit immer stark gemacht hat, immer noch nicht beerdigt.