piwik no script img

Streitgespräch über Schule und Online"Kein Computer in der Grundschule!"

Killerspiele bringen Bildungsverlierer hervor, sagt Kriminologe Christian Pfeiffer. Die Web-2.0-Forscherin Ute Pannen hingegen fordert einen Laptop für jedes Kind.

Keine Computerwelten, nirgends: Deutsche Grundschulen 1953. Bild: knallgrün / photocase.com
Interview von C. Füller und T. Konitzer

taz: Frau Pannen, Herr Pfeiffer, alle Täter bei Schulmassakern haben Ego-Shooter gespielt, meistens exzessiv. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Killerspielen im Netz und dem Morden in der Realität?

Ute Pannen: Nein, es gibt keinen Zusammenhang zwischen Online-Gaming und Massakern. Das Internet ist Spiegel unserer Gesellschaft. Da passieren die gleichen Dinge wie in unserem Alltag, auf dem Schulhof, auf der Straße und, leider, auch beim Verbrechen.

Christian Pfeiffer: Wer regelmäßig solche Spiele spielt, der desensibilisiert sich gewissermaßen für das, was er anrichtet. Er stumpft seelisch ab. Seine Hemmungen, mögliche Tatfantasien umzusetzen, nehmen ab.

Das eine löst das andere aus?

Pfeiffer: Nein, man wird kein Amokläufer, weil man Killerspiele gespielt hat. Der Hass auf die Menschen, die man tötet, ist nicht im Netz, sondern im realen Leben entstanden.

Pannen: Kein seelisch stabiler Mensch steht am Tag nach so einem Spiel auf, um seine Mitschüler zu erschießen. Der normale Nutzer, der einmal pro Woche ein Spiel konsumiert, wird durch ein solches Spiel nicht ferngesteuert und nicht hypnotisiert.

Kinder & Web

Kinder und Jugendliche und das Web: Gibt es mehr Möglichkeiten zur Partizipation - oder gehen Kinder in den Traum- und Zap-Welten des Netzes verloren? Das wollten die "Neue Gesellschaft - Frankfurter Hefte" und die taz wissen - und luden Ute Pannen und Christian Pfeiffer zum Streit darüber ein.

***

UTE PANNEN, 32, ist Web-2.0-Expertin und Beraterin für Social-Media-Strategien. Sie begleitete den Web-2.0-Wahlkampf Barack Obamas in den USA als Visiting Scholar an der Columbia University in New York.

CHRISTIAN PFEIFFER, 67, ist medienwirksamer Computerkritiker und Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts an der Uni Hannover.

***

Das Gespräch moderierten Tobias Konitzer, Mitarbeiter der "Frankfurter Hefte", und der taz-Redakteur Christian Füller.

Herr Pfeiffer, warum werden nicht alle Spieler im richtigen Leben zu Tätern?

Pfeiffer: Die Studien zeigen, dass ein gewaltverstärkender Effekt nur bei denen zu beobachten ist, die bereits gefährdet sind. Damit meine ich die geprügelten Jungs, die im Leben nicht erfolgreich sind, die schwach auf den Beinen sind und sich deswegen stark geben müssen. Diese Jungen wählen Spiele, die Abenteuer verheißen, in denen sie Kämpferrollen einnehmen. Für mich ist übrigens nicht die entscheidende Frage von Killerspielen, ob sie jemanden zur Waffe greifen lassen. Mich interessiert die säkulare Leistungskrise der Jungen.

Was meinen Sie damit?

Pfeiffer: Wir haben heute 30.000 weniger männliche Abiturienten als weibliche - obwohl es 1990 noch gleich viele waren. Von 100 Schulabbrechern sind 63 Prozent männlich und von den Sitzenbleibern 62 Prozent. Ursache dafür ist, dass die Jungs viel zu viel Zeit mit dem exzessiven Konsum von Games verplempern. Kurz gesagt: Killerspiele bringen nicht Barbaren hervor, sondern schlicht Bildungsverlierer.

Frau Pannen, Herr Pfeiffer, bereiten die Schulen Kinder auf diese virtuelle Welt verantwortungsvoll vor?

Pannen: Nein, in Schulen muss das Lernen mit Computern viel stärker integriert werden. Die Schüler müssen einen bewussteren Umgang mit allen Online-Medien lernen.

Pfeiffer: Ja, die Schulen haben hier ein großes Defizit. Die meisten Lehrer sind überhaupt nicht imstande, Kindern etwas zu den Computerwelten zu erklären - weil die davon viel mehr verstehen.

Pannen: Was man nicht den Lehrern vorwerfen kann, weil auch sie nicht darauf vorbereitet wurden. Selbst junge Lehrer haben keine Unterstützung innerhalb ihrer Ausbildung, den Umgang mit Internet und Social Media vernünftig zu lernen.

Die Jugendlichen sind online viel besser als die Lehrer.

Pfeiffer: Das ist ja das Problem. Von allein lernen Schüler keinen vernünftigen Umgang mit Computern. Fast 16 Prozent der 14- bis 16-jährigen Jungen sind täglich mit viereinhalb Stunden Computerspielen dabei, von den Mädchen aber nur 4 Prozent. Wenn man Wochenende und Ferien einbezieht, dann verbringen Jungen mehr Zeit zu Hause sitzend vor dem Bildschirm als in der Schule. In meinen Augen ist das eine kranke Welt - und eine krank machende.

Wie können Schule und Staat darauf reagieren?

Pfeiffer: Wir brauchen eine Ganztagsschule, die nicht nur ans Lesen und Schreiben, sondern auch an das Internet heranführt. Und eine Schule, die vor allem Lust auf Leben weckt: Sport treiben, Theater spielen, Musik, ganz allgemein Herausforderungen, die genauso spannend sind wie diese Spiele.

Pannen: Wir müssen mit dem Thema Internet und Schule ganz anders umgehen. Die "Enquetekommission für Internet und Digitale Gesellschaft" schlägt so etwas wie eine digitale Bildungsrevolution vor: Sie beginnt mit "One Laptop Per Child".

Pfeiffer: Je Kind ein Laptop?

Pannen: Ja.

Pfeiffer: Um Gottes willen. Jede Stunde Bildschirmkonsum im Kindergartenalter erhöht das Risiko von Hyperaktivität. Und verringert die Chance, das Leben mit anderen Kindern in direkter Interaktion zu erobern.

Pannen: Stopp! Kinder sind auch Schulkinder, Herr Pfeiffer. Kindsein endet doch nicht mit sechs Jahren. One laptop per child heißt ja auch Betreuung. Die Grundannahme ist, dass jeder Schüler einen mobilen Computer haben muss, um den Anforderungen unserer Gesellschaft künftig gerecht werden zu können.

Frau Pannen, Herr Pfeiffer, die Grundschule als der letzte Hort der analogen Welt. Wäre das in Ihren Augen ein Gewinn - oder ein Horrorszenario?

Pannen: Kein Gewinn: Grundschülern würden so wichtige Möglichkeiten des Lernens abgeschnitten.

Pfeiffer: Ich warne davor. Wer Kinder zu früh mit dem Bildschirm konfrontiert, der weckt erst die Lust am eigenen Gerät. In der Grundschule brauchen Kinder grundsätzlich keine Computer, sondern Natur.

Pannen: Nein, ab sechs Jahren sollte man mit dem Online-Lernen an Computern beginnen. Medienwissenschaftler empfehlen in Studien sogar, auch im Kindergarten den Laptop nicht vor den Kindern zu verstecken, sondern sie - genau wie man sie ans Fernsehen heranführt - in den verantwortlichen Umgang mit Computern einzuüben.

Pfeiffer: Entschuldigen Sie, diese Erkenntnisse stammen aus Studien, die die Industrie finanziert hat. All das, was sie an pädagogischen Träumereien erzählen - für Kinder im Grundschulalter ist das nicht mehr als eine vage Hoffnung. Kinder unter zehn Jahren können mit Computern nicht verantwortungsvoll umgehen, Frau Pannen.

Pannen: Sie tun so, als würde vom Laptop eine ansteckende Krankheit ausgehen. Wichtig ist, dass die Kinder gut begleitet ans Internet herangeführt werden. Wenn wir in einer Gesellschaft mit Mobilität und Interaktivität leben, dann brauchen wir eine digitale Bildungsrevolution.

Was soll das Ihrer Ansicht nach sein?

Pannen: Digitale Endgeräte wie Tablet-PC, Netbook oder sogenannte White Boards müssen ganz selbstverständlicher Teil des Unterrichts werden. Wir brauchen ein projektorientiertes Arbeiten mit Lernsoftware und multimedialen Angeboten. Nur so können wir Jugendliche auf die Herausforderungen vorbereiten, mit denen sie später als Erwachsene konfrontiert werden: Im Netz schnell und effizient recherchieren zu können. Die Lehrer bekommen dabei eine ganz neue Rolle: Ihr Job ist es nicht mehr, Wissen verbal weiter zu geben, sondern Rechercheberater der Kinder zu sein. Die Schüler setzen sich selbst ihre Lernziele, die Lehrer moderieren viel mehr.

Wollen Sie damit sagen, dass durch Online-Medien im Unterricht der ganze Bildungsbegriff verändert wird.

Pannen: Ja, die Form des Lernens wird sich grundsätzlich ändern: Es wird viel selbständiger. Medien wie das Smartphone mit Netzzugang und Vokabel-App werden selbstverständlich benutzt werden. Die Säulen für das Lernen der Zukunft sind interaktive, ortsunabhängige und communitybasierte Medien.

Pfeiffer: Ich gebe Frau Pannen recht. Das Problem ist, dass unsere Einrichtungen immer noch Paukanstalten sind, die per Frontalunterricht Wissen in den Kopf der Kinder stopfen wollen. Wir haben noch nicht begriffen, dass es heute stärker darauf ankommt, Kinder neugierig zu machen, selbst zu lernen und zu forschen. Aber wir dürfen unsere Schulen auch nicht zu einer Art Internetcafés machen.

Es wird gern vom kollaborativen Lernen gesprochen, was bedeutet dieser Begriff?

Pannen: Das ist eine ganz neue Lernerfahrung. Online-Medien geben uns neue Formen des gemeinsamen Denkens, Schreibens und Lernens. Zum Beispiel könne wir in einem Google-doc, Kroko-doc oder Etherpad gemeinsam schreiben - und dabei auch ganz viele soziale Fähigkeiten erlernen.

Was müssen Kinder in der Schule lernen, um sich in der virtuellen Welt zurechtzufinden: Schreibmaschine - oder Urteilskraft?

Pfeiffer: Natürlich kann man es nicht auf Schreibmaschine reduzieren, was Schüler lernen müssen. Sie müssen lernen, die Gefahren zu erkennen und einzuschätzen. Zum Beispiel die Tatsache, dass die Chatpartner der 12-, 13-, 14-Jährigen gar nicht 14 sind - auch wenn sie so tun, als wären sie gleichaltrig. Pädophile nutzen das Internet.

Pannen: Kinder müssen meines Erachtens nicht tippen lernen. Das stammt doch aus einer anderen Zeit! Kinder müssen verstehen, wie viel Zeitmanagement, Selbstmotivation und Selbstdisziplin sie im Netz brauchen. Vor allem müssen sie lernen, was im Internet wahr ist.

Was fehlt den Schulen an Infrastruktur?

Pannen: Beinahe alles! Die Lehrerausbildung muss intensiviert werden. Zudem muss die Hardware stimmen. Es ist nicht Standard, dass in jedem Klassenraum ein Rechner steht. Wir stehen ganz am Anfang.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • N
    Nikkei

    Habe absolut keine Zustimmung für Computer in Grundschulen übrig. Es braucht im Alter von 6-8 Jahren eine Menge Zeit und Muße, um allein das Schreiben einzelner Buchstaben zu üben. Solange hier nicht ein stabiler Grundstein gelegt worden ist, können Grundschüler einen Laptop nur aus der Perspektive eines Analphabeten nutzen. im Zusammenhang mit der ohnehin bedenklichen Entwicklung von ADHS gebe ich Pfeiffer Recht, dass man Computer dort wirklich als Gefahr beurteilen muss, nicht wegen brutaler Spiele, sondern tatsächlich als Lernhemmnis. Ferner fordert Pannen Whiteboards als "ganz selbstverständlichen Teil des Unterrichts" In den letzten zwei Jahren vor meinem Abitur wurde meine Schule fast vollständig mit diesen Geräten ausgestattet. Deren didaktisches Potential war für uns Schüler sofort offensichtlich. Nicht jedoch für das Lehrerkollegium, das in Seminaren nur unzureichend auf die Arbeit mit den Geräten vorbereitet wurden. Dennoch mussten sie damit leben, dass die Whiteboards fast ausnahmslos die gewohnten Kreidetafeln ersetzt hatten. Das hatte zur Folge, dass die neue Technik den Unterricht für zwei Jahre erfolgreich erschwerte, aufhielt, korrumpierte. Seither ist zwar ein Jahr ins Land gegangen, ob die Lehrer die Geräte nun effizienter handhaben können, muss sich erst zeigen. Interessant ist zudem noch, dass nicht mal ein Jahr vor der Anschaffung der Whiteboards in vielen Räumen neue Beamer fest an der Decke installiert worden waren, die durch die noch neueren Geräte (im Grunde nicht viel mehr als Beamer mit Touchscreen) völlig überflüssig gemacht wurden. Sosehr ich auch selber erwartungsvoll den Einsatz integrierter Lerntechnologien beobachte, durch vorschnelle Digitalideologen wie Frau Pannen verläuft dieser Wandel nicht nur weitgehend zwecklos und am Lehrer vorbei, sondern im Endeffekt auch den Schülern zum Schaden

  • M
    Meyer-Schulz

    Gibt es für die Aussage der taz, dass alle Amokläufer Shooter nutzen, irgendwelche Belege?

  • T
    Tabs

    Wirklich interessante Diskussion. Aber was mir zum Hals raushängt, ist dieses entweder Verteufeln der digitalen Medien oder das absolute Hypen. Warum verdammt nochmal, kann man diese durchaus sinnvollen Technologien nicht als einen Teil des Unterrichts mit einbeziehen? Sie haben nun mal Vorteile, die die konventionellen Schulmedien nicht haben. Und das auch in der Grundschule. Ist eigentlich der Erfolg des Leseportals Antolin bekannt? Wie begeistert die Kids dadurch lesen? Weil sie nach der Lektüre an den Computer gehen und ganz wichtig dort arbeiten und Fragen zum Buch beantworten dürfen? Uns fehlen ganz einfach noch sinnvolle Anwendungen für die digitalen Medien. Diese zu entwickeln, ist eine sehr herausfordernde Aufgabe. Sie können absolut die Motivation am Lernen erhöhen und das ganz immens. Und wenn sie geschickt mit den konventionellen Dingen verknüpft und in diese eingebettet sind, lernt man auch ganz nebenbei, den Rechner an der richtigen Stelle wieder auszuschalten.

  • B
    BängBumCrash

    "Von 100 Schulabbrechern sind 63 Prozent männlich und von den Sitzenbleibern 62 Prozent. Ursache dafür ist, dass die Jungs viel zu viel Zeit mit dem exzessiven Konsum von Games verplempern."

    Wie kommen Sie zu dem Schluß? Könnte es nicht auch sein, das Jungen in einer feminisierten Schule einfach abgehängt werden? Das individuelle Förderung fehlt?

    Denn das Jungen bei gleicher Leistung schlechtere Noten erhalten, haben schon mehrere Studien nachgewiesen!

    Woher kommt ihr direkter Rückschluß von Schulverlierern zu exsessivem Computergebrauch? Gibt es dafür Beweise oder ist das spekuliert?

    Ich vermute eher letzteres, denn konkrete Beweise für derlei Zusammenhänge dürften schwer zu finden sein.

  • G
    Gegenbeispiel

    Waldorfschüler.

    Auf die wird meist frühestens in der Mittelstufe der Computer losgelassen. Man sollte sich mal anschauen, ob die alle geistig zurückgebliebene Hilfsarbeiter ohne jede Medienkompetenz werden, die hilflos am Fahrkartenautomaten eine alte Oma um Hilfe bitten müssen.

    Würde mich echt mal interessieren!

  • T
    Toby

    Frau Pannen, Sie haben Recht, die Internetspiele sind ein Spiegel unseres Alltags.

    Besonders beliebt sind daher jene Onlinespiele, die einen Wochenendeinkauf bei Aldi simulieren, das tägliche Pendeln mit Bus und Bahn oder (für die meist jüngeren Spieler) das Schreiben einer Klassenarbeit.

    Der Burner, baby! Da hängen die Kids stundenlang davor!

     

    Und wo wir gerade dabei sind, Frau Pannen. Ich finde, die Kinder sollten schon in der Grundschule Fahrstunden nehmen. Seien wir doch mal ehrlich, Autofahren ist eine Schlüsselqualifikation! Hätte doch sonst nicht jeder so ein Ding.

     

    Und jetzt ernsthaft:

    Was hat das mit verantwortungsvoller und kritischer Pädagogik zu tun, wenn ich jeder beschissenen Technologie nachlaufe und sie meinen Kindern eintrichtere ohne nur einen Augenblick zu fragen, ob das vielleicht gut für sie und uns ist? Mit der gleichen absurden Logik kriechen Millionen dem Big Brother facebook in den A…., obwohl sie jederzeit (zu Recht!) jammern, wie wenig sie ihm trauen würden. Aber alle sind sich ganz sicher, daß sie ohne nicht mehr leben können und fragen, sich, wie sie je ohne leben konnten.

  • S
    systemix

    Als diplomierter Naturwissenschaftler und Lehrer verwahre ich mich gegen diese Unterstellung des Leiters des Niedersächsischen Nachttöpfchen-Institutes. Ich habe bereits in der 11. Klasse gelernt Computerprogramme zu schreiben, was jetzt über 40 Jahre her ist.

     

    Aus pädagogischer Sicht kann ich in der Nutzung des PC nur einen Sinn erkennen. Der PC ist ein erweiterter Taschenrechner und hilft bei der Auswertung und Präsentation von Untersuchungsergebnissen. Alle weiteren ihm zugesprochenen Eigenschaften sind esoterischer Natur. Davon mag der Herr Pfeiffer vielleicht eine ganze Menge verstehen.

     

    Der gravierendste Mangel, den Kinder heute aufweisen, ist die fehlende Lebenserfahrung! Durch die Sesamstraßen-Pädagogik, die konsequente Überbehütung und den falsch verstandenen Jugendschutz werden Kinder in ihren wesentlichen Stärken, ihrer Neugierde und dem Entdeckerdrang, passiviert.

     

    Sie sind in der 5.Klasse nicht in der Lage zu verstehen, wie ein Eisenbahnzug sich fortbewegt und wie man ihn benutzt. Sie kennen keine Werkzeuge, geschweige denn zu wissen, wie sie gebraucht werden. Sie sind nicht in der Lage selbst einfachste Fahrradreparaturen auszuführen. Sie kennen aus den Naturwissenschaften allein die Spektakelsendung "Galileo" und erleben die Welt als Zuschauer, während das Leben sich auf der Bühne abspielt. Das sind die Erfahrungen eines Gymnasiallehrers.

     

    Eine zu frühe Konfrontation mit dem PC ist unnütz. Keiner käme auf die Idee, einem Zehnjährigen statt einer Feile eine CNC-Drehbank vorzusetzen. In der klassischen Mathematik ist der PC völlig unbrauchbar. Viel wichtiger sind das Gespür für Zahlen und das Kopfrechnen, welches dieses Gefühl vermittelt. Auch die grafische Darstellung auf Millimeterpapier vermittelt zusätzliche Fertigkeiten.

    Es ist daher eine völlig falsche Debatte losgetreten worden. Diese wird genauso dümmlich geführt, wie seinerzeit die Verdammung der Mengenlehre.

     

    Damals haben rückgratlose Kultusminister wegen des Gezeters hysterischer Mütter, die ihren Kindern nicht mehr bei den Hausaufgaben helfen konnten, die Mengenlehre abgeschafft. Der Erfolg war, dass ein wesentlicher mathematischer Zugang den Schülern fehlt und damit die mathematischen Kenntnisse in den Keller gingen. Dafür büßen wir noch heute.

     

    Die Diskussion, was für die Erziehung des Kindes wirklich nützlich ist, sollte an der Gefühls- und Erlebenswelt des Kindes orientiert sein. Aber, wie im Oberlehrerstaat Deutschland üblich, bilden sich bestimmte Experten ein, genau zu wissen, wie man Kinder formen muss. Statt den Kindern bei dem Laufenlernen zu helfen, exerzieren sie mit ihnen den preußischen Stechschritt. Welche urdeutsche Tradition; Frau Pannen und Herr Pfeiffer.

  • WN
    Wolfgang Neuhaus

    Für ein so wichtiges Thema hätte man sich wirklich kompetentere Gesprächspartner suchen müssen. Weder Frau Pannen noch Herr Pfeiffer haben einen professionellen Hintergrund im Bereich der Hirnforschung oder der pädagogischen Psychologie. Manfred Spitzer z.B., ein auf das Lernen spezialisierter Hirnforscher, macht deutlich, dass in der kindlichen Entwicklung der Umgang mit physisch erfahrbaren Phänomenen von größter Bedeutung ist für die Ausbildung tragfähiger kognitiver Strukturen, was er mit zahlreichen neurowissenschaftlichen Studien belegen kann. Gleichzeitig zieht er Studien heran, die zeigen, dass in einem so frühen Entwicklungsstadium des Gehirns, die schier endlose Flexibilität digitaler Anwendungen zur Ausbildung von Fehlvorstellungen bezogen auf unsere physische Umwelt führen, die die weitere kognitive Entwicklung eines Kindes massiv beeinträchtigen. Auch anerkannte Medienpädagogen - die generell nichts gegen Web 2.0 haben - wie z.B. Gerhard Tulodziecki - sehen das ähnlich. Gegen den Einsatz von Computern und sonstigen mobilen Endgeräten in den Sekundarstufen und der Hochschule ist natürlich nichts einzuwenden, ob das aber unbedingt verordnet 1zu1 sein muss, leuchtet mir aus pädagogischer Perspektive noch nicht ein. Das Beispiel »One Laptop Per Child« ist ein schlechtes Beispiel da dieses Projekt grandios gescheitert ist.

  • F
    Fischer

    Abend, es ist meiner Meinung nach wichtiger die jungen Menschen zum ersten eine eigene Persönlichkeit auszubilden zulassen, in der sie dann später gefestigt d. möglichkeiten der digitalen medien - die aber auch gleichzeitig gefahren sind - gegenüber stehen können als sie schon von kleinst an vor bildschirme zu setzen...

    Und das Bildschirmarbeit im übermass gesundheitsschädlich ist auch zu belegen.

    Kinder sollten lieber durch direkt wahrnehmbare sinn-eindrücke die welt begreifen lernen. sie sollten im wald, in der natur, an der luft, im wasser etc. sich aufhalten dürfen als vor bildschirmen abzuhängen, das werden sie möglicherweise ihr leben schon mehr als ihnen das förderlich (gesundheitlich) ist machen müssen. Kinder sind nicht "unterentwickelte Erwachsene", sie erleben eine einmalige Epoche in ihrem Leben, die sie fürs ganze leben prägen wird. Da ist es wichtiger ihnen eine gesunde Substanz auf d. zu geben als, das sie bereits in jüngsten Jahren wissen wie beispielsweise google funktioniert. Laßt sie Kinder sein dürfen. "Ein Laptop pro Kind" empfinde ich pers. als einen sehr großen Betrug an der Kindheit.

     

    Geht lieber mit euren Kinder in den Wald als mit ihnen zuhause dazusitzen und mit ihnen via preisvergleich-service im internet das preisgünstige weihnachtsgeschenk für alle familienmitglieder zu finden.

     

    genug der worte: Medien sind wichtig, aber so dosiert wie nötig und so wenig wie möglich. Nochmal: Laßt den Kinder ihre Kindheit. Sie haben ein Recht darauf !!!

  • P
    Peter

    Es ist schon sehr traurig, dass manche Journalisten immer noch nach einem Zusammenhang zwischen Computerspielen und Schulmassakern fragen. Das ist unterstes BILD-Niveau und bedient nur billige Klischees.

    Gewalt gab es schon immer, die Verbrechen in der Nazizeit geschahen obwohl es weder Internet, noch Computerspiele gab.

     

    Kinder (bis 14 Jahre) sollten natürlich noch keinen eigenen PC oder Fernseher haben, aber das wissen verantwortungsbewußte Eltern auch.

     

    Jungen sind nicht Bildungsverlierer weil sie gerne spielen, sondern weil unser Bildungssystem hauptsächlich aus Frauen besteht und hauptsächlich auf Mädchen zugeschnitten ist. Wir durften beispielsweise aus Rücksicht auf die Mädchen nie Fußball im Sportunterricht spielen, es gab immer nur Volleyball, Badminton und Leichtathletik.

  • C
    Christoph

    Ich bin der Meinung, dass der Umgang mit dem Computer / dem Medium Internet bereits in der Schule gelehrt werden sollte. Viele haben später einfach Schwierigkeiten, weil ihnen Hürden in den Weg gelegt werden, obwohl diese Hürden hätten vor Jahren beseitigt werden können. Allein der grundlegende Umgang mit der Technik sollte jedem Menschen beigebracht werden.

     

    Allerdings glaube ich, dass es reichen würde, wenn dieses Thema ab der 5. oder 6. Klasse so langsam angegangen wird.

     

    Ich bin aber der Meinung, dass es sich hierbei lediglich um ein weiteres "Schulfach" handelt, statt eine "Revolution" des Lernens. Gerade weil das Internet haufenweise Informationen bietet, die größtenteils ungeprüft sind, sollte in der Schule zumindest anhand regulärer Lernmethoden gelehrt werden. Dass aber diese gerade nicht immer funktionieren, weil bspw. die Lehrkräfte ihrem Beruf scheinbar nicht gerecht werden bzw. unzufrieden sind oder die SchülerInnen einfach keine Motivation haben (aus welchem Grund auch immer) bzw. die Lehrkräfte nicht motivieren können...wird oft vergessen. Diesen Umstand ist auch mit neuer Technik nichts entgegen zu bringen, oder liege ich da falsch?

     

    Denke ich zurück an meine Schulzeit, fällt mir auf, dass nur wenige Lehrer und Lehrerinnen aufgrund ihrer Fähigkeit lehren und motivieren zu können in Gedanken geblieben sind.

  • M
    mpx

    Der Herr Pfeifer auf seinem Kreuzzug gegen die fiesen Computerspiele. Es ist immer schwer sachlich zu bleiben wenn die Argumente von jemandem kommen, der im ganzen Land bekannt ist für seine Ansichten und Ziele.

     

    Amüsant ist, dass er Studien für nichtig erklärt weil sie von der Industrie initiert wurde, wo doch sein Institut selbst gern für ein bestimmtes Ergebnis forscht.

     

    Ich mag den nicht.

  • E
    Egold

    eine immer wiederkehrende Behauptung, Lehrer (welche? und wie viele?) verfügten nicht über die angesprochene Medienkompetenz wird durch dauernde Wiederholung auch nicht wahr. Ebenso wie ich immer noch auf die Bestätigung warte, dass Durchschnittsschüler, z. B. an einem Gymnasium, mit modernen Medien vertrauter sind als ihre Lehrpersonen. Der Alltag zeigt leider nicht nur auf diesem Gebiet anderes. Und: Lernzeit zu verschwenden, um den kognitiv wahrlich nicht anspruchsvollen Gebrauch (!) von PC, Internet, Smart Board, Lernplattformen usw. seperat, umfänglich zu lernen erscheint in Anbetracht der verbreiteten Defzite in den Grundfertigkeiten, des Lesens, Rechnens, Schreibens, der Physik, Chemie, Biologie und Mathematik/Logik kaum vertretbar. Für viele Lernende sind Computer eher Hindernisse zum Lernen als Werkzeuge zum Lernen und das wahrscheinlich deshalb, weil sie schon im frühen Kindesalter einfach vor einen PC gesetzt wurden..... "Reifen" Lernenden (z.B. 16 jährigen Berufsschülern) bereitet das selbständige Lernen des Gebrauchs neuer Medien i.d.R. kaum Probleme, die explizit Gegenstand eines eigenständigen Unterrichtsfaches sein müssten; dieses Gebrauchslernen kann by the way erfolgen.

  • M3
    mit 3 F

    Bemerkenswert, dass Herr Christian ("Experte zu jedem Thema?") Pfeiffer, in einem Atemzug die Legitimität einer Aussage anzweifelt, um das Gegenteil ohne jeglichen (empirischen) Beleg zu behaupten. Das mag ein feiner Trick für "Jugend debattiert" sein, wissenschaftlich ist es nicht!

     

     

    "Pfeiffer: Entschuldigen Sie, diese Erkenntnisse stammen aus Studien, die die Industrie finanziert hat. All das, was sie an pädagogischen Träumereien erzählen - für Kinder im Grundschulalter ist das nicht mehr als eine vage Hoffnung. Kinder unter zehn Jahren können mit Computern nicht verantwortungsvoll umgehen, Frau Pannen."

  • BA
    Benno Albers

    Was beiden Interviewpartner abgeht und wohl auch den wenigsten bewusst ist: wie lernen Kinder eigentlich? Wie funktioniert das Gehirn des Menschen und wie werden Informationen verarbeitet und warum? Und warum sind Computer die grundfalschen Mittel, um Kindern Spass am Lernen und das Lernen von Lernen zu vermitteln. Ich wünschte mir, dass vermehrt Cognitions- und Neurowissenschaflter aufklärend in der taz zu Wort kämen...Habe letztens einen Vortrag von Prof. Spitzer hören dürfen zu dem Thema, Fazit: weg mit Computern aus Kinderzimmern und Grundschulklassen. Es gibt keine Untersuchung, die beweist, dass man mit PC besser lernt, im Gegenteil.Technik stört beim Lernen, weil Kinder sich mit Stoff UND Technik auseinandersetzen müssen und Technik Verarbeitungstiefe verhindert. Und die Verarbeitungstiefe macht Lernen und Grundwissen erst möglich.

  • AH
    Andreas H.

    Den Lehrern fehlt die Motivation am Lehren, weil die Schüler demotiviert sind entweder aufgrund des Elternhauses (Aussagen der Eltern wie "Du bist dumm und wirst es zu nix bringen." setzt definitiv keine Motivationsschübe in Gang) oder des Schulsystems (Aussagen des Schülers wie "Wofür brauch ich das?"). Dann spielt vielleicht der Geschlechterkampf auch eine Rolle, weil angehende Abiturientinnen gerne den Männern etwas beweisen wollen und den jungen Kerlen das total egal ist. Muss sich demnächst der Mann in puncto Bildung emanzipieren?

     

    Es kann so vieles sein, was dazuführt, dass männliche Personen nicht das Abitur machen. Aber irgendwann holt sie das Leben ein, es trifft sie förmlich der Blitz und sie werden aktiv. Es ist alles eine Frage der Motivation und die wird definitiv nicht durch Technik gelöst, weder ein Verbot im privaten Haushalt noch eine Förderung in öffentlichen Schulen.

  • T
    Tshirtfisch

    Folgender Satz ist meines Erachtens ein wenig missverständlich:

     

    "CHRISTIAN PFEIFFER, 67, ist medienwirksamer Computerkritiker und Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts an der Uni Hannover."

     

    Das KFN ist aber kein Institut der Uni Hannover, sondern ein unabhäniger Verein, der lediglich mit der Universität kooperiert.

     

    Zum Artikel: Wieder einmal die Standpunkt, die man von Ch. Pfeiffer schon zur Genüge kennt.

  • E
    Egold

    In keinem der Interviewbeiträge kommt zum Ausdruck, ob und was die Interviewten von Lernen verstehen. Das aber ist das Entscheidende: Schule sind spezifische Orte des Lernens. Und hieraus leitet sich die Frage ab, wie eine Lernperson ein Thema, eine Fähigkeit lernt und inwieweit die Lehrperson fähig ist, die Lernperson in ihrem Lernen zu fördern. Die Werkzeuge, die hierbei eingesetzt werden, ob PC oder Bücher, ist eine gänzlich sekundäre Frage. Primär aber sind die Fragen des Lernens, seiner Bedingungen, seiner Hindernisse usw. Medienforscher scheinen nur ihre Medien zu kennen und sich und ihre Ansichten verkaufen zu wollen. Sie sind keine Lernexperten! Deshalb verwechseln sie Werkzeuge mit dem, wozu sie verwandt werden bzw. identifizieren beides.

  • S
    Schelm

    Interessante diskussion. Was leider nicht gesagt wurde, ist doch folgendes: Gerade weil in unserem Schulsystem ein eklatantes Defizit zwischen dynamischer digitaler Medienentwicklung und dem Stand der Lehre und der Lehrpersonen besteht, muss moderne Medienpädagogik an die Schulen, sei es durch konsequente Einbeziehung in Weiterbildungen oder durch ein eigenes Schulfach. Dies würde sowohl Medienpraxis und gestaltung als auch Umgang, Reflexion und Bewertung einschließen, denn ganz recht: Nur das technische handwerk reicht nicht, um den jungen menschen in unserer Gesellschaft "Medienkompetenz" zuzuschreiben, eine Fähigkeit, die mehr und mehr basal wird, um an Gesellschaft, Kultur und Leben überhaupt souverän teilnehmen zu können.