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Kolumne GerüchteGesundes an der Uferfront

Werden wir im Alter linker oder rechter? Auf Gerhards Housewarmingparty gibt es Antworten.

F reddy, ehemals Hausbesetzer, hat vor Jahrzehnten in den Besetzerräten das große Wort geschwungen. Heute ist er im Immobiliengeschäft tätig und erzählt den Investoren, dass gerade der Wedding ein Bezirk mit Zukunft sei. "Früher war er Linker, heute ist er Ablinker", hat eine Bekannte mal über Freddy gespottet, der übrigens nett ist und kürzlich wieder Hunderte von Euros gegen den Hunger in Afrika gespendet hat. Freddy ist auch auf Gerhards Housewarming-Party eingeladen.

Gerhard hat mit der Entwicklung medizinischer Software viel Geld verdient und ein Haus am See gekauft. Vor vielen Jahren, als seine Geschäfte schon gut liefen, beichtete mir Gerhard, er wähle jetzt nicht mehr die Grünen wie früher, sondern die FDP. "Ich habe die Schnauze voll davon, dass es ein Verbrechen sein soll, erfolgreich zu sein und Geld zu verdienen", hatte er gesagt. Linke Politik sei "lebensfeindlich".

Gerhard bestätigte damals die Theorie der "Aufsteigerwahl" - danach wählte angeblich FDP oder CDU, wer es in das sogenannte Establishment schaffte. Wer sich dagegen als Absteiger empfand und nicht zurecht kam in der Leistungsgesellschaft, entschied sich eher für die Linkspartei. Schöne Theorie. In Wirklichkeit sind die Kriterien persönlicher. Davon bin ich seit Gerhards Einweihungsparty überzeugt.

taz
Barbara Dribbusch

ist Inlandsredakteurin der taz.

"Ich wähle zum ersten Mal die Linke", sagt N., als wir auf Gerhards Terrasse zusammenstehen und über die Wahlen in Berlin plaudern. "Der rote Wirtschaftssenator ist okay. Und man muss ein Zeichen setzen. Die Reichen könnte man nun wirklich höher besteuern." N., demnächst pensionierte Lehrerin, will in ein Mehr-Generationen-Wohnprojekt ziehen. Sie hat eine lange Krankheitsphase hinter sich, das habe sie "nachdenklich" gemacht, hat sie mir erzählt. Früher wählte sie die Grünen. Doch wenn man die eigene Endlichkeit spürt, wird man ein bisschen mehr links, denkt mehr an das Soziale, so mein Eindruck. Auch der US-Multimilliardär Warren Buffett will mit 81 Jahren endlich höher besteuert werden.

Gerhards alte Bekannte Lise hat auch eine Entscheidung getroffen. Sie will "nicht mehr die Grünen, sondern die SPD wählen", sagt sie. Schließlich habe sie proletarische Vorfahren gehabt, und die hätten es "ohne sozialdemokratische Politik nie in die Mittelschicht geschafft. Man muss sich auf seine Wurzeln besinnen." Wir haben alle schon Prosecco intus.

Von Gerhard weiß ich, dass er die FDP verachtet, seitdem sie auf ihren Plakaten das "Croissants bestellen in Paris" als besonders weltmännisch pries. "Ich muss zum Glück nicht wählen", sagt Gerhard fröhlich, "schließlich wohne ich jetzt in Brandenburg." Freddy gesellt sich zu uns. Er war zuvor von einem Gast gefragt worden, ob auch ein Grundstück an einem Uferweg als "Wassergrundstück" gelte. Nur mit eigener Uferfront zähle es als wertvolles "Wassergrundstück", hörte ich Freddy erläutern. "Wen wählst du eigentlich?", frage ich ihn. "Neuerdings wieder die Grünen", sagt Freddy und grinst. "Im Alter kommt man wieder auf den Naturtrip, man will was Gesundes." Endet so die Politik? Ich muss auf der Heimfahrt drüber nachdenken.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

4 Kommentare

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  • MG
    matchstick girl

    Was einen ehemaligen Hausbesetzer zum Immobilienmakler macht, bleibt rätselhaft. Gesund klingt das nicht. Naja, vielleicht wacht der Mann ja noch auf und merkt, dass Geld allein nicht glücklich macht und dass der Verrat ehemaliger Ideale tatsächlich krank machen kann.

     

    @Alexander

     

    Sie pauschalisieren, wo es konstruktiver, erkenntnisreicher wäre zu differenzieren.

     

    Alles umsonst auf dieser Welt, nicht wahr? Ein mittelloser Mensc hat Entscheidungs- und Handlungsspielräume? Prägungen der Kindheit spielen keine Rolle, welcher Weg im Leben eingeschlagen wird? Ob das Elternhaus/die Familie fördert und auffängt ist wurscht? Verantwortung gegenüber anderen, gesellschaftlicher Druck hat keinerlei Einfluss und Bedeutung?

     

    Wer in seiner Zerissenheit Selbstmord verübt, hat nach ihrer Logik sicherlich auch noch selbst schuld.

  • BA
    bitte anonym

    Gibt es wirklich von der Legislatur aus Unterschiede ob man nun die SPD, FDP, CDU, Die Gruenen, und wie sie nicht alle heissen, waehlt ?

    In der Auslegung der Partei schon, aber in der Realiaet, wenn man sich genau ansieht ( kann man ja; ist ja alles offen zur besichtigung) we're den fuer was gewaehlt hat, kommt es im endeffekt nur auf eines aus : Wirtschaft !

     

    Ein Abgeordneter, MDB, egal welcher Partei, hat wie viele Leute in seinem Buero taetig ? Und die haben wieviel Einkommen im Jahr, garantierten Urlaub, usw ?

    Da werden die Steuergelder gleich verteilt, egal welche Partei. Keiner will weniger in Anspruch nehmen damit den ' Armen' mehr Geld zukommt, oder ?

     

    Ich wuensche ihnen etwas Frau Driebusch. Das sie eine sehr Erfolgreiche Schriftstellerin und in den Hoechststeuersatz kommen, welches bedeutet das sie mehr als 50% an Steuern zahlen muessen. Und da sie sehr erfolgreich werden, was ich ihnen von :erzen wiensche, ein Haus kauften, und dann Jaehrlich die Grundsteuer bezahlen muessen. Sie als erfolgreiche Frau einen Agenten, Manager und Publizisten engagieren koennten/werden/wuerden, welche 10 bis 15% jeder von ihrem Honorar/gage bekommen.

     

    Hinzu kommt das sie einen Buchhalter/steuerberater braeuchten, denn wenn man sehr erfolgreich wird geht kein 1eg daran vorbei. Der wird ca.5 % vom einkommen kosten, oder hat ein festtarif was mehr kosten koennte.

    Als so eine super Erfolgreiche Frau, die sich diesen Erfolg mt harter arbeit verdient hat, muessen sie, weil sie nicht mehr so viel Zeit fuer einiges haben, evtl. eine Assistentin engagieren die die Termine usw. Aufschreibt. Muss nicht, aber ich wuensche ihnen ja ungeheuren Erfolg - es koennte helfen.

    Unde evtl. Eine Haushilfe, weil sie muessen sich auf termine, und vor allem das schreiben konzentrieren, nicht auch noch schmutzige waesche waschen...

     

    Ich wuensche es ihnen, und wuensch mir dann in einigen Jahren wieder etwas von ihnen zu lesen.

  • A
    Alexander

    Es gibt halt keine, aber auch gar keine Regeln dafür, wie man im Alter angeblich wird oder wie man in der Jungend angeblich noch nicht ist.

    Alles Gequatsche darüber soll einen nur darüber hinwegtäuschen, dass man außer Essen, Schlafen und Sterben überhaupt nichts muss und alles andere komplett der eigenen Entscheidung sowie den gesellschaftlichen Entscheidungen unterliegt.

     

    Dass ist nämlich nicht leicht zu ertragen. Es gibt kaum Notwendigkeiten, dafür ist man - weil man alles selber entscheidet - auch an allem selbst schuld. Sich einzureden, dass käme von einem bestimmten Lebensalter (Geschlecht, Nationalität, Kindheit, bla..) aufgrund derer man ganz schlicht nicht anders könne, ist da natürlich ungleich bequemer.

  • P
    polyphem

    "..Ich muss auf der Heimfahrt drüber nachdenken.."

    Nehmen Sie bitte eine Tüte mit, für den Fall, dass der Prosecco Sie über den Haupteingang wieder verlassen will, was als Ergebnis des Nachdenkens über ihre "Freunde" ja möglich wäre.