piwik no script img

Spurensuche in WalesDylans Stammlokal gibt es noch

Igor Strawinsky, Bob Dylan und die Beatles wurden von Dylan Thomas‘ Versen beeinflusst. In seiner südwalisischen Heimat huldigt man dem Poeten.

Thomas Dylan und das Meer. Bild: Michel Marek

Swansea, im Südwesten von Wales: Hier, in der Arbeiter- und Hafenmetropole, begegnet man überall dem berühmtesten Sohn der Stadt. Dylan Thomas und Swansea sind wie Shakespeare und Stratford. In der neuen Hafencity haben die Stadtväter extra ein Denkmal für Dylan errichten lassen.

Das gebe „eine gewisse Aufmerksamkeit, denn sein Name ist wie ein Logo und gibt uns eine Identität“, sagt Peter Stead, Literaturprofessor an der Universität Wales. In Bronze gegossen sitzt Dylan auf der Kante eines Stuhls. So, als ob er gerade aufspringen wolle, um den Besuchern persönlich das Dylan-Thomas-Theatre hinter seinem Rücken zu zeigen.

Swansea war seine Heimatstadt, und er hat die zweitgrößte walisische Metropole nach Cardiff immer wieder beschrieben. Dylans poetische Energie speiste sich aus der Hassliebe zu ihren Bewohnern und ihrer Lebensweise: „This ugly, beautiful town“, die sich an einer langen herrlich geschwungenen Küste ausbreitet, „wo Schulschwänzer, Strandläufer und alte Männer nach Standgut suchten, umhertrödelten, den Schiffen nachsahen“.

Swansea ist mit seinen 200.000 Einwohnern bis heute eine Arbeiterstadt geblieben, die sich vom Schutt und vom schleichenden Gift ihres industriellen Erbes zu befreien versucht: Im 19. Jahrhundert gehörte die Gegend um Swansea zum größten Kupferverarbeitungszentrum der Welt. Hier, wo angeblich der Stein von König Artus steht, aus dem er das Schwert Excalibur herauszog, an den halbmondförmigen, sandigen Buchten und den grünen Heiden, vergisst man fast, dass die Stadt Mittelpunkt eines industriellen Ballungsgebietes ist.

Dylan Thomas

Das Haus: Das Dylan Thomas Boathouse in Laugharne ist täglich von Mai bis Oktober (10 bis 17.30 Uhr) und von November bis April (10.30 bis 15.30 Uhr) geöffnet. Eintritt: 3,50 Euro, Familienticket: 9 Euro.Tel.: ++44 (0) 19 94-42 74 20 www.dylanthomasboathouse.com

Der Spaziergang: Dylans Walk startet hier: Laugharne Carmarthenshire SA33 4SD, www.dylanthomastrail.co.uk

Das Museum: Das Dylan Thomas Centre beherbergt Dauerausstellung, Restaurant und Buchladen. Außerdem werden Führungen in und um Swansea veranstaltet. Wer alleine auf Tour gehen möchte, kann dies anhand vier kleiner Hefte, die detailliert Dylans Biografie in seiner Heimatstadt und der näheren Umgebung nachzeichnen (Auto empfohlen). Die Hefte sind im DTC erhältlich. Öffnungszeiten: Dienstags-Sonntags von 10.30-16.30 Uhr; der Eintritt ist frei. Dylan Thomas Centre: Somerset Place, Swansea SA1 1RR, Tel.: ++44 (0) 17 92-46 39 80, www.dylanthomas.com

Informationen: Fragen beantwortet in Swansea die Swansea Tourist Information Centre Plymouth Street, Swansea Sa 1 3QG, Tel.:++44 (0) 17 92-46 83 21, www.visitswanseabay.com

Anreise: Nach Swansea gelangt man von London mit dem Zug. Die Bahnfahrt dorthin dauert rund 3 Stunden. Visitbritain, das britische Fremdenverkehrsamt, bietet günstige Tickets an, die nur in Deutschland zu kaufen sind. www.visitbritain.com/de

Von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs fast völlig zerstört, beherrschen heute einstöckige Häuser das Bild, kleine Handwerksbetriebe, ein paar wunderschön renovierte klassizistische Villen und trostlose Backstein-Arbeitersiedlungen. Lange Zeit sei Dylan in Swansea überhaupt nicht gewürdigt worden, erzählt Jeff Towns. Der Buchhändler und Ehrenbotschafter des mit 30.000 britischen Pfund dotierten Dylan Thomas Prize 2011 ist eine Institution in Sachen Thomas: „Erst in den 1990er Jahren hat man ihm Beachtung geschenkt. In Wales gab es so eine Art puritanische Gegenbewegung.

Den Leuten gefiel die Vorstellung nicht, dass ihr wertvollstes kulturelles Exportgut als Trunkenbold und Frauenheld bekannt war, als Bohemien und leichtlebiger Mensch.“ Aber mit der Zeit sei einigen Leuten in der Tourismusbranche und im Gemeinderat klar geworden, dass mit diesem Mann ein Geschäft zu machen war, so Towns.

Anziehungspunkt für kulturbelesene Touristen will Swansea werden. Mit Hilfe der Europäischen Union haben die Stadtoberen dafür zahlreiche Kulturprojekte auf den Weg gebracht: Ein Hafenquartier mit eleganten Häusern und Eigentumswohnungen ist entstanden, neue Brücken und Busverbindungen wurden angelegt, der Straßenbau vorangetrieben. Rund um die zentrale St. Marys Church wimmelt es nur so von Kneipen, Restaurants und den überall gleichen Geschäften.

Im Jahr 1995 wurde das Dylan Thomas Centre vom ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter eröffnet, der sogar ein eigenes Gedicht über Dylan geschrieben hat (“Des Walisers schwermütige Kunst“). Seitdem bietet das Haus eine hervorragende Dauerausstellung mit Erstausgaben, Fotos und Erinnerungsstücken. Kein multimedialer Überwältigungsschnickschnack. Hier huldigt man dem Dichter und seiner Verskunst. Vom Hafen geht es schließlich einen steilen Berg hinauf. Nicht umsonst wird Swansea die Stadt auf sieben Hügeln genannt.

Dylan liebte Listen

Uplands heißt das Viertel, die zungenbrecherische Straße Cwmdonkin Drive. Kleine Häuser, winzige Vorgärten, typisch für die britische Mittelschicht. Hier wurde Dylan Thomas am 9. November 1914 geboren. Nummer 5, Dylans Elternhaus: ein unauffälliges Reihenhaus. Würde nicht ein kleines Schild darauf aufmerksam machen, ginge man daran glatt vorbei, so bescheiden wirkt das 2008 wieder eröffnete Gästehaus von außen.

Anne Haden und ihr Mann Geoff haben das historische Gebäude gepachtet und umfangreich restauriert. Alles wurde im viktorianischen Stil möbliert, dicke Polsterstühle, dunkle Hölzer, einige Betten mit Baldachin, die Wände in kräftigen roten und blauen Originalfarbtönen gestrichen, ganz so wie die Thomas-Familie 1914 gewohnt hat. Das Geburtshaus mit seinen vier Zimmern bietet Platz für sieben Personen und kann für Tage oder Wochen gemietet werden. Darunter auch Dylans Kinderzimmer, wo der Elfjährige bereits seine ersten Gedichte schrieb.

Wie zu Dylans Lebzeiten müssen die Gäste auf die Errungenschaften unserer Moderne verzichten. Statt Mikrowelle, Wireless LAN, Telefon und Fernseher gibt es ein Grammofon, eine Bibliothek und vom ehemaligen Elternschlafzimmer aus einen herrlichen Panoramablick auf die Swansea Bay. 5 Comdonkin Drive ist kein Museum, aber in der unvermieteten Zeit steht es Besuchern offen, die mehr über Dylan Thomas und die damalige Zeit erfahren möchten.

Eine gute Autostunde von Swansea entfernt liegt das kleine Städtchen Laugharne (ausgesprochen „Laan“). In seinem kurzen Dichter- und Säuferleben hatte der walisische Nationaldichter zuletzt in Laugharne gelebt, dieser „verzaubernden Inselstadt“ am Meer. Hier in der Region Carmarthenshire entstanden „Unter dem Milchwald“, „Fern Hill“ und „Gedicht im Oktober“, die zu Dylans berühmtesten Werken gehören.

Durch das beschauliche Dörflein führt eine kopfsteingepflastert Hauptstraße. Dicht an dicht stehen einstöckige, bunt bemalte Häuser, darunter „Browns Hotel“. Dylans Stammlokal gibt es noch immer. Allerdings ist es schon seit einigen Jahren geschlossen. Im Jahr 2012 soll es nach einer aufwendigen Renovierung wieder seine Türen und 15 Zimmer für Gäste aus aller Welt öffnen.

Nicht weit vom Browns entfernt beginnt Dylans Walk. Gleich am Anfang des Spazierweges steht das „Seaview“. Seit Kurzem erstrahlt das ehemalige Haus, das der Familie Thomas gehörte, wieder in neuem Glanz. „Restaurant with rooms“ steht auf dem Willkommensschild. Britisches Understatement. Die vier hübschen, im viktorianischen Plüsch eingerichteten Zimmer sind keineswegs nur für jene gedacht, die nach einem köstlichen Dinner im exzellenten 5-Sterne-Restaurant der walisischen Trinkfestigkeit Tribut zahlen müssen und zum Übernachten bleiben.

Am Ende von Dylans Walk wartet der Höhepunkt eines jeden Laugharne Besuchs: das Boathouse, in dem die Thomas-Familie bis zu Dylans Tod gelebt hat und das heute als Museum dient. Ein paar Schritte davor liegt Dylans Schreibklause. Die ehemalige Autogarage hat einen frischen Außenanstrich bekommen: Das leuchtende Türkis wirkt exotisch gegen den grauen Wattenschlick. An der Vorderseite wurde eine Guckfenstertür eingebaut, die den Blick auf das Innere freigibt. Überall liegen Papierlisten herum. Dylan liebte Listen.

Er hatte unzählige Reihen sich reimender Wörter zusammengestellt und von den Ereignissen, die in seinen Gedichten vorkommen sollten. Die Dichterwerkstatt will den Eindruck des Authentischen vermitteln: der eiserne Kohleofen, ein Holztisch, daneben Dylans Bücherbord. An der Wand hängen Fotos von Walt Withman, D. H. Lawrence und Thomas Hardy, Dylans Vorbildern. Zwei Bierflaschen stehen auf dem Schreibtisch, am Stuhl hängen Sakko und Schlips, so als sei Dylan nur kurz ein Pint im Browns trinken gegangen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!