Preiskalkulation der Zuckerrübe: Kein Zuckerschlecken
Der Zuckerpreis ist seit Jahrzehnten stabil. Er ist die Summe aus Wetter, Wettbewerb, Europa und dem technologischen Fortschritt: eine Analyse.
Der Preiskrieg um Zucker bei den Discountern ist vorbei. Die deutschen Discounter hatten sich im vergangenen Jahr bei dem symbolisch besonders wichtigen Preis, der von Verbrauchern gerne verglichen wird, gegenseitig unterboten.
Aldi senkte den Preis für ein Kilogramm auf 65 Cent - das niedrigste Preisniveau für Zucker seit mehr als zehn Jahren in Deutschland. Andere zogen nach. Das bekamen insbesondere Supermärkte am Rand der Republik zu spüren: Aus Polen etwa entstand ein Grenzverkehr zum Zucker-Großeinkauf.
Doch im Oktober rollte die große Preiserhöhungsrunde durch viele Supermärkte: Rewe und Aldi Süd erhöhten den Preis bei ihren günstigsten Eigenmarken um fast ein Drittel von 0,65 Euro auf 0,85 Euro, die anderen zogen nach. Rohstoffexperten wiesen schon vor Monaten darauf hin, dass der Weltmarktpreis unter anderem wegen schlechter Ernten nach oben geschossen ist.
An der Rohstoffbörse in New York wird ein Pfund Zucker derzeit für 0,25 Dollar gehandelt - vor gut einem Jahr lag der Preis noch bei 0,15 Dollar. Aufgrund langfristiger Verträge der Händler mit den Raffinerien kommt jede Preisänderung erst mit Verzögerung in den Geschäften an.
Vielleicht steht derzeit die nächste Zuckerpreisexplosion bevor, wie 1974 und 1980, als die Preise immer schneller anstiegen und sich schließlich verzehnfachten, bevor die Blase wieder platzte. Wenn das Angebot wegen einer schlechten Ernte von Zuckerrohr oder Zuckerrüben einbricht, kann es zu solchen extremen kurzfristigen Preisschwankungen kommen.
Zuckerpreis seit Jahrzehnten stabil
Zumal, wenn die Nachfrage kontinuierlich steigt - weil Zucker inzwischen nicht nur gegessen wird, sondern auch als Ethanol Motoren antreibt.
Doch ein Ernteeinbruch bleibt immer nur auf eine Saison beschränkt. Langfristig ist der Zuckerpreis erstaunlich stabil. Das Produkt ist in den letzten Jahrzehnten nicht teurer geworden - trotz allgemeiner Preissteigerung.
Besonders eindrücklich ist der Vergleich, wie lange ein durchschnittlicher Arbeitnehmer arbeiten muss, um sich ein Kilo Zucker im Laden kaufen zu können: 1960 waren es noch 30 Minuten, inzwischen sind es nur noch 5. Ähnlich ist es bei vielen anderen Produkten.
"Hauptursache dafür ist die Produktivitätssteigerung", erklärt Michael Grömling, Ökonomieprofessor an der Internationalen Hochschule Bad Honnef und Mitarbeiter des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft. Er verweist darauf, dass sich durch die allgemeine technische Entwicklung Produkte immer effizienter - also günstiger, schneller oder besser - herstellen lassen.
Technischer Fortschritt
Durch die Erfindung von Faustkeil und Rad, Schrift und Buchdruck, Feuerstein und Glühbirne, Dampfmaschine und Waschmaschine, Radio und Internet kann der Mensch eine immer größere Zahl seiner Bedürfnisse mit immer geringerem Aufwand befriedigen. Einfach wegen neuer Erfindungen, nicht wegen Ausbeutung der Arbeiter.
Aber was hat die technische Entwicklung mit der Zuckerrübe zu tun? Die wächst schließlich immer noch in der Erde. Auch die Zuckerrübe kann man mit leistungsfähigeren Maschinen säen und ernten, man kann sie effizienter verarbeiten und man kann dafür sorgen, dass der Weg des Zuckers von der Raffinerie bis zum Händler nicht über zu viele Zwischenstationen führt.
Und dann ist da noch die Europäische Union mit ihren Richtlinien für den Zuckermarkt. Nur 85 Prozent des benötigten Zuckers darf in Europa selbst hergestellt werden, die anderen 15 Prozent müssen aus dem Rest der Welt importiert werden. Unter anderem sollen dadurch Hersteller aus Drittstaaten eine Chance haben, ihre Ware hier auf den Markt zu bringen. International sind Brasilien, Indien und China die größten Zuckerproduzenten.
Ziel der Regulierung ist es einerseits, den derzeitigen Zuckerrübenbauern in Europa ausreichende Einkommen zu sichern. Zum anderen wird das Angebot begrenzt. Die EU hat sogar den Raffinerien 624 Euro für jede Tonne Zucker gezahlt, die sie weniger produziert haben - und damit beeinflusst sie auch indirekt den Zuckerpreis im Laden.
Leser*innenkommentare
Marina
Gast
Ein gut geschriebener, solide recherchierter Artikel, der einen richtigen Inhalt hat und einem das "Ach, so ist das"-Gefühl gibt. Ökonomisch ist er auch völlig korrekt - sonst sind die Artikel im taz-Wirtschaftsteil ja meistens katastrophal sachlich falsch. Einfach mal öfter solche guten Artikel und nicht immer nur den Versuch machen, einem angenommenen auflagensteigernden linksradikalen Zeitgeist hinterherzuirren.