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Syrer fordern deutsche Sanktionen"Der Konflikt droht zu eskalieren"

Syrische Oppositionelle in Berlin haben die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert. Auch deutsche Medien könnten den Protestierenden in Syrien helfen.

Die Syrer Hozan Ibrahim (l.), Ferhad Ahma und Amer al-Neser (r) appellieren in der Bundeskonferenz an die Bundesregierung. Bild: reuters

BERLIN taz | Nun sitzen sie im großen Konferenzsaal der Bundespressekonferenz, mitten im politischen Zentrum der deutschen Hauptstadt. Das gibt ihrem Auftritt einen geradezu offiziellen Anstrich. Ehe in einer Stunde die versammelten Sprecher der Bundesregierung hier Stellung beziehen müssen, haben drei Männer aus einer Graswurzelbewegung das Wort: Ferhad Ahma, Hozan Ibrahim und Amer al-Neser, alles Vertreter der syrischen Demokratiebewegung. Bevor es hier vor den blauen Wand, die in den deutschen Fernsehnachrichten so oft zu sehen ist, wieder um Wulff geht, geht es nun um Leben und Tod.

Seit Beginn der Proteste gegen das Regime des syrischen Präsidenten Assad im März sind nach Schätzungen der Vereinten Nationen bereits mehr als 5.000 Menschen ums Leben gekommen. "Wenn die internationale Gemeinschaft weiter so langsam handelt, wie sie es bislang tut, dann droht der Konflikt in Syrien endgültig zu eskalieren", sagt Ferhad Ahma, Mitglied des syrischen Nationalrates.

Ahma weiß, was Opposition für Syrer auch in Deutschland bedeuten kann. Am zweiten Weihnachtstag wurde der Grünen-Politiker in seiner Berliner Wohnung von Unbekannten überfallen und mit Schlagstöcken traktiert. Dass der Überfall ein Einschüchterungsversuch syrischer Geheimdienste gewesen ist, daran zweifeln wenige. "Die Solidarität, die ich danach erfahren habe, hat mich bestärkt, nun erst recht für ein friedliches und demokratisches Syrien zu kämpfen", sagt er.

"Eine Flugverbotszone ist dringend"

Heute richtet Ahma einen Apell an die deutsche Öffentlichkeit. Er hat dafür Amer al-Neser mitgebracht. Der 27-jährige, der in Aachen Medizintechnik studiert, ist Sprecher eines großen Netzwerks syrischer Aktivisten. "Derzeit bemüht sich die syrische Opposition mit allen Mitteln, diesen Konflikt friedlich zu lösen", sagt al-Neser. "Und es ist eine Lüge, die dem Assad-Regime nur so passen würde, dass wir diejenigen sind, die Gewalt anwenden." Wenn die internationale Gemeinschaft jedoch weiter zuschaue, wie friedlich demonstrierende Menschen erschossen werden, dann wisse niemand, wie sich die Lage in Syrien entwickeln werde.

"Zum Schutz syrischer Menschenrechtsaktivisten braucht es dringend eine Flugverbotszone im Land - und schlagkräftigere Sanktionen gegen das Unrechtsregime", sagt al-Neser. Es gibt noch mehr Forderungen, die die Oppositionellen heute aufstellen: das sofortige Einfrieren der politischen Beziehungen zum Assad-Regime, den Abzug des deutschen Botschafters aus Damaskus. Das sind die Kernbotschaften dieser Pressekonferenz, die an diesem Mittwoch vis-à-vis von Bundestag und Bundeskanzleramt stattfindet.

Direkte Aufrufe an Europäer

Keine Stunde später, beim Pressetermin der Bundesregierung, sitzt am gleichen Tisch Andreas Peschke, Sprecher des Auswärtigen Amtes. Nein, sagt er, der deutsche Botschafter bleibe in Damaskus. Zwar sei die Bundesregierung im Austausch mit syrischen Oppositionellen. Doch nun werde zunächst abgewartet, zu welchen Erkenntnissen die Arabische Liga käme. Es wird also wohl noch etwas dauern.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb sich Syriens Opposition inzwischen direkt an die europäische Öffentlichkeit wendet. In einem Aufruf Ende Dezember hatte die syrische Oppositionelle Khawla Dunia in einem Hilfsappell in der taz auch schon um direkte finanzielle Unterstützung geworben - und um Spenden für die Hilfsinitiative "Adopt a Revolution", durch die lokale Widerstandsgruppen in Syrien direkt unterstützt werden können. Ferhad Ahma sitzt im Beirat dieser zivilgesellschaftlichen Hilfskampagne. Gut möglich, dass er gerade deshalb überfallen wurde.

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4 Kommentare

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  • JL
    julius lieske

    Gut möglich, dass der Friedensfreund nicht ganz so friedlich ist? Gut möglich auch, dass die taz vergessen hat, seine Kriegsdrohung zu erwähnen, deshalb hier, der Vollständigkeit halber noch eine kleine Ergänzung der Pressekonferenz:

     

    "Das in Berlin lebende Mitglied des Syrischen Nationalrates (SNR) Ferhad Ahma kündigte am Mittwoch »einen Guerillakrieg gegen die offizielle syrische Armee an«, wenn weder die Beobachtermission noch eine UN-Resolution Präsident Assad zum Machtverzicht bewegen würden. Die Bundesregierung müsse den Nationalrat »als legitime Stimme des syrischen Volkes« offiziell anerkennen, forderte sein SNR-Kollege Hozan Ibrahim laut Nachrichtenagentur dapd. Ibrahim verlangte von der Bundesregierung, »alle politischen Beziehungen zum Assad-Regime einzufrieren und den deutschen Botschafter aus Damaskus abzuziehen«. Außerdem müsse eine Flugverbotszone eingerichtet werden."

    (JW)

  • BK
    Björn Kunter

    Wer nicht will, dass Oppositionelle auf Hilfe aus den USA angewiesen sind muss selber spenden. Insofern finde ich den Ansatz von "Adopt a Revolution" richtig.

     

    Auch wer friedlich demonstriert, wer Flugblätter drucken und Untergrundradios unterhalten will, wer Gesuchte verstecken und verpflegen oder aus dem Land bringen muss, der braucht Geld.

     

    Wer angesichts des syrischen Repressionsapparats monatelang aushält und (trotzdem) gewaltfrei bleibt hat meine volle Unterstützung.

     

    Wer jetzt diese Unterstützung verweigert, darf sich nicht wundern, wenn es später zum Krieg kommt.

     

    Zur Erinnerung: Der gewaltfreie Widerstand im Kosovo gegen die serbische Diskriminierungspolitik dauerte zehn Jahre. Zehn Jahre in der die Weltgemeinschaft und leider auch die Zivilgesellschaft keine Unterstützung leistete, bis sich der kosovo-albanische Widerstand radikalisierte und es der UCK gelang die NATO in einen Krieg zu ziehen.

     

    Ich wünschte mir es hätte keine zehn Monate gedauert, bis "adopt a revolution" zur Unterstützung der syrischen gewaltfreien Widerstandsbewegung ins Leben gerufen wurde.

  • JL
    julius lieske

    Kriege sind humanitäre Einsätze; Kriegshetzer sind Menschenrechtskämpfer; Wohnungen sind Kommandoeinrichtungen; Linke sind Antisemiten; Faschisten sind Demokraten; Flächenbombardements sind mit chirurgischer Präzision geführte Luftschläge; Reformen sind Ausplünderungen; Angriff ist Verteidigung; Folter und Mord sind westliche Wertvorstellungen -

    und der grüne Politiker Ferhad Ahma ist ein tapferer Widerstandskämpfer, der nie die Unwahrheit sagen würde.

  • P
    Peter

    Hm, so sehr es mir um friedliche Demonstranten leid tut, die erschossen werden, so sehr habe ich auch ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Zu unklar ist mir die Informationslage.

    Es sind halt auch Bewaffnete, die gegen Assad kämpfen, mit unklaren sonstigen Zielen und unklaren Strukturen. Mit einer "Flugverbotszone" hat es auch in Libyen angefangen, mit ungezählten zivilen Opfern im Gefolge. Und die durch die NATO an die Macht gebombten neuen Herren in Libyen sind auch nicht gerade ein Muster an Demokratie und Rechtschaffenheit.

    Und ich habe auch ein ungutes Gefühl, wenn sich Teile der syrischen Opposition von den USA hofieren und finanzieren lassen.