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Die WahrheitEis in Flammen

Die Island-Woche der Wahrheit: Kochende Leidenschaft im Geysir.

D er Debütroman "Tölt" des jungen isländischen Autors Gjúki Eyfirsingur wird, wenn man den ihm vorauseilenden Gerüchten Glauben schenken darf, auf der Frankfurter Buchmesse 2011 massiv für Furore sorgen. Hier kommt eine exklusive Leseprobe:

Mit dem langgezogenen und durchdringenden Ruf: "Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha!", der schon aus weiter Ferne zu vernehmen war und den Feinden Hrafnhildurs Schauer des Entsetzens über die Haut jagte, kündigte die Königin von Island ihre Heimkehr auf die Insel an. Nicht lange dauerte es, bis die Silhouette von Heisa-Rausur, dem prachtvollen Hengst, im gestreckten Tölt zwischen zwei Vulkanen auftauchte. Heisa-Rausur ließ sich nur von seiner Herrin Hrafnhildur bändigen, und er hatte sie schon sicher durch viele Schlachten und Drachenkämpfe getöltet.

Doch nun war die Zeit der Kriege vorbei, denn eine Magierin hatte Hrafnhildur geweissagt, dass sie genau heute an dem Geysir, zu dem Heisa-Rausur sie instinktiv tragen würde, dem Recken begegnen sollte, der ihrer würdig sei und es mit ihr aufnehmen konnte. Hrafnhildurs ungebändigten, langen, roten Haare wehten wild im Wind und erweckten den Eindruck, Hrafnhildurs Haupt stünde in lodernden Flammen. Ihr üppiger Körper war durch einen Brustpanzer geschützt, und mit der rechten Hand hatte sie das Schwert Ímaldur hoch in den Himmel gereckt.

Heisa-Rausur übersprang leichtfüßig einen Lavastrom, dessen leuchtende Glut das aufspritzende Wasser des Geysirs, an dem Heisa-Rausur nun zum Stehen kam, in ein unwirkliches Farbenspiel verwandelte. Hrafnhildur ließ sich vom Rücken des edlen Tieres gleiten und blickte mit funkelnden Augen um sich, bis sie entdeckte, wonach sie gesucht hatte.

Mit dem langgezogenen und durchdringenden Ruf: "Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha!" rammte sie Ímaldur bis zum Schaft in einen Felsen von Eisen und Eis. Nur wer stark genug war, Ímaldur aus diesem Felsen wieder herauszuziehen, war ihrer würdig, nur ihm würde sie sich hingeben. Ihr brünftiger Lockruf "Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha!" schallte über ihr ganzes Reich …

Tiefer, dichter Nebel lag über der See, die das prunkvolle Schiff beinahe lautlos durchglitt. Lásvörsur kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Langsam zeichneten sich die Konturen Islands durch die nebelige Dämmerung ab. Lásvörsur konnte sein eigenes Herz schlagen hören, es schlug viel zu heftig, und Lásvörsur glaubte, seine drei Gefolgsmänner Kveldúlfur, Náttzrymur und Úsi würden es auch hören müssen.

Doch die starrten nur - angespannt wie er selbst - in immer dunkler werdendes Dunkel. Lásvörsur, der als Findelkind beim König von England aufgewachsen war und nichts von seiner Abstammung wusste, wurde einst von einem Magier geweissagt, dass er einmal seine eigene Schwester begatten und zur Frau nehmen würde. Um diesem Schicksal zu entgehen, hatte Lásvörsur das Königreich verlassen und eine lange Reise angetreten, die ihn nun vor die Küste Islands führte.

Plötzlich erhob sich ein Sturm, der das Schiff unsanft an den schroffen Klippen der Insel zerschellen ließ. Lásvörsur hörte noch die verzweifelten Schreie seiner sterbenden Kameraden Kveldúlfur, Náttzrymur und Úsi - dann wurde alles schwarz um ihn …

Als er zu sich gekommen war, fand er sich in der Obhut dreier Elfen wieder, die sich ihm als Asalgeirr, Blóshófur und Eyfir- singur vorstellten. "Heil Dir, Lás- vörsur, künftgem König von Island, Herrscher über die Nordinsel!", zischelten Asalgeirr, Blós- hófur und Eyfirsingur mit feinen Stimmchen, die wie das Rascheln getrockneten Laubes klangen. Lásvörsur schüttelte wild sein flammenrotes Haar, zog sein Schwert Hámósur, und noch ehe Asalgeirr, Blóshófur und Eyfir- singur "Björk" zischeln konnten, waren sie schon dahin.

Da erklang Hufschlag, und aus der Ferne töltete Heisa-Rausur herbei, so schnell, dass seine Hufe sprühende Funken auf den nackten Felsen schlugen. Vor Lásvörsur bäumte er sich auf, Lásvörsur schwang sich auf seinen Rücken, und schnell wie ein isländischer Blitz trug Heisa-Rausur Lásvörsur zu dem Geysir, an dem seine Herrin Hrafnhildur wartete.

Als Hrafnhildur und Lásvör-sur einander erblickten, da wussten sie, dass eine unerklärliche Seelenverwandtschaft sie für immer untrennbar miteinander verband. Doch Hrafnhildur, die Königin von Island, musste erobert werden. Lásvörsur, der sein Schwert Hámósur beim wilden Ritt auf Heisa-Rausur verloren hatte, zog ohne viele Worte das Schwert Ímaldur aus dem Felsen von Eisen und Eis und zertrennte mit einem einzigen Schlag Hrafnhildurs Brustpanzer. In diesem Augenblick brach der Vulkan Eyjafjallajökull aus und tauchte die nun folgende, aber vom Lektor wegen Anstößigkeit gestrichene Szene, in ein märchenhaftes Licht.

Und noch lange hörte man in dieser Nacht Hrafnhildurs lustvollen und eindringlichen Ruf "Hojotoho! Hojotoho! Heiaha! Heiaha!" über die Insel schallen.

"Tölt". Ullstein, Berlin 2011, Hardcover, 780 Seiten, 29,90 Euro

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Corinna Stegemann
Wahrheit-Autorin
Jahrgang 1966, studierte Germanistik, Geschichte und Politik an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Neben dem Studium jobbte sie in verschiedenen Bereichen am Wolfgang Borchert Theater und war Mitarbeiterin des legendären Fanzines Luke & Trooke. Von 2000 bis 2013 war sie Wahrheit-Redakteurin. Dort schrieb sie 95,73% der Kurzgeschichten im Wetterkasten.

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