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Rechtsterrorist in NorwegenNeues Gutachten im Fall Breivik

Nach einem neuen Bericht ist der mutmaßliche Attentäter Anders Breivik nicht psychisch krank. Drei Psychiater und ein Psychologe halten ihn für fast ganz normal.

Will sich keiner neuen Begutachtung unterziehen: Anders Breivik. Bild: dpa

STOCKHOLM taz | Anders Breivik ist weder psychotisch noch schizophren, bedarf deshalb keiner besonderen medizinischen Behandlung und ist auch nicht suizidgefährdet. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht von drei Psychiatern und einem Psychologen, die den mutmaßlichen Massenmörder seit August in der Untersuchungshaft beobachtet haben.

Ihr im Auftrag der Verwaltung des nahe Oslo gelegenen Ila-Gefängnisses, in dem Breivik einsitzt, erstellter Bericht kommt damit zu einem diametral anderen Ergebnis als das im Auftrag des Gerichts erstellte Sachverständigengutachten. "Wenn es eine solche fachliche Uneinigkeit gibt, macht das wirklich deutlich, dass es einer neuen Begutachtung bedarf", erklärte Rechtsanwalt John Arild Aasen, der mehrere Überlebende des Massakers von Utøya vertritt, gegenüber dem TV-Sender TV2.

Dieser hatte am Dienstagabend als Erster über die Schlussfolgerungen des noch nicht veröffentlichten neuen Rapports berichtet. Aasen fügte hinzu: "Wir glauben, dass die Gespräche, die die Gerichtssachverständigen hatten, nicht ausreichend waren, seine tatsächliche psychische Verfassung aufzudecken."

Uneinigkeit in Kommission

Die Gerichtsgutachter Torgeir Husby und Synne Sørheim hatten Ende November alle von ihren Kollegen jetzt verneinten Punkte bejaht. Eine routinemäßig zur Überprüfung eingesetzte Fachkommission hatte an ihrer Beurteilung nichts auszusetzen gehabt. Doch Medienberichten zufolge soll in der Kommission Uneinigkeit herrschen. Gleichzeitig hatten sich andere ExpertInnen offen kritisch über dieses Gutachten geäußert. Der Psychiatrieprofessor Johan Cullberg bezeichnete es als "anstößig, unprofessionell und fantasielos".

Während Breiviks Rechtsanwälte mitteilten, ihr Mandant lehne es ab, sich einer neuen Begutachtung zu unterziehen, ließ Staatsanwalt Svein Holden wissen, die Anklagebehörde sei dabei, eine Stellungnahme zur Frage der Notwendigkeit einer möglichen weiteren Begutachtung zu verfassen. Darin werde auch der jetzt bekannt gewordene Bericht Berücksichtigung finden. Das Gericht hatte eine Frist bis zum heutigen Donnerstag für solche Stellungnahmen gesetzt. Über eine mögliche neue Begutachtung müsste es bald entscheiden, soll der für Mitte April geplante Prozessstart nicht gefährdet werden.

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11 Kommentare

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  • S
    Shrink

    Also, also…

     

    Es ist schon bemerkenswert, wenn zwei verschiedene Gruppen von Shrinks zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Es geht hier schließlich nicht um eine Entscheidung nach Gutdünken… nein, ganz im Gegenteil, es gibt klare Diagnosekriterien für eine Schizophrenie (siehe DSM-4 und ICD-10).

    Zum Mitdenken seien hier mal die Kriterien einer Schizophrenie bzw. einer paranoiden Schizophrenie erläutert (und zwar nach der in Europa üblichen Klassifikation ICD-10).

     

    Allgemeine Kriterien für ( u.a. die paranoide) (…) Schizophrenie (ohne Ausschlusskriterien):

    Entweder eines der Symptome, Anzeichen und Syndrome aufgelistet unter 1. oder mindestens zwei unter 2. sollten in der Zeit während einer psychotischen Episode von mindestens einem Monat Dauer vorhanden sein (oder während einiger Zeit an den meisten Tagen).

     

    1. mindestens eins der folgenden Merkmale:

    a. Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder Gedankenausbreitung;

    b. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen auf Körper- oder Gliederbewegung oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten oder Empfindungen; Wahrnehmung;

    c. Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über das Verhalten des Patienten reden oder untereinander über ihn diskutieren, oder andere Stimmen, die aus bestimmten Körperteilen kommen;

    d. Anhaltender, kulturell unangemessener, bizarrer und völlig unrealistischer Wahn, wie der, das Wetter kontrollieren zu können oder mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen.

     

    2. Oder mindestens zwei der folgenden Merkmale:

    a. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während mindestens eines Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten Wahngedanken ohne deutlichen affektiven Inhalt oder begleitet von langanhaltenden überwertigen Ideen;

    b. Neologismen, Gedankenabreißen oder Einschiebung in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt;

    c. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächserne Biegsamkeit, Negativismus, Mutismus und Stupor;

    d. „negative“ Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte. (es muss sichergestellt sein, dass diese Symptome nicht durch eine Depression oder Medikation verursacht werden.)

     

    Paranoide Schizophrenie:

    Die paranoide Schizophrenie ist durch beständige, häufig paranoide Wahnvorstellungen gekennzeichnet, meist begleitet von akustischen Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen. Störungen der Stimmung, des Antriebs und der Sprache; katatone Symptome fehlen entweder oder sind wenig auffällig.

     

    A. Die allgemeinen Kriterien für eine Schizophrenie (siehe oben) müssen erfüllt sein.

    B. Wahnphänomene oder Halluzinationen müssen vorherrschen (…).

    C. Ein verflachter oder inadäquater Affekt, katatone Symptome oder Zerfahrenheit dominieren das klinische Bild nicht. Diese Phänomene können jedoch in leicher Form vorhanden sein.

     

     

    Ergo:

    Wenn zwei Gruppen von Diagnostikern zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen, obwohl sie zwangsläufig dieselben Diagnosekriterien anwenden, kann das nur eines heißen. Der Patient hat jeweils unterschiedliche Angaben über seine Symptomatik gemacht. Das ist natürlich in diesem Feld immer die Krux: man kann nur diagnostizieren, was der Patient preisgibt. Wenn er über die eigene Symptomatik lügt (was auch im Sinne eines Wahns durchaus Sinn machen kann), dann steht man praktisch mit leeren Händen da.

  • I
    imation

    Na mal abgesehen davon das einer der so etwas macht nicht "Normal" sein kann, gibt es eigentlich einen recht guten Grund in als "Geisteskrank" einzustufen.

    Die maximale Strafe, die das norwegische Recht für diese Verbrechen vorsieht, beträgt 21 Jahre Freiheitsentzug.

    Wer will den Breivik tatsächlich danach wider in Freiheit sehen? Ich nicht!

    Dann lieber ihn "Geisteskrank" erklären und für immer wegschliessen.

  • T
    thomas

    Tja, man macht solange Gutachten bis das richtige Ergebnis dabei ist.

  • V
    viccy

    Klar ist einer ganz normal, der mal eben knapp 80 Menschen ummäht. Was sonst? ...

  • ID
    Insanity defense

    Die sogenannte "Insanity defense" (seit 1843) war vielleicht mal ein "guter Trick", als die Knäste noch schlimmer als die Klapsmühlen waren. Was heute nicht mehr der Fall ist:

    "Lieber Knast als Klapse"

    http://jungle-world.com/artikel/2010/37/41726.html

    "Nach drei Jahren in der Psychiatrie

    Simulant will endlich ins Gefängnis

    ...

    "Ich habe aber nicht gedacht, dass es so schrecklich

    ist in einem psychiatrischen Krankenhaus""

    http://www.tagesspiegel.de/berlin/nach-drei-jahren-in-der-psychiatrie-simulant-will-endlich-ins-gefaengnis/5928768.html

     

    Heute ist die sogenannte "Insanity defense" (auch dieses Wort suggeriert einen etwaigen Vorteil durch diese Art der Verteidigung!) nach internationalem Recht durch die UN Behindertenrechtskonvention (BRK) illegal gestellt.

    [so ist diese Verteidigungsart auch in Schweden illegal, da die BRK dort am 15-12-2008 ratifiziert wurde.]

    Das Hochkommissariat für Menschenrechte der UN äußerte sich im Januar 2009 dazu so:

    "47. Im Bereich des Strafrechts erfordert die Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen die Abschaffung der Verteidigung auf der Grundlage der Negation strafrechtlicher Verantwortung aufgrund des Vorliegens einer psychischen oder geistigen Behinderung. (41)

    ...

    (41) im Englischen als "insanity defence" bezeichnet."

    []

    http://www.psychiatrie-erfahrene.de/forensik_illegal

    English:

    http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/10session/A.HRC.10.48.pdf

  • A
    Apple

    Drei Psychiater...

     

    drei "Diagnosen"

     

    Der Diagnonsens der Psychiatrie.

     

    "Geisteskrank? Ihre eigene Entscheidung!

    www.patverfue.de

    PatVerfü - Die schlaue Patientenverfügung."

     

    -------

     

    @ Frank Brockmann

    "schon immer ein beliebter Trick der Anwälte die Angeklagten als psychisch krank zu bescheinigen"

    "als psychisch krank zu bescheinigen"??

    Nur Psychiater (und Psychologen) - nicht Anwälte - "diagnostizieren" ihre Menschen als "psychisch krank".

    Der "beliebte Trick" geht heutzutage aber leider nach hinten los, weil Menschen im Maßregelvollzug keinen konkreten Entlassungstermin in Aussicht haben, sondern auf Gedeih und Verderb den meistens jährlich wiederholt gestellten Willkür-Gefährlichkeits-Gutachten der selbsternannten "Ärzte" ausgeliefert sind.

    Hinzu kommt, dass sie meist zusätzlich zu ihrer Einsperrung in Form der Zwangsbehandlung regelmäßige Körperverletzung (bzw. Folter) mit bewusstseinsverändernden Drogen zu erdulden haben.

     

    Ob das also ein guter Trick ist, oder doch nur noch tiefer in die "Teufelsküche" der Zwangs-Pharma-Psychiatrie fürhrt??

  • BM
    Bonita Montero

    Hatte mich echt schon gewundert, dass jemand der Schizophrenie haben soll weder Denkstörungen noch Haluzinationen hat. Dass passte von Anfang an für mich nicht.

  • TF
    the fall

    Ha, schön, stößt man hier doch mal wieder auf die Frage: Was ist denn "krank" und was bitteschön "normal"?

     

    Die Frage kennt man doch gerade in Bezug auf die Nazis (und Mitläufer) im 3. Reich sowie in vielerlei anderen Zusammenhängen.

    Das "Normale" kann ganz schön "krank" sein (oder einem zumindest so vorkommen) und andersherum das sogenannte "Irre" als "eigentlich normal".

     

    Vor nicht allzu langer Zeit hat ein Großteil der Deutschen z.B. blaugefärbte Haare für "krank" gehalten und Gartenzwerge aufzustellen als "normal". Das konnte man zwar auch andersherum bewerten, gehörte damit aber schon nicht mehr zu den "Normalen", sondern galt als "etwas irre".

     

    Bei Breivik könnte man natürlich seine Tat als per se krank bezeichnen. Aber ist er deswegen "psychisch krank"? Was verbindet ihn denn mit anderen "psychisch kranken" Menschen, die hochintelligent, feinfühlig und menschenfreundlich sein können?!?

     

    Vorbehalte gegen "Ausländer" und angebliche Angst vor "Überfremdung" sind auch hierzulande leider "normal", d.h. alltäglich" und weitverbreitet.

    Dennoch sind solche Einstellungen krank! Sie werden in der Regel nur nicht so definiert, sondern als "berechtigte / diskussionswürdige Einstellung".

     

    Soll heißen: Breivik könnte ein ganz normaler kranker Naziarsch sein... Psychisch mehr oder weniger gesund, aber eben nur Scheiße im Hirn.

  • H
    Hans

    NO MERCY FOR BREIVIK

     

    Na klar, hat er einen Schaden, aber der reicht nicht aus: Er gehört für immer in den Knast! Wer so zielstrebig seine Taten plant und ausführt, kann nicht wirklich behindert oder krank sein.

  • PV
    Plan Voll

    So einfach ist es freilich ist:

     

    Sich physisch krank schreiben zu lassen, ist kein "Trick", der dem Mandanten immer hilft, häufig genung geht der Schuss nach hinten los: der Mandant landet unbefristet in der forensischen Psychiatrie und bleibt dort nicht selten viel länger, als er bei voller Schuldfähigkeit in der JVA gesessen hätte. So mancher vermeintlicher Triumph der Verteidigung hat sich auf diese Weise schon als krasser Fehler entpuppt. Manche Patienten sitzen seit 10, 15 Jahren in der Forensik, obwohl sie eigentlich eine Strafe von 3-4 Jahren bekommen hätten. Andere sitzen für immer, weil kein Gutachter jemals wieder Ungefährlichkeit attestiert.

  • FB
    Frank Brockmann

    es war schon immer ein beliebter Trick der Anwälte die Angeklagten als psychisch krank zu bescheinigen, Heutzutage könnte fast jeder als nicht zurechnungsfähig eingestuft werden, vor allem wenn es um Bestrafung für Fehlverhalten geht...