Kommentar Belgiens Atomausstieg: Rückfall jederzeit möglich
Trotz der japanischen Katastrophe ist Europa von einem Ausstieg aus der Kernenergie so weit entfernt wie die USA vom Kommunismus.
D ie Weltrevolution, George W. Bush und der Atomausstieg teilen einen gemeinsamen Glauben: den an den Dominoeffekt. Einmal sollten alle Länder den Kommunismus, dann alle Despoten die Demokratie und nun alle Staaten den Weg zur grünen Energieversorgung finden. Leuchtendes Beispiel in letzterem Fall: die Bundesrepublik. Jüngster empirischer Beweis: Belgien. Dort will man aus der Atomenergie raus.
Der jetzige Beschluss fällt allerdings hinter das zurück, was Belgien bereits 2003 beschloss: den Atomausstieg bis 2025. Der kommt jetzt nur dann, wenn es die Energieversorgung zulässt.
Der Beschluss ist nicht nur deshalb mitnichten ein Beweis, dass die Welt oder zumindest Europa allmählich ins postnukleare Zeitalter übergeht. Klar, es hat sich einiges getan: In Japan redet der Premierminister vom Atomausstieg, in Frankreich denken die Sozialisten zumindest darüber nach, und Berlusconi ist in Italien mit Plänen für einen Wiedereinstieg an einem Referendum gescheitert.
ist Redakteur im taz-Ressort Ökologie und Wirtschaft.
Man könnte die Geschichte aber auch andersherum aufschreiben: von den polnischen Atomplänen über Eon und RWE, die sich erst kürzlich ein Gelände zum AKW-Bau in Wales sicherten, bis zur Position der EU-Kommission, Kernenergie sie ein "wichtiger Faktor" im künftigen Energiemix.
Wer glaubt, es sei der natürliche Gang der Geschichte, dass eine Gesellschaft nur lange und offen genug diskutieren muss, um die Atomkraft aufgrund ihrer Gefahren abzuschaffen, der irrt gewaltig. Momentan mag die Kernenergie ein Imageproblem haben. Doch der Fukushima-Schock wird an Wirkung verlieren. Trotz der japanischen Katastrophe ist Europa von einem Ausstieg aus der Kernenergie so weit entfernt wie die USA vom Kommunismus. Daran ändert die neueste belgische Entscheidung rein gar nichts. Leider.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“