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Borussia DortmundGesucht: Gier

Katerstimmung beim Deutschen Meister: Der Verein sucht nach Gründen für den verkorksten Saisonstart. Das sollte schnell gehen, denn große Aufgaben stehen an.

Resignation bei den Schwarz-Gelben: die Leidenschaft ist abhanden gekommen. Bild: dpa

DORTMUND taz | Auch in Dortmund waren vor dem siebten Spieltag der immer noch jungen Bundesligasaison die Geschehnisse beim Nachbarn aus Gelsenkirchen das beherrschende Thema. Der für alle überraschende Rücktritt von Ralf Rangnick beim FC Schalke 04, der an einem Burn-out-Syndrom leidet, beschäftigt BVB-Trainer Jürgen Klopp, der sich dem Kollegen freundschaftlich verbunden fühlt. Die Auszeit Rangnicks mache ihn "nachdenklich", sagt Klopp, der den 53-Jährigen als "extrem engagierten und streitbaren Kollegen kennen- und schätzen gelernt" hat.

Zu dieser Gattung von Trainern darf auch Klopp selbst gerechnet werden, auch wenn er im Arbeitsalltag oft als charmanter Plauderer glänzt. Das ändert nichts daran, dass der 44-Jährige den Ist-Zustand seiner Mannschaft stets messerscharf analysiert und Defizite knallhart anspricht. Zuletzt hatte Klopp dazu auch reichlich Gelegenheit, schließlich ist der Saisonstart für die Borussia reichlich holprig verlaufen.

Sieben Punkte aus sechs Spielen und Platz elf in der Tabelle - schlechter ist seit 1984 kein amtierender Meister in die Bundesliga gestartet. Damals hatte der VfB Stuttgart den Titel geholt, am Ende wurden die Schwaben Zehnter. In diesen Sphären wollen sich die Dortmunder nicht dauerhaft aufhalten. Und doch müssen sie sich damit beschäftigen, warum das Team nach dem fantastischen Durchmarsch zum Titel in die Mittelmäßigkeit abgedriftet ist.

Daran, dass das junge Ensemble durch die vielen Feierlichkeiten satt geworden sei, kann es kaum liegen. Einer wie Kevin Großkreutz gehört immer noch zu den größten Kilometerfressern der Liga, und auch die übrige Belegschaft in Schwarz-Gelb schafft es weiterhin regelmäßig, weitere Wege als der Gegner zu gehen und mehr Ballbesitz zu erkämpfen.

Was fehlt, ist die Fähigkeit, aus dieser Überlegenheit etwas Positives zu kreieren. 34 Großchancen haben sich die Dortmunder laut Statistik des Kicker bislang erspielt und davon lediglich 20,6 Prozent genutzt. Das ist der schwächste Wert der gesamten Liga. Der verletzte Lucas Barrios, der wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen ist, wird im Offensivzentrum schmerzlich vermisst. Sein Vertreter Robert Lewandowski (zwei Saisontore) vertritt den Mann aus Paraguay zwar leidlich, doch die Fähigkeit des früheren Welttorjägers, einen Angriff auf den Punkt zu bringen, geht dem Polen ab.

Die Leichtigkeit ist weg

Nun ist das Phänomen nicht neu, dass die stürmischen Borussen reichlich verschwenderisch mit ihren Chancen umgehen. Doch in der Meistersaison konnten sie sich diesen Luxus erlauben, weil die Hintermannschaft ohne Fehl und Tadel agierte. Das hat sich geändert: Bei der schmerzhaften 1:2-Niederlage in Hannover kassierte der BVB bereits sein viertes Gegentor nach einer Standardsituation. Zum Vergleich: In der gesamten vergangenen Spielzeit waren es nur drei.

Dafür allein die Manndecker verantwortlich zu machen, wäre zu kurz gedacht. Borussia Dortmund hat ganz offensichtlich auch Schwierigkeiten davor. Auf der für das defensive Gefüge enorm wichtigen sogenannten Doppel-Sechs klafft eine Lücke, seit Nuri Sahin zu Real Madrid abgewandert ist. Wenn dann auch noch - wie in Hannover - Sven Bender ausfällt, haben die Dortmunder ein unübersehbares Problem. Als der Meister in der Schlussphase von seinem Gegner überrannt wurde, waren Antonio da Silva und Ilkay Gündogan nicht zu sehen.

Vier Monate nach den rauschhaften Feierlichkeiten ist die Leichtigkeit im Revier verschwunden. Die Dortmunder Ruhr-Nachrichten konstatierten, die Mannschaft habe sich selbst auf eine "Leidenschaftsdiät" gesetzt. Das sieht Klopp ähnlich: "Uns hat die Gier gefehlt", kritisierte Dortmunds Trainer. Nun gilt es, diese Tugend möglichst umgehend zu reanimieren. Schließlich warten mit dem heutigen Spiel in Mainz und der Champions-League-Begegnung in Marseille richtungweisende Aufgaben. Bei weiteren Rückschlägen droht dem Meister ein ungemütlicher Herbst.

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