Regisseurin Liz Rech: "So, wir gehen jetzt in die Wüste"
Die Regisseurin Liz Rech liebt es, an ungewöhnlichen Orten Theater zu machen. Sie zeigt ihre Inszenierung "Blogosphere Iraq" diese Woche beim Spieltriebe-Festival in Osnabrück auf einem Kasernengelände.
taz: Frau Rech, was zieht Sie aus Hamburg auf ein verlassenes britisches Kasernengelände in Osnabrück?
Liz Rech: Für mich ist ein Festival wie Spieltriebe, das an ungewöhnlichen Orten Stücke zeigt, grundsätzlich interessant. Ich komme aus dieser Schule. Als ich angefangen habe, zu inszenieren, war das zum Beispiel in leer stehenden Kasernengebäuden oder alten Laboratoriumsgebäuden. Also an Orten, die eine Ausstrahlung und eine Geschichte haben und die man idealerweise nicht nur nutzt, weil sie Platz bieten, sondern weil sie auch dem Stück etwas Besonderes mit auf den Weg geben. Außerdem werden die Zuschauer so anders abgeholt. Im normalen Parkett gerät man leicht in einen Sesselschlaf und versinkt langsam immer tiefer im Plüsch. Reale Orte wirken ganz anders.
Ihr Stück, "Blogosphere Iraq" beruht auf zwei Blogs. Wie sind Sie darauf gestoßen?
Ich habe am Anfang sehr, sehr viele Blogs gelesen. Es gibt eine unglaubliche Menge, die während des Irak-Kriegs geschrieben wurden. Entschieden haben wir uns für zwei sehr gegensätzliche Blogs. Der eine kommt von Riverbend, einer Irakerin, die in Bagdad lebt, während die Stadt bombardiert wird. Der andere ist ein Blog von dem amerikanischen Soldaten Jonathan Trouern-Trend, der dort - wie er zumindest schreibt - "zu einer Mission ist, an die er glaubt". Schon daraus ergibt sich eine gewisse Opposition.
Worum geht es in den Blogs?
Die beiden haben einen ganz verschiedenen Fokus. Riverbend ist eine sehr politisch und analytisch denkende, engagierte junge Frau. Sie schreibt auch gegen das Klischeebild an, das viele von ihrem Land haben, und sie hat ein starkes Anliegen. Ihre Texte sind sehr emotional. Jonathan dagegen schreibt fast nur über die Vogelwelt des Irak, also in einer Form, wie man sie von einem Soldaten nicht erwarten würde. In ein paar Nebensätzen kommen zwar Kriegshandlungen vor, aber der Großteil seiner Aufmerksamkeit richtet sich auf Natur. Er hat einen sehr distanzierten, sehr kühlen, manchmal aber auch sehr poetischen Blick. Das gegeneinander zu setzen, fanden wir sehr spannend.
36, geboren in München, lebt heute in Hamburg. Nach ihrem Dramaturgiediplom studierte sie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Regie. Ihre Arbeiten bewegen sich oftmals zwischen Schauspieltheater, Installation und Performance. Rech ist Teil der Initiative "Komm in die Gänge" des Hamburger Gängeviertels.
Wie lässt sich denn ein Blog aus dem Internet auf die Theaterbühne bringen?
Das ist auch nicht so einfach. Wir haben gar nicht erst versucht, Riverbend und Jonathan auf der Textebene in einen künstlichen Dialog kommen zu lassen. Die Blogs selbst können sich nur in ihrer Unterschiedlichkeit kommentieren und spiegeln. Parallel zu den Texten findet aber ein intensiver körperlicher Dialog zwischen den Schauspielern statt.
Wie setzen die Schauspieler das körperlich um?
Es gibt eine sehr starke performative Ebene. Wir haben auf eine naturalistische, psychologische Spielweise überwiegend verzichtet. Auch weil wir gemerkt haben, dass wir eine unglaublich abgesicherte Generation sind, die den Krieg nie selbst erlebt hat. Wir wissen nicht, wie es ist, in einem Haus zu sitzen und bombardiert zu werden. Wir erfahren nur über die Medien davon.
Wird in dem Stück deutlich, dass Riverbend verschwunden ist? Ihr Blog endet ja 2007 mit der Flucht nach Syrien.
Ja. Wir haben uns entschieden, ihren ersten und ihren letzten Blog zu behandeln. Es ist bis heute nicht bekannt, ob Riverbend verhaftet wurde, ob sie gestorben ist, oder ob sie einfach nur das Gefühl hatte, dass es nichts mehr bringt zu schreiben. Vielleicht ist sie ja auch in eine Depression verfallen. Man weiß es nicht.
Sie haben das Stück im Schießkino inszeniert, wo die britischen Soldaten ihre Schießübungen gemacht haben. Was hat Sie an dem Ort fasziniert?
Ich habe mir viele Räume auf dem Gelände angeguckt. Am Schießkino fand ich das aufgemalte Landschaftspanorama an den sehr lang gezogenen Wänden interessant. Das ist sehr theateruntypisch, zumal das Publikum in der Mitte sitzt. Die Bühne führt um den Zuschauerraum herum. Man kann also nicht die gesamte Bühne wie bei einem Guckkasten im Blick behalten, sondern muss sich immer entscheiden, ob man nach links oder rechts oder sogar nach hinten guckt. Das fand ich interessant, weil es für die Wahrnehmung steht, die auch im Internet gilt. Man sieht immer nur Fragmente. Das ist ein sehr bruchstückhafter Blick auf Realität.
Wie sind Sie dazu gekommen, Theater zu machen?
Ich habe ein Praktikum gemacht bei einer Inszenierung von Shakespeares "Richard III.", mit einem unglaublich dicken Transvestiten in der Hauptrolle. Das war für mich eine grandiose Erfahrung.
Und dann?
Habe ich mich für den damals gerade neu gegründeten Studiengang Dramaturgie an der Bayrischen Theaterakademie beworben. Aber mir hat die Praxis gefehlt, sodass ich nach einem Semester erst mal nach Berlin gegangen bin. Da habe ich an Theatern gearbeitet, am Maxim-Gorki-Theater etwa als Regieassistentin. Das war relativ kurz nach dem Fall der Mauer, in einer Zeit der großen Umbrüche. Für mich war Berlin unglaublich spannend; die Stadt war am Brodeln. Als ich zurückkam, habe ich mich gelangweilt. Ich glaube, dass ich auch aus Langeweile heraus angefangen habe, zu inszenieren.
Wussten Sie da schon, dass Sie lieber als Regisseurin statt als Dramaturgin arbeiten wollen?
Ich habe lange gedacht, das mache ich nur so nebenher, ich werde eigentlich Dramaturgin. In die Regierolle reinzuwachsen, ist auch ein Prozess. Man wacht nicht eines Morgens auf und sagt: So, jetzt bin ich Regisseur. Man muss lernen, ein Team mitzunehmen. Wenn das gelingt, ist das immer wieder ein großer Vertrauensbeweis. Im Grunde genommen sagt man seinen Leuten: So, wir gehen jetzt in die Wüste. Aber vertraut mir. Ich weiß, wo es lang geht.
Trifft das Klischee vom Regisseur, der ständig rumschreit und Leute fertig macht, eigentlich zu?
Das ist ein Bild, das sich wirklich hartnäckig in den Köpfen hält. Mein Stil ist das nicht. Ich glaube, mir gehen gelegentlich auch mal die Nerven durch. Aber ich versuche, mich fair zu verhalten. Ich kann mit einer egomanischen Regieattitüde überhaupt nichts anfangen. Das ist natürlich auch eine Typfrage. Ich glaube, es gibt Leute, die Spaß an der Machtausübung in Gruppen haben. Mich interessiert das nicht. Ich möchte meine Partner ernst nehmen können. Das geht nicht, wenn ich sie klein mache. Außerdem komme ich aus kollektiven Zusammenhängen.
Wie meinen Sie das?
Bei meinen ersten Arbeiten in München habe ich immer Leute um mich gescharrt, die Lust hatten, an einem Thema zu arbeiten. Als ich eine Inszenierung in einem Unigebäude gemacht haben, bekam ich Anrufe von Künstlern aus München, die mich gefragt haben: Ich habe gehört, du machst da was in dem Gebäude. Ich würde gern mitmachen. Dann habe ich mit denen getroffen und gesagt: Du kannst einen Raum gestalten. Ich lasse dir Freiheit. Aber mir ist wichtig, dass wir uns alle mit einem Thema beschäftigen. Das ist hinterher angewachsen auf 30 Leute, die beteiligt waren. Da habe ich gemerkt, wie beglückend es sein kann, Leuten zu vertrauen.
Aber ist nicht gerade das deutsche Theatersystem sehr hierarchisch?
Selbstverständlich. Man sagt ja immer, das Theater ist das letzte feudale System. Ich finde es erstaunlich, dass diese Arbeitsstrukturen gerade in einem Bereich toleriert werden, in dem sich viele Leute versammeln, die sich tendenziell als progressiv, emanzipiert und eher links bezeichnen.
Sie haben sich vor zwei Jahren an der Besetzung des Gängeviertels beteiligt…
Ja, wir haben jetzt schon unser zweites Jubiläum. Unglaublich. Ich kann leider wegen der Proben beim Spieltriebe-Festival nicht dabei sein.
Hätten Sie damals damit gerechnet, dass Sie so lange in den Häusern bleiben?
Nein, überhaupt nicht. Das war eine Art künstlerische Intervention. Uns ging es nicht primär darum, die Polizei möglichst lange draußen zu halten. Wir haben stattdessen die Strategie der Öffnung verfolgt und in fast jedem Raum dieser zwölf Häuser Performances und Ausstellungen gemacht. Wir waren von dem großen Interesse der Bevölkerung in Hamburg überwältigt. Das war sicherlich auch unser Schutz gegen die Räumung.
Wie erklären Sie sich das rege Interesse?
Das Gängeviertel ist nur ein symbolischer Ort. Die Leute möchten überhaupt mehr Verantwortung bei der Gestaltung ihrer Städte übernehmen. Das Thema liegt in vielen Städten in der Luft. In Hamburg zeigt sich das an dem Initiativenzusammenschluss "Recht auf Stadt", zu dem auch das Gängeviertel gehört. Im Grunde genommen geht es um die Frage, wie wir im 21. Jahrhundert zusammenleben wollen. Da ist Stadtgestaltung ein wichtiges Thema.
Wie erklären Sie sich, dass die Leute sich wieder einmischen?
Ich glaube, die Leute haben es satt, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. In der Politik muss ein Umdenken stattfinden und größeres Vertrauen in die Selbstorganisation gelegt werden. Die Leute haben zunehmend das Gefühl, dass ihnen Handlungsmöglichkeiten verloren gehen, weil es so viele globale Probleme wie Klimaerwärmung und Kriege gibt. Das erzeugt eine Form von defensiver Lethargie, die nicht glücklich macht. Und ich glaube, wenn man im Kleinen anfängt, zu kämpfen, macht das Mut, das irgendwann auch im Großen zu tun.
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