Zyperns Herz soll wieder schlagen

In der geteilten Hauptstadt Nikosia macht man sich daran, die berühmte Ledrastraße wiederzuvereinigen. Doch nicht alle Ladenbesitzer sind von den Aussichten begeistert – und der griechische Präsident warnt vor einem türkischen Propagandatrick

AUS NIKOSIA KLAUS HILLENBRAND

Einst hieß sie die „Mördermeile“. Britische Soldaten, die die Ledrastraße in der Altstadt Nikosias zum Bummeln nutzten, wurden aus dem Hinterhalt ermordet. Die zyperngriechische Eoka-Guerilla trug ihren Kampf gegen die Kolonialherren zwischen Schuhgeschäften und Eisdielen aus – auf der wichtigsten Einkaufsstraße der Hauptstadt.

Das ist fünfzig Jahre her. Der Eoka-Einsatz für die Vereinigung Zyperns mit Griechenland aber bildete den Nukleus des Streits zwischen Inselgriechen und -türken. 1958 teilten erstmals Stacheldrahtverhaue die Ledrastraße in den südlichen griechischen und den nördlichen türkischen Teil. Im Bürgerkrieg an Weihnachten 1963 baute man dauerhafte Barrieren auf. 1974, nach dem griechischen Putsch und der türkischen Invasion in Nordzypern, entstand eine undurchdringliche Mauer, die sich bis heute quer durch Zypern zieht und Nikosia zur letzten geteilten Hauptstadt Europas macht.

Doch jetzt soll die hässliche Narbe aus Stacheldraht, Sandsäcken und leeren Öltonnen ein Loch bekommen. Schon bis Weihnachten will der zyperntürkische Bürgermeister Nikosias, Kutlay Erk, die Ledrastraße wieder öffnen. In der letzten Woche begannen Bulldozer, die Sperren auf türkischer Seite einzureißen. Da mag der griechische Amtskollege Michalis Zambellas nicht nachstehen: „Unser Ziel ist es, den Übergang bis Weihnachten zu eröffnen“, erklärte er der Cyprus Mail. Noch fehlten jedoch eine Stellungnahme seiner Regierung und das Einverständnis der UN-Friedenstruppen, die die Pufferzone überwachen.

Hasan, ein zyperntürkischer Architekt im Dienste des UN-Entwicklungsprogramms, ist optimistisch: „Das wird klappen.“ Er präsentiert Fotos aus der Pufferzone, die Häuser mit leeren Fensterhöhlen zeigen und Wände, die zusammenzubrechen scheinen. Hasan erklärt, wo die Abfertigungshäuschen der Polizei stehen werden. Seit dem Frühjahr 2003 hat die zyprische Mauer ein Loch. Der Übergang liegt draußen vor der Altstadt am ehemaligen Ledra Palace Luxushotel, das heute eine UN-Kaserne ist. Autos müssen noch weiter draußen die Linien wechseln.

Die Öffnung der Ledrastraße wäre ein Symbol in dem festgefahrenen Zypernkonflikt. „Die Ledra ist das Herz der Hauptstadt und damit das Herz der ganzen Insel“, meint der griechische Ladenbesitzer Marios Kritikos. „Es wird so sein wie in den guten alten Zeiten“, freut sich der türkische Händler Meyrem Ozyesir. „Früher interessierte sich niemand dafür, ob jemand Grieche oder Türke war. Wenn du das hattest, was die Leute kaufen wollten, dann sind sie zu dir gegangen.“

Doch nicht alle Gewerbetreibenden sind von den Aussichten einer Straßenwiedervereinigung begeistert. Manche Griechen fürchten die günstigeren Preise im Norden. „Sehr schlecht fürs Geschäft“ sei das, gibt etwa Andreas Makedonas gegenüber der Cyprus Mail zu Protokoll.

Ob das Herz der Stadt zu Weihnachten wieder pulsieren wird, steht dahin. Denn im kalten Krieg von Nikosia stehen alle Kontakte unter Generalverdacht. Die isolierte Verwaltung der Türken wirft dem griechischen Präsidenten Tassos Papadopoulos vor, eine Zypernlösung zu blockieren. Die griechische Regierung unterstellt dem türkischen Präsidenten Mehmet Ali Talat, nur auf eine Anerkennung des eigenen Staats hinzuarbeiten. „Ich traue Talat nicht“, sagt Regierungssprecher Kypros Chrysostomides der taz, und drückt aus, was viele seiner Landsleute denken. „Manch einer, der regelmäßig auf die türkische Seite reist, wird als Verräter gebrandmarkt“, berichtet ein griechischer Friedensaktivist. Wegen fehlender Gemeinsamkeiten beider Seiten haben die UN die Verhandlungen auf Eis gelegt.

Fünf Übergänge existieren zwischen Nord und Süd auf Zypern. Der letzte, im Westen bei Zodhia, sollte Ende letzten Jahres eröffnet werden. Doch die zyperngriechische Regierung fand stets Gründe für eine Verschiebung des Termins. Sie verlangte die Öffnung von acht neuen Grenzstationen, darunter auch einem an der Ledrastraße. Das lehnten die Türken ab. Vor zwei Monaten machten die Zyperntürken den Checkpoint Zodhia im Alleingang auf. Den Griechen blieb nichts übrig, als sich anzuschließen.

Das Spiel könnte sich wiederholen. Präsident Papadopoulos warnte am Wochenende, die Wiedervereinigung der Ledrastraße könne ein „Propagandatrick“ der Türken sein. Regierungssprecher Chrysostomos erklärte gar, man werde türkische „militärischen Vorteile“, die sich aus einer Grenzöffnung ergäben, nicht akzeptieren.

Kein gutes Omen für ein großartiges Weihnachtsgeschäft an der Ledrastraße.