man könnte … von MICHAEL RUDOLF
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Ruhiges Atmen will gelernt sein. Kurz überschlagen, was man heute alles machen könnte. Doch erst mal auf eine bequeme Lage achten. Klappt. Prima.

Man könnte endlich Systematik in die Flugrouten der vier Stubenfliegen bringen. Was wollen die damit eigentlich bezwecken, wen beeindrucken, wen verwirren? Immer wieder um die gleiche blöde Lampe. So von der Lampengravitation in der Bahn gehalten werden. Da wüsste man aber was Besseres. Mehr Willensfreiheit, zum Beispiel.

Man könnte zwischendurch die Augen schließen. Die Zweige draußen wackeln noch immer. Kann man sogar hören. Vermutlich geht Wind. Die Luft ist klar, gute Sichtverhältnisse.

Man könnte also die Augen wieder öffnen und die Kreatürlichkeit der Tapete bewundern. Klar, da ist jede Menge los. Flecken, Unterputzleitungen, Verteilerdosen, überklebte alte Schalter, schlampig vergipste alte Dübel. Motive modernder Moderne. Was noch? Interessante Risse an der untapezierten Wand. Nein, es sind Landkarten. Eindeutig. Togo ist mit dabei, Utah, die Kurische Nehrung. Alaska neben den Malediven, Rügen über Grönland, die Alëuten unter Venezuela. Und Togo viel größer als Chile. Leider ist keine topographische Logik zu erkennen. Oder sind das Schnitzelschablonen? Klärung auf später vertagen. Schließlich hat man Zeit.

Man könnte einfach nach oben kucken. Die Zimmerdecke ist mit Holzbrettern vertäfelt, deren Astlöcher Gesichter bilden. Wenn man genau hinschaut. Katzen, Hunde, Koalas. Beim zweiten Hinschauen funktioniert es immer noch. Stimmt also.

Man könnte sich mal auf die andere Seite drehen. Welche Muskulaturen benötigt man wohl zum Umdrehen? Muss rauszukriegen sein. Probieren. Und dann: eine völlig neue Welt. Aha: Sonne! Toll. Nein, halt: Regen. Sieht nach einer dauerhaften Veranstaltung aus. Na wumpe. Und welche Muskulaturen waren nun beteiligt? Schon wieder vergessen. Pech. Aber für wen?

Man könnte nachts aufwachen. Langsam warten, bis sich die Augen ans Dunkel gewöhnt haben und den wandernden Schatten der vorbeibrausenden Autos folgen oder die Muster entziffern, die der ans Fenster klatschende Novemberregen schraffiert. Gut. Wird fest eingeplant.

Man könnte außerdem an der Matratze horchen. Nachtprogramm vom Milbenradio. Super. Mal was anderes.

Man könnte sich mal kratzen. Ja, da hinten. He! Da oben links nicht vergessen! Ah. Wunderbar. Erst mal die Decke festhalten. Die Bettdecke, sie rutscht!

Man könnte das alles festhalten und warten, bis die Kolumne in der Zeitung steht und darüber lesen und sich daran delektieren, wie es einem doch gut geht da im Bett. Im November. Wenn einem bitte schön noch jemand die Zeitung ans Bett brächte. Aufstehen muss ja nun wirklich nicht sein.

Man könnte einfach liegen. Nein, Faulheit ist das keineswegs. Man hat ja doch zu tun hier. Außerdem wird Faulheit schnell mit Verfaulen und Verwesen und so verbunden. Hier west das Gegenteil. Man blüht ja förmlich auf. Eins steht fest: Dieses segensreiche Tun sieben Tage die Woche, respektive 52 Wochen im Jahr – das hilft gegen Ausschlafstörungen. Sicher. Ganz sicher.