Vögelzählen in Berlin: "Das ist 'citizen science' "
Hobbyornithologen sind aufgerufen, bei der "Stunde der Wintervögel" die Vögel Berlins zu zählen. Mitmachen kann jeder Interessierte, sagt Anja Sorges vom Nabu.
taz: Frau Sorges, am Wochenende findet zum zweiten Mal die "Stunde der Wintervögel" statt. Welche Vögel sind nach der letztjährigen Wintervogelzählung in Berlin am weitesten verbreitet?
Anja Sorges: Auf Platz eins steht der Haussperling, der hier 7.100-mal gesichtet wurde. Dicht gefolgt von der Kohlmeise (5.600) und der Amsel (3.600). Aber auch Elstern und Nebelkrähen sind weit verbreitet.
Sind auch Exoten gesichtet worden, also Vögel, die man in Berlin eher nicht vermutet hätte?
Die Forstwirtin, 37, ist seit 1997 bei Naturschutzprojekten aktiv. Seit 2007 ist sie Geschäftsführerin und seit 2010 Pressereferentin des Nabu Berlin.
Exoten eher nicht. Allerdings wurde der Seidenschwanz mehrfach beobachtet. Ein sehr farbenfroher Vogel, der nur im Winter, aus dem nördlichen Skandinavien kommend, in die Region zieht und sich von den anderen Arten deutlich abhebt.
Warum wird im Januar überhaupt eine Zählung vorgenommen?
Wir erheben die Zahlen nicht nur im Winter. Im Sommer veranstalten wir zusätzlich die "Stunde der Gartenvögel". Der Nabu lässt die Vogelpopulation also zweimal im Jahr zählen. Wir haben in Berlin einige Wintergäste, andere Vögel ziehen wieder weg. Mit der Auswertung der beiden Zählungen können wir somit Rückschlüsse auf die unterschiedliche Artenzusammensetzung ziehen. Außerdem kann grob eingeschätzt werden, wie sich die Populationsgröße entwickelt hat.
Dieser Winter ist vergleichsweise mild. Rechnen Sie im Vergleich zum letzten Jahr, als deutschlandweit 2,6 Millionen Vögel gemeldet wurden, mit veränderten Populationen?
Das ist schwer vorauszusagen. In Berlin haben wir ohnehin einen sehr starken Schwankungsbereich, da können wir keine klare Tendenz erkennen und sagen, es wird dahin gehen oder dorthin. Meine bayerischen Kollegen berichten allerdings, dass in diesem Jahr vermehrt Vögel in der Region bleiben und nicht weiterziehen. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse.
Ist denn die Artenzusammensetzung in einem Bezirk mit vielen Grünflächen anders als in einem mit verstärkter städtischer Bebauung?
In grünen Bezirken gibt es mit Sicherheit eine größere Artenvielfalt. Im Winter wollen sich die Vögel vor allem vor den Witterungsbedingungen verstecken, am liebsten im Buschwerk. Wo diese Strukturen vorherrschen, sind auch die meisten Vögel. Beispielsweise gehen die Niststätten des Haussperlings durch Fassadensanierungen oftmals verloren. In München werden mittlerweile Schutzprogramme für Haussperlinge durchgeführt. Ganz so weit ist es in Berlin noch nicht, aber wir sehen diese Entwicklung natürlich mit Besorgnis.
Die "Stunde der Wintervögel" ist ein Mitmachprojekt. Wer kann an der Zählung teilnehmen?
Jeder, der Interesse an der Vogelbeobachtung hat, kann an der Zählung teilnehmen. Wer sich Tipps holen möchte, der geht einfach auf unsere Homepage und findet dort Abbildungen der zehn häufigsten Vogelarten und auch eine Zählhilfe. Damit kommen auch begeisterte Laien mühelos zurecht. Oder man nimmt an einem der vier Winterspaziergänge in Berlin teil, wo unter fachkundiger Anleitung die Vögel beobachtet und gezählt werden. Die Zählhilfen gibt es als Download oder auch in der Geschäftsstelle des Nabu Berlin.
Gibt es besondere Voraussetzungen für die Teilnahme?
Überhaupt nicht. Die Zählaktion steht in bester Tradition der sogenannten "citizen science", die vor allem in Großbritannien bei Vogelfreunden weit verbreitet ist. Vom Laien bis zum promovierten Ornithologen ist dann dort die halbe Bevölkerung auf den Beinen. Und - wie gesagt - wer sich unsicher ist, aber mitmachen möchte, der ist mit Zählhilfe oder bei den Wanderungen gut aufgehoben.
Sind bestimmte Orte für die Zählung besonders geeignet, oder kann ich überall in der Stadt zählen?
Das bleibt ganz dem eigenen Interesse überlassen. Ob am Futterhäuschen, im Park, am Fluss- oder Seeufer, während eines Spaziergangs oder auf dem heimischen Balkon ist vollkommen egal. Man sollte sich einfach einen Platz nehmen, von dem aus man gut beobachten kann. Dann notiert man sich von jeder Art die höchste Zahl, die man im Laufe einer Stunde gleichzeitig beobachten kann.
Wie zähle ich denn überhaupt, damit es nicht zu Doppelungen kommt?
Wenn man sich an die Regel hält, dass innerhalb einer Stunde von jeder Art die höchste beobachtete Zahl gemeldet wird, können Doppelzählungen vermieden werden. Denn es ist ziemlich sicher, dass, wenn man sich an einem festen Ort befindet und seine Beobachtungen auf diesen Ort konzentriert, innerhalb einer Stunde die Individuen der einzelnen Arten sich nicht großartig durchmischen.
Wann werden die Ergebnisse vom Nabu veröffentlicht?
Bis zum 16. Januar werden die Ergebnisse zusammengetragen. Die Auswertung geht dann sofort los und sollte Ende Januar eigentlich abgeschlossen sein. Die Ergebnisse erfährt man natürlich auf unserer Internetseite.
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