Prozess gegen psychisch kranken: Ohne Recht auf Unterbringung
Ein an Schizophrenie leidender Angeklagter will und müsste stationär behandelt werden - doch dem Landgericht fehlt die Handhabe, und die Kliniken wiesen ihn wiederholt ab
Klemens H. ist psychisch schwer, unheilbar erkrankt. Er selbst forderte, immer wieder, wieder in der Psychiatrie aufgenommen zu werden. Here Folkerts, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie sagt: Der Mann muss auf jeden Fall stationär behandelt werden, ansonsten ist er eine Gefahr. Die Staatsanwaltschaft hat "Unterbringung!" in fetten Lettern schon auf ihre Anklageschrift geschrieben. Doch das Landgericht sagt: "Wir sind nicht ohne weiteres in der Lage, dieses Ziel umzusetzen." Und beim Sozialpsychiatrischen Behandlungszentrum des Klinikums Bremen-Nord haben sie H. wiederholt abgewiesen, zum Teil mit Polizeigewalt. Dort hat er ebenso Hausverbot wie im Krankenhaus Bremen-Ost.
Derzeit ist der 49-Jährige wieder einmal angeklagt, vor dem Landgericht, und in erster Linie wegen Hausfriedensbruch. Und das ist auch schon das "Dilemma", wie Richter Christian Zorn es nennt. "Wir sollten, müssten die Entscheidung treffen." Also das tun, was der Gutachter für richtig, was die Anklage für dringend geboten hält. "Aber wir können nicht". Wegen Hausfriedensbruch kann man niemand so einfach auf Dauer in den Maßregelvollzug sperren. Da ist zwar noch ein Delikt, was die Polizei mal als Mordversuch handelte. Doch bei näherem Hinsehen, da sind sich bei Gericht alle einig, ist das noch nicht einmal als versuchte Körperverletzung zu werten. Das ist kein Fall für ein Landgericht.
Und doch: Klemens H. hat eine schizophrene Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung. Außerdem gilt er als langjährig cannabisabhängig, nahm zudem oft Kokain und das Beruhigungsmittel Diazepam. Er gilt als "erheblich vermindert steuerungsfähig", momentan ist er im Gefängnis. Zwischen 1985 und 2000 saß er in der Forensik, nachdem er vorher insgesamt 43 Monate Jugendstrafe verbüßte. "Die letzten 30 Jahre war ich eingebunkert", sagt er einmal. "Wie soll man da klarkommen?"
Entsprechend lang ist auch die Liste seiner Straftaten. Früher waren es wiederholt Diebstähle, später kamen Brandstiftungen dazu, Unterschlagung und eine sexuelle Nötigung. Im Klinikum Bremen-Ost gibt es eine Sozialpädagogin, der er sich auf 20 Meter nicht nähern darf, weil er sie "massiv terrorisiert" hat, wie sie sagt. "Eine ambulante Betreuung ist zum Scheitern verurteilt", schrieb sein Betreuer zuletzt immer wieder. Dennoch haben sie es in Bremen jahrelang versucht, und eine Zeit lang ging es wohl auch ganz gut, solange H. seine Psychopharmaka noch nicht durch Drogen ersetzt und noch regelmäßig in der Behindertenwerkstatt des Martinshofs gearbeitet hat. Doch selbst dort haben sie ihm gekündigt.
Zwischen August und Oktober vergangenen Jahres war er dann mindestens 20 Mal am Klinikum Bremen-Nord, was die Staatsanwaltschaft als "Hausfriedensbruch" ansieht, zumal er wiederholt mit Gewalt, sogar Mord gedroht, Äpfel und Steine geworfen haben soll. Er habe sich "ohne medizinischen Grund" in der Ambulanz des Sozialpsychiatrischen Behandlungszentrums aufgehalten, heißt es in der Anklage an einer Stelle, ein anderes Mal wird er so zitiert: "Ich bin psychisch krank. Ich habe ein Recht hier reinzukommen." Die Klinik sah das anders. Und holte die Polizei.
Gutachter Folkerts spricht von einer "Eskalation". "Brandstiftungen sind für Sie nichts ungewöhnliches" sagt ihm Richter Zorn. Doch das Gericht wird möglicherweise zunächst versuchen, sich in ein neues Verfahren zu retten. Aufklärungsbedarf gibt es: H. soll wiederholt Menschen "massiv unter Druck" gesetzt haben, um an Geld zu kommen. Mit Erfolg. Und die AOK soll ihm ohne nähere Prüfung fünfstellige Summen für Taxifahrten ins Klinikum Bremen-Ost überwiesen haben. Ermittlungen oder Anzeigen gab es weder im einen noch im anderen Fall. Am Ende muss ihn das Landgericht womöglich freilassen. Dann wäre das Betreuungsgericht wieder am Zug. Es könnte H. auch so einweisen, wegen Selbst- und Fremdgefährdung. Doch bislang ist auch da nichts passiert.
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