Das Fremde ist in einem selbst

Erst Flüchtling, dann Fotograf: Alen Hebilovic dokumentiert die Spuren, die der Bürgerkrieg hinterließ – „Out of Bosnia“ in der Galerie Abel

Alen Hebilovic sitzt auf dem Sofa in seinem Fotolabor, das sich in einem Kreuzberger Souterrainraum befindet. Er ist ein energiegeladener Kommunikator, mit jungenhaft gewitztem Charme. Vermutlich hat dem 1973 in Bosnien geborenen Künstler diese Fähigkeit beim Überleben geholfen, als der Muslim während des Bürgerkriegs zwischen die Fronten geriet. Seine Familie wurde aus ihrem Haus vertrieben, Verwandte wurden ermordet.

Als Kontingentflüchtling macht sich Hebilovic mit Hilfe gefälschter Papiere ein paar Jahre jünger, so schafft er es, aus Bosnien rauszukommen, und landet 1993 in einem Auffanglager in Brandenburg. Deutschland hatten ihm Gastarbeiter früher als ein Land geschildert, in dem man das Geld nur von den Bäumen pflücken muss. Doch vor Ort erweist sich die Realität als Furcht erregend öde. Da Flüchtlinge nur geduldet sind, wird ihnen verwehrt, Deutschkurse zu besuchen. Hebilovic findet trotzdem ein Schlupfloch im Paragrafendschungel, und schon bald setzt er auch in der neuen Sprache seine Fähigkeiten ein. Er wird Vermittler und Betreuer im Flüchtlingsheim.

Hier, unter dem Druck einer zusammengewürfelten Gesellschaft, lernt er plötzlich Roma kennen, die ihm in seiner Heimat oft nur als Hausangestellte begegneten. Und der gelernte Elektrotechniker beginnt wieder zu fotografieren. Es entstehen Bilder vom Leben im Lager, mit denen Hebilovic 1996 an der Leipziger Buch- und Grafikhochschule angenommen wird. Obwohl er als Flüchtling einen Radius von 30 Kilometern nicht verlassen darf, erweitert er seinen Aktionsraum fortan ständig: 1997 organisiert er in der Berliner NGBK als Mitglied einer Arbeitsgruppe die Ausstellung „Duldung“ über Roma. „Das Fremde“, betont er auch heute noch im Gespräch, „das ist nur das Fremde in einem selbst, das was bereits vorhanden ist.“

Momentan hat er seine erste große Einzelausstellung in Berlin, in der Galerie Abel. Gezeigt wird ein Bilderfries, das wie eine große Montage seiner bisherigen Lebensstationen funktioniert. So sieht man Männer mit Maschinenpistolen, die auf muslimischen Gräbern tanzen. Damit zielt Hebilovic durchaus auf die Sensationsgier des Betrachters ab, auch wenn solche Bilder schon wenig später auf dörfliche Szenen stoßen. Nun sind es tanzende Roma, bosnische Stierkampfarenen und Aufnahmen aus deutschen Flüchtlingsheimen.

Bei den Aufnahmen zweier exhumierter Leichen kamen ihm Zweifel, ob er mit solchen Bildern nicht doch bloß das Klischee von „Schock und Betroffenheitskitsch“ erfüllen würde. Doch diese Bilder entsprachen ziemlich genau seinen täglichen Erfahrungen – musste er doch, auf Bitten seines Onkels, immer wieder in die Leichenhalle, um zu fragen, ob dessen Söhne vielleicht identifiziert wurden.

„Man muss die Augen des Fotografen sehen“, zitiert er Roland Barthes, fragt man ihn nach seinem Ethos als Fotograf. Und bei vielen Fotojournalisten aus Sarajevo, die den „Trip“ oder „Kick“, wie Hebilovic den Krieg bezeichnet, punktgenau ins Bild rücken, sieht man eben auch immer den Blick des Auftraggebers mit – zumeist sind es Redakteure aus dem Westen. Statt dessen liefert Hebilovic die Bilder, die fehlen. Keineswegs will er das Image vom Balkan bestätigen, das wir als Zuschauer bereits im Kopf haben.

Ob er damit bereits einem Kunstanspruch genügt, spielt für ihn keine Rolle. Hebilovic versteht sich als Dokumentarist im Sinne Cartier Bressons. Als dieser einmal gefragt wurde, was denn einen guten Dokumentaristen auszeichnet, hat Bresson gesagt: „Er sollte mit Nomaden durch die Wüste ziehen, und das zehn Jahre lang.“ Insofern sind die Arbeiten von Hebilovic tatsächlich als Langzeitstudie zu verstehen – anders als bei vielen Fotojournalisten, die von einem „Schauplatz“ zum nächsten reisen. Dagegen zeigen seine Fotos eben auch die neuen, von den Saudis spendierten Moscheen in seiner Heimat, an denen ihn wiederum deren postmoderne Hässlichkeit ärgert, überhaupt die Funktionalisierung von Religion für politische Zwecke.

Hebilovic lebt heute mit Frau und Kindern in Kreuzberg. Demnächst will er eine Dokumentation über sein Leben hier im Stadtteil vorbereiten. Vielleicht kann er eines Tages sogar zu jenem Pflaumenbaum zurückkehren, unter dem er seine Fotos aus Kriegstagen vergraben musste.

CHRISTOPH BANNAT

Bis 10. 12., Mi.–Sa., 14–19 Uhr, Galerie Abel Neue Kunst, Sophienstraße 18