Nachtüberschattete Paradiese

Glanz und Bedrohtheit: Die Jüdischen Kulturtage befassen sich in diesem Jahr mit dem jüdischen Berlin der Zwanzigerjahre. Das Programm ist teils nah am nur unterhaltenden Mainstream – teilweise aber auch auf hohem Niveau problembewusst

VON JAN-HENDRIK WULF

„Wo man früher gebetet hat, wird heute Unterhaltung auf höchstem Niveau geboten.“ Die vollmundige Ankündigung des Conférenciers aus Bertolt Brechts „Mahagonny-Songspiel“, ist bei der Auftaktveranstaltung der 19. Jüdischen Kulturtage durchaus wörtlich zu nehmen. Das bunte Spiegelzelt im historisierenden Jugendstildesign, in diesem Jahr Austragungsort des Festivals, steht auf dem Innenhof der Synagoge in der Oranienburger Straße. Auf der mit Kieselsteinen belegten Brachfläche befand sich vor dem Krieg der große Synagogenraum.

Mit dem diesjährigen Themenschwerpunkt „Das jüdische Berlin der Zwanziger Jahre“ versuchen die Veranstalter, zwischen äußerem Glanz und verstecktem Elend der Epoche zu vermitteln. „Wir wollten keine nostalgische Rückschau machen, sondern das Thema in die heutige Zeit rüberziehen“, sagt der Schauspieler Dominique Horwitz, der als künstlerischer Leiter der Kulturtage zugleich das „Mahagonny-Songspiel“ inszeniert hat. „Die Zwanzigerjahre sind eine Zeit des moralischen Niedergangs.“

Die jungen Boxer, die in Mahagonny beim Pokern übers Ohr gehauen werden, müssen sich als Verlierer später gegenseitig im Ring die Fresse polieren – als Brutalos mit Hakenkreuzbinde kehren sie danach auf die Bühne zurück. Im Ganovenparadies Mahagonny, wo Moral immer eine Frage des Geldes ist, liegt die Erfüllung menschlicher Sehnsüchte allein in der unmittelbaren Gegenwart. Das kann, so die durchaus konservative Lesart der heiter-ironischen Inszenierung, nur in gottlosem Heulen und Zähneklappern enden.

Das diesjährige Programm der Kulturtage will keine Lehrstunde in jüdischer Geschichte bieten oder sich gegen Stereotypisierungen in der öffentlichen Wahrnehmung zur Wehr setzen. Durchaus im Stil der Zwanzigerjahre soll sich jüdische Kultur im gesellschaftlichen Mainstream auflösen. Wie das früher einmal funktionierte, zeigt die Fotoausstellung „Aspekte der Zwanziger Jahre“ in 25 Schaukästen auf dem Bürgersteig gegenüber der Synagoge in der Oranienburger Straße. Erstaunlich viele der hier im Glanz der Zwanziger porträtierten Künstler legten sich Pseudonyme zu und sagten sich damit von ihrer jüdischen Herkunft los.

Für ihr Programm müssen die Kulturtage in diesem Jahr einen Preis entrichten: Denn ob nun mit Wladimir Kaminers „Russendisko“, der Londoner Crossover-Band „Oi Va Voi“ oder den Stadtführungen durchs „Scheunenviertel“ – es ist kaum etwas dabei, was nicht sowieso häufig zu hören und zu sehen wäre. „Heute hat man manchmal den Eindruck, die Juden würden nur wahrgenommen, wenn sie sich Indianerhauben aufsetzen“, kommentiert der Sänger der ehemaligen Ostband Pankow, André Herzberg, der am Donnerstag mit seinen Liedern und Texten auftreten wird.

Den Künstlern der Gruppe Meshulash ist genau dieser Programmansatz der Kulturtage zu oberflächlich. In ihren Bildern und Installationen, die im Rahmen der Ausstellung „Nachtschatten und andere Gewächse“ im Centrum Judaicum zu sehen sind, wollen sie eine historisch tiefer gehende Synthese von traditioneller jüdischer Symbolik, biblischer Geschichte und Gegenwart herstellen. Die Zwanzigerjahre verstehen sie als eine Epoche säkular gewendeter, politischer Paradiessehnsüchte. „Darauf kann das offizielle Konzept mit seinem eingekauften Programm nicht antworten“, meint der Berliner Maler Gabriel Heimler.

Sein Bild „Gekacheltes Ufer Edens“ zeigt eine junge Frau, die sich einen Zwanzigerjahre-Kurzhaarschnitt zulegt. In der Hand hält sie eine Tomate. Vielleicht wird sie diesen Paradiesapfel verspeisen, um, wie es die Schöpfungsgeschichte verspricht, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Oder damit auf unliebsame Zeitgenossen werfen. Bei Verteilung des Festivaletats ist die Gruppe Meshulash in diesem Jahr leer ausgegangen. Ob den diesjährigen Kulturtagen der Spagat zwischen heiterem Kultur-Mainstream und abgründiger Symbolik gelingt, muss sich in den kommenden Tagen zeigen.

Bis zum 11. 12.; www.juedische-kulturtage.org