Von Lez Zeppelin und Black-Metal-Sirenen

IHRE GESCHICHTE Alle kennen B. B. King. Aber wer kennt Sister Rosetta Tharpe? Musikgeschichte wird immer noch als Innovation genialer Männer gedacht. Der Sammelband „History Herstory“ hält dagegen

Von Blues, Country und Gospel zu Rock ’n’ Roll: Die konventionelle Popmusik-Geschichtsschreibung, so die amerikanische Musikwissenschaftlerin Susan Fast, gehe davon aus, dass es stets Männer waren, die Epoche machende Umbrüche wie den von Rhythm & Blues zu Rock markiert hätten. Rockmusik, historisiert als Form der Rebellion gegen die dominante Kultur, sei immer assoziiert mit dezidiert männlichen und zumeist weißen Akteuren, die hier ihre „Protestmännlichkeit“ auslebten und damit Anspruch auf eine geschlechtsspezifische Form von Macht erhöben, erklärt sie mit Verweis auf das Buch „Masculinities“ von R. W. Connell.

Gendersensible Wissenschaftlerin, die sie ist, legt Fast in ihren universitären Einführungskursen zur Geschichte der Populärmusik Wert darauf, Frauen als integralen, aktiven Bestandteil dieser musikalischen Neuerungen zu beschreiben. Als Konsequenz bringt sie ihren Studierenden nicht nur die von Elvis, Jerry Lee Lewis und Johnny Cash verehrte und doch kaum bekannte E-Gitarristin Sister Rosetta Tharpe, sondern auch weibliche Tributebands wie Lez Zeppelin nahe. Mit kuriosen bis niederschmetternden Ergebnissen: So fragt ein Student vor der Abschlussprüfung, ob der Stoff zu den weiblichen Bands nötig sei. Nach ihrer Bestätigung beschuldigt er sie, den Kurs von einer „stark weiblichen Perspektive“ aus gelehrt zu haben, was als Einleitung zur Popmusik völlig unangebracht sei.

Die Erfahrungen, die Fast in ihrem Artikel zur „fortdauernden Nichtgeschichte der Frauen innerhalb der Rockmusik“ beschreibt, sind emblematisch für das Projekt des Sammelbands „History Herstory. Alternative Musikgeschichten“. Während in anderen akademischen Disziplinen wie beispielsweise der Literaturwissenschaft schon seit Jahrzehnten die Kategorien für die Kanonisierung von Werken hinterfragt und die Erfahrungen von „Minderheiten“ stärker valorisiert würden, sei in vielen Bereichen der Musikrezeption ein stark männlich zentrierter Geniekult bzw. eine „Genderblindheit“ weit verbreitet.

So untersuchen die 24 Beiträge in dem umfangreichen Reader die Konstruktion von Geschlecht(erklischees) unter so unterschiedlichen Blickwinkeln wie der „Konstitution von Raum“, „Genie als Maske“, „Wagners Einfluss auf Geschlechterrollen in der frühen Filmmusik“ oder „Männlichkeit, Nationalismus und musikpolitische Diskurse – Die Bedeutung von Gender in der Brahms-Rezeption“. Aktuelle populäre Musik abseits von hochkulturellem E-Repertoire kommt mit dem Artikel von Susan Fast und einem Text von Florian Heesch zu unkonventionellen „Weiblichkeitsbildern“ bei den griechischen „Black-Metal-Sirenen“ von Astarte nur am Rande vor. Handelt es sich hier doch um einen handfesten akademischen Band zur Musikologie, in dem das traditionell von Männern bewohnte „Haus der Musikgeschichte“ neu gebaut werden soll, da es im „Zeitalter der Globalisierung“ endlich fällig sei, „Musik anders zu denken, anders zu erzählen und anders zu hören“. Den häufig geäußerten Vorwurf, eine Wissenschaft aus Genderperspektive verlöre ihre wissenschaftliche Objektivität, dreht Mitherausgeberin Annette Kreutziger-Herr gewitzt um: „Eine Kulturwissenschaft, die ohne eine Genderperspektive auszukommen sucht, verliert den Status der Wissenschaftlichkeit und ist auf einem Auge blind: Denn auch sie hat nur zwei Augen, und nur mit zwei Augen ist mehrdimensionales Sehen möglich.“ SONJA EISMANN

Annette Kreutziger-Herr, Katrin Losleben (Hg.): „History Herstory. Alternative Musikgeschichten“. Böhlau, Köln 2009. 430 Seiten, 42,90 Euro