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Tim Renner über die Musikindustrie"Ein Album ist keine Kunstform"

Stars wie Bob Dylan und Bryan Adams wollen die Rechte an alten, profitablen Songs zurück. Das Ende der Plattenindustrie? Ein Gespräch mit Musikmanager Tim Renner.

Gebt das Lied frei! Bob Dylan will die Rechte an alten Songs zurück. Bild: ap
Interview von Lucie Yertek

taz: Herr Renner, berühmte Künstler fordern von den US-Plattenfirmen die Rechte an alten Songs zurück. Gehen die Firmen mitsamt ihren deutschen Ablegern jetzt pleite?

Tim Renner: Pleitegehen werden sie nicht, es spüren aber schon. Vieles von dem, was in Amerika verkauft wird, geht auch in Deutschland über die Theken. Wenn ein Teil des Programms wegfällt, betrifft das natürlich auch die deutschen Tochterunternehmen. Zudem verdienen die Plattenfirmen gerade mit den nun betroffenen alten Songs am meisten. Die sind schon vollständig durchfinanziert und damit hochprofitabel. Infolge der Krise der Musikwirtschaft hat man neue Produktionen mit anderen Künstlern runtergefahren, das ist auf die Dauer gefährlich. Früher machte man mindestens drei Alben mit einem Künstler, dann wusste man erst, ob er sich durchsetzt oder nicht. Heute ist das meist anders, denn seit die Plattenfirmen an der Börse sind, müssen schnellere Erfolge erzielt werden.

dpa
Im Interview: 

TIM RENNER, 46, ist Musikproduzent und Autor. Von 2001 bis 2004 war er Vorstandsvorsitzender der Universal Music Group Deutschland, und 2009 wurde er zum Professor an der Popakademie Baden-Württemberg ernannt. Gemeinsam mit seinem Bruder veröffentlichte er Anfang dieses Jahres das Buch "Digital ist besser".

Die Plattenfirmen wirkten von dem Vorstoß der Musiker überrascht. Dabei gibt es die Gesetzesänderung, auf die sie sich beziehen, seit 1976.

Ich war siebzehneinhalb Jahre in der Musikindustrie und habe nichts von dieser Copyrightänderung gewusst. Als ich Chef von Universal Deutschland war, habe ich an all den großen Meetings, auch in den USA, teilgenommen, und da war keine Rede davon.

Halten Sie das Anliegen der Musiker für gerecht? Haben die Plattenfirmen schon genug an ihnen verdient?

Die Plattenfirmen trifft es zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Sie stehen unter Druck, weil sie den Anschluss an den digitalen Markt verpasst haben. Aus historisch-juristischer Sicht muss ich aber sagen: Die Künstler haben recht. Die letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren unglaublich rentabel für die großen Labels: Dank der CD haben sie Nettorenditen von 20 Prozent gehabt. Den Künstlern blieben dagegen oft nur 10 Prozent. Aber wenn es jetzt den Plattenfirmen schlechter geht, trifft das auch die Förderung neuer Künstler, da die Bereitschaft, Risikokapital auszugeben, mit rückläufiger Profitabilität natürlich sinkt.

Woher kommen die hohen Umsatzeinbußen der Plattenindustrie?

Die Musikindustrie hat die Hoheit über das Timing verloren, akzeptiert diesen Fakt aber nicht als Realität: Um höher in die Charts einzusteigen, werden Songs schon im Radio und Fernsehen gespielt, lange bevor es sie als Platte oder legalen Download zu kaufen gibt. Man staut den Bedarf der Konsumenten bewusst auf, diese bedienen sich dann aber, mangels Alternative, bei den illegalen Mitschnitten aus dem Netz. Die Profitabilität der Musikindustrie leidet zusätzlich darunter, dass sich ihre Kunden im Netz nur die Songs kaufen, die sie wirklich mögen. In der guten alten Zeit von CD und Vinyl war das anders: Auch wenn man nur zwei oder drei Songs auf einem Album mochte, musste man gleich das ganze kaufen und für alle Songs zahlen.

Wieso haben die Musikfirmen den digitalen Markt immer noch nicht erobert?

Um den digitalen Markt zu erobern, muss man in Sachen Aktualität, Qualität und Vollständigkeit mindestens so gut sein wie die Konkurrenz. Egal ob man das fair findet oder nicht, besteht der Wettbewerb aber aus den illegalen Angeboten. Wie will man diese übertreffen, wenn man nicht einmal bei den Streaming Services wie YouTube oder Spotify zu einer Einigung kommt? Die Gema geht offensichtlich davon aus, dass sie pro ausgelieferten Stream vergütet werden muss. Spotify hingegen will wie Radio oder Fernsehen per Umsatz bezahlen. Anders ist ein solches Angebot auch nicht tragbar oder planbar. Die Umsätze haben beim Streaming nichts mit der Nutzungsintensität zu tun, sondern hängen von Werbung und bezahlten Abos ab.

Kann man denn Alben aus künstlerischer Sicht einfach so zerstückelt verkaufen?

Ja, das ist meiner Meinung nach möglich: Wenn ein geschlossenes Werk nicht überzeugend genug ist, ist das das Problem des Künstlers. Ein Album ist ein alter, technischer Standard, keine Kunstform: Auf Vinyl können etwa 32 bis 45 Minuten Musik gepresst werden, dann wird der Klang schlechter und leiser. Puristen sagen sogar, nicht mehr als 35 Minuten. Daher kommt das Albumformat. Künstler sollten alten Formaten nicht nachtrauern, sondern neue Gegebenheiten für sich nutzen.

YouTube beteiligt jetzt den US-Verband der Musikverlage an seinen Werbeumsätzen. Warum kann man sich dort einigen, aber in Deutschland nicht?

Die Gema, die hierzulande Künstler vertritt, unterliegt anders als andere Urherberrechtsgesellschaften dem Vereinsrecht: Dieses ist sehr komplex und trägt dazu bei, dass sich ein sehr großer Verein wie die Gema kaum erneuern kann. Für eine Satzungsänderung muss zum Beispiel ein bestimmter Anteil an Mitgliedern anwesend sein. Ich bin auch Gema-Mitglied und war da noch nie. Leute wie ich sind schuld, weil keiner auf die Versammlungen Bock hat. Wenn man da hingeht, muss man entweder Administration lieben oder viel, viel Zeit haben, also seine Karriere schon hinter sich haben. Das sind schlechte Bedingungen für Erneuerungen. Die Gema wird deshalb nicht von denen geprägt, die das kreative Bild in der aktuellen Musikszene darstellen.

Im September veranstalten Sie in Berlin die Musikmesse "All2gethernow" mit. Dort soll die Frage beantwortet werden, ob man als Musiker überhaupt noch ein Label braucht. Und, braucht man noch eins?

Ganz häufig braucht man kein Label, die kleinen Künstler können auch ohne eines anfangen. Heute kann man über das Internet gleich alles veröffentlichen. Eine Sängerin, bei der das gut geklappt hat, ist Zoe Leela. Sie hat am Anfang erst mal Platten verschenkt, um bekannter zu werden. Die ganz großen Künstler brauchen meist auch kein Label und beauftragen Plattenfirmen auf Zeit, ihre Aufträge durchzuführen. Dafür geben sie einen kleinen Teil der Rechte ab, das ist für die Musiker viel rentabler. Hauptsächlich die mittleren Musiker sind noch auf Plattenfirmen angewiesen, da sie oft einen Investor brauchen, um sich professionalisieren zu können, und um ihren Bekanntheitsgrad zu steigern.

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14 Kommentare

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  • Z
    ZOE.LEELA

    BadaBing. We will rock you!

  • FH
    Frau Holle

    Zahlen per Stream ist durchaus nicht die internationale Norm, da es für Online-Musikdienste kaum praktikabel ist und die Kosten oft in keiner Relation zu den Einnahmen stehen. Die Gema beispielsweise fordert derzeit rund 12 Cent pro Stream von Online-Musikdiensten. Wie im Interview beschrieben, beteiligt Youtube nach einer kürzlich gefundenen Einigung in den USA Urheber der Stücke prozentual am Umsatz und nicht per Stream. In Schweden, Norwegen, Finnland und Frankreich bezahlt Spotify die Labels ebenfalls mit einem prozentualen Anteil an den Gewinnen. In den USA ist Spotify gerade erst im Aufbau und die Lizenzgebühren sind im Vergleich zu den europäischen Abkommen sehr hoch, Spotify USA eignet sich also gewiss nicht als normativer Maßstab und ist aufgrund der hohen Lizenzgebühren auch sicher kein Zukunftsmodell, wie Sie in einigen Jahren sehen werden.

    Der Rolling Stone beschreibt hier übrigens ganz teffend, wohin uns die Engstirnigkeit der Lizenzgeber bringen könnte:

    http://www.techdirt.com/articles/20100816/15542210641.shtml

  • ???

    was ist mit konzeptalben?

  • B
    Bluesmusiker

    "Aber wenn es jetzt den Plattenfirmen schlechter geht, trifft das auch die Förderung neuer Künstler [...]"

     

    Es gibt immer noch eine Förderung neuer Künstler? Das ist ein Scheinargument. Musiker wie Grönemeyer (anfangs diverse gefloppte Alben) würden heute keinen Cent mehr bekommen.

  • J
    J.Branca

    "Ich war siebzehneinhalb Jahre in der Musikindustrie und habe nichts von dieser Copyrightänderung gewusst."

     

    1999 gelang es der RIAA, das seit 1978 geltende Recht (Rückrufmöglichkeit nach 35 Jahren) durch das Einfügen einer Klausel (Tonaufnahmen als "Work for hire") in ein Gesetz über Satellitensendungen auszuhebeln. Verantwortlich für diesen Trick war der republikanische Politiker Mitch Bainwoll, der kurz nach diesem Coup von der Politik in die Wirtschaft wechselte - und Vorsitzender der RIAA wurde.

     

    Gegen die Gesetzesänderung zum Nachteil der Künstler organisierten Don Henley und Sheryl Crow die Recording Artists Coalition, der es mit Unterstützung von Organisationen wie AFM, AFTRA usw. im September 2000 gelang, Tonaufnahmen wieder von der Liste der Auftragsarbeiten zu streichen.

     

    Von all dem hat Herr Professor Renner nichts mitbekommen?

     

    "Die Gema geht offensichtlich davon aus, dass sie pro ausgelieferten Stream vergütet werden muss. Spotify hingegen will wie Radio oder Fernsehen per Umsatz bezahlen. Anders ist ein solches Angebot auch nicht tragbar oder planbar. Die Umsätze haben beim Streaming nichts mit der Nutzungsintensität zu tun, sondern hängen von Werbung und bezahlten Abos ab."

     

    In Amerika zahlen Dienste wie Spotify, Pandora und die US-Internetradiosender alle pro Stream. Als On-Demand-Dienst ist Spotify etwas völlig anderes als Radio / TV. Weiß Herr Professor Renner dies nicht?

     

    Was soll so ein Interview? Herr Professor Renner spielt den Naiven (oder ist der wirklich so ahnungslos?), macht plumpe Propaganda für die Plattenindustrie - und die TAZ merkt es nicht mal.

  • FH
    Frau Holle

    @Norbert: Dem Infokasten in der Printausgabe ist Folgendes zu entnehmen: Eine Änderung der US-Copyright-Gesetze erlaubt es Künstlern, die Rechte für Aufmahmen ab 1978 nach 35 Jahren zurückzufordern. 2013 könnten die Plattenfirmen also erste Rechte verlieren. Einige Musiker haben bei der amerikanischen Copyright-Behörde bereits Anträge auf die Rechte gestellt, darunter Bob Dylan, Tom Petty, Bryan Adams, Loretta Lynn und Tom Waits.

  • N
    Norbert

    "Dabei gibt es die Gesetzesänderung, auf die sie sich beziehen, seit 1976." Tja, ätte mich ja schon interessiert, wie das Gesetz nun lautet und warum es niemand kennt.

  • T
    Tim

    Ob Springsteen oder Plattenindustrie ist doch eigentlich egal. Von der Rückgabe der Rechte an die Künstler profitieren doch nur die, die in den letzten 30 Jahren eh schon hoch- und runtergespielt worden sind und sich über mangelnde Einnahmen aus ihrem Musiker-Job nicht beschweren können. Gebt denen die Rechte und dann bleiben wir hoffentlich von der 30. Best-of-CD einer Rentnerkombo verschont.

     

    Wie man es dreht und wendet. Die Situation ist verfahren und lässt auch in den kommenden Jahren keine kreativen echten Schub erwarten. (jetzt bitte nicht mit den Inidi-Label kommen - das ist zu 99% auch nur alte Sosse neu zurechtgemischt).

  • BG
    Bernd Goldammer

    Der Musikindustrie wird nichts anderes übrig bleiben, als sich wieder um wirklich neue Dinge zu kümmern die bei den Leuten auch wirklich ankommen. In den fetten Jahrzehnten sind den Entdeckern die Instinkte abhanden gekommen. Jetzt ist Anstrengen angesagt. Dann wird alles wieder gut.

  • G
    Golem

    Creative Commons, Jamendo und Konsorten könnten ein mögliches Zukunftsszenario sein!

    Bis sich das durchsetzt, ist halt die schwieriger zu beantwortende Frage..

     

    Artikel zu Creative Commons und Verwertungsgesellschaften:

    http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wz_digital/digital_news/391357_Commons-to-the-People.html

  • HH
    Hans Hafner

    Lieber Herr Renner,

     

    sie waren in der entscheidenden Zeit Vorstandsvorsitzender von Universal und hatten die Möglichkeit, die Richtung zu ändern.

     

    Sie haben nichts getan! Das ist die Realität.

     

    Jetzt ist es leicht, andere Leute (GEMA, die für die eigentlich Urheber steht!!) verantwortlich zu machen. Damit fallen sie den allerschwächsten in dieser ganzen Konstellation in den Rücken.

     

    Das ist schwach und gehört sich nicht für jemanden, dem kreative Arbeit so viel ermöglicht hat im Leben.

     

    Keine Grüße

    Hans Hafner

  • T
    Toby

    So ein Blödsinn.

    Natürlich ist das Vinylalbum sowohl Format, als auch mögliche Kunstform. Und bei nicht wenigen Alben ist ebendieses natürlich ein Gesamtkunstwerk. Selbst die erzwungene Pause des Seitenwechsels von A nach B ("Platte umdrehen") wurde von manchen Musikern thematisiert. Und Korrespondenzen zwischen Covergestaltung oder Labeldesign und Musik gehörten in manchen Genres zeitweise zum Standard. So was kann man weder verlustfrei auf ein anderes Medium übertragen, noch verlustfrei in Auszügen verwerten.

    Man kann schließlich auch keine Visuelle Poesie als "Hörbuch" herausbringen.

     

    Meinetwegen befragt diesen Betriebswirtschaftler zu Vertriebswegen und Betriebswirtschaftlichkeit. Aber laßt ihn nicht ungestraft zu künstlerischen Aspekten faseln. Und wenn er hundert mal eine Fantasieprofessur inne hat.

  • O
    Ollver

    "weil sie den Anschluss an den digitalen Markt verpasst haben”

     

    Ja, das ist korrekt. Aber mittlerweile kann das als Ausrede keine Gültigkeit mehr haben. Napster war 1999, der iTunes Store und Musicload 2003 und Amazon MP3 2009. Wir sprechen hier von weit mehr als zehn Jahren, in denen nicht eine schleichende Entwicklung stattfand, sondern in denen beginnend mit Napster als große Explosion massive Umbrüche stattfanden, denen sich die Musikindustrie mit Absicht verschlossen hat.

     

    Problematisch sehe ich, wie Renner auch, dass die Plattenfirmen in den letzten Jahren die Investitionen in Künstler verringert haben. Die musikalische Entwicklung stagniert damit, sodass das Angebot aus altem Kram und schnell produzierter Konservenmusik oder Castingshows besteht. Die Querfinanzierung neuer Künstler mit den Einnahmen der großen blieb aus. Damit haben die Plattenfirmen ihr Ende eingeleitet - vermutlich aber auch das Ende vieler Künstler, die zu klein bleiben werden, um von ihrer Musik leben zu können.

  • DF
    der finne sein kater

    ich sehe mit Genuss dem Untergang der Musikindustrie entgegen - zumindest dem Teil, der sich von den antiken Geschäftsmodellen nicht verabschieden möchte.

     

    Ich kaufe (und spende!) eifrig über digitale Distributionskanäle (u.a. Jamendo), es geht mir also nicht um "Alles für lau!" sondern um "Alles für die Künstler!"