Eine Justizposse rettet „Afrikas Pinochet“

Tschads Exdiktator Hissène Habré, in Belgien wegen Kriegsverbrechen gesucht, bleibt vorerst unbehelligt

Eine Überstellung Habrés nach Nigeria gilt als favorisierte „afrikanische Lösung“

BRÜSSEL/BERLIN taz ■ Das Hin und Her über eine mögliche Auslieferung von Tschads Expräsident Hissène Habré aus seinem Exil in Senegal nach Belgien, wo ihm wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit der Prozess gemacht werden soll, entwickelt sich zu einer diplomatischen Affäre. Am Sonntag nahm Senegals Innenminister Ousmane Ngom eine erst zwei Tage alte Entscheidung wieder zurück, Habré an die Afrikanische Union (AU) zu überstellen, und sagte, der Expräsident könne die nächsten zwei Monate in Senegal bleiben.

Erst am Freitag hatte Ngom verkündet, Habré müsse „innerhalb von 48 Stunden“ eine „Inventur seiner Güter in Senegal“ machen, um sich auf die Auslieferung einzustellen – allerdings nicht nach Belgien, sondern nach Nigeria, das derzeit die AU-Präsidentschaft hält. Dies folgte auf die Entscheidung eines Berufungsgerichts in Senegal, das sich für die Vollstreckung des belgischen Auslieferungsgesuchs für Habré nicht zuständig erklärte. Aufgrund dieses Gesuchs war Habré am 15. November in Senegals Hauptstadt Dakar festgenommen worden, wo er seit 1990 lebt. Seit Freitag ist er wieder frei.

Hissène Habré, von seinen Opfern „Afrikas Pinochet“ genannt, regierte Tschad von 1982 bis 1990 und soll in dieser Zeit, wie eine unabhängige Untersuchungskommission nach seinem Sturz ermittelte, den Tod von bis zu 40.000 politischen Gegnern in der Haft oder durch Hinrichtung zu verantworten haben. Er wurde Ende 1990 vom heutigen tschadischen Präsidenten Idriss Déby mit Waffengewalt gestürzt und floh dann nach Senegal. Ein Versuch tschadischer Opferverbände, ihm dort den Prozess zu machen, scheiterte 2000. Daraufhin erhoben Tschader mit belgischer Staatsbürgerschaft Klage gegen Habré in Belgien.

Erst am Donnerstag vergangener Woche hatte Tschads Präsident Déby bei einem Besuch in Belgien erneut die Auslieferung Habrés aus Senegal nach Belgien gefordert. Déby erinnerte seinen senegalesischen Amtskollegen Abdoulaye Wade daran, dass dieser selbst gesagt habe, er werde Habré in jedes Land schicken, das ihn haben wolle. „Ich bitte meinen Bruder, Präsident Wade, zu tun, was er gesagt hat, weil es ein Auslieferungsersuchen aus Belgien gibt“, so Déby in Brüssel. „Wir bitten ihn, Hissène Habré so gelassen wie möglich der Justiz zur Verfügung zu stellen, und wir werden jegliche Unterstützung dafür leisten, dass er verurteilt wird.“

Dass Senegals Justiz sich einen Tag später für nicht zuständig erklärte, wurde in Belgien als Scheitern der Auslieferungsbemühungen beurteilt. Der belgische Klägeranwalt George-Henri Beauthier nannte die senegalesische Entscheidung illegal angesichts der UN-Folterkonvention, die eine Pflicht zur strafrechtlichen Verfolgung oder Auslieferung flüchtiger Folterer beinhalte. Schon zuvor hatte Belgiens Justizministerin Laurette Onkelinx erklärt, im Falle einer senegalesischen Weigerung, Habré auszuliefern, müsse der Fall vor den für zwischenstaatliche Differenzen zuständigen Internationalen Gerichtshof in Den Haag gebracht werden.

Als Motiv für Senegals Zurückhaltung gegenüber Habré wird im Land der Umstand vermutet, dass Habré die mächtige Tidjani-Muslimbrüderschaft mitfinanziert, der auch Senegals Präsident Wade angehört. In senegalesischen Medien wird schon seit langem breite Kritik daran geäußert, dass ein afrikanischer Expräsident an ein europäisches Gericht ausgeliefert werden könnte. Habrés Freunde haben bereits Frankreich gebeten, Druck auf Belgien auszuüben, um von der Klage gegen Habré abzulassen – Habrés Frau hat einen französischen Pass. Sollte Habrés Stellung in Senegal unhaltbar werden, gilt in diesen Kreisen die Überstellung des Exdiktators nach Nigeria, wo bereits Liberias Expräsident Charles Taylor unbehelligt im Exil lebt, als favorisierte „afrikanische Lösung“.

Nigeria und Senegal haben nun vereinbart, dass sich der nächste AU-Staatengipfel mit der Sache befasst. „Das ist keine senegalesische, sondern eine afrikanische Affäre“, erklärte Senegals Außenministerium am Sonntagabend und behauptete, Senegal sei „von der Affäre Hissène Habré in keiner Weise direkt betroffen“. Bis zum Gipfel bleibt Habré in Senegal.

Der nächste AU-Gipfel findet Ende Januar 2006 statt – im Sudan. Dessen Regierung wird angesichts der Lage in Darfur kaum als Vorreiter bei der Verfolgung von Kriegsverbrechern in Erscheinung treten. Außerdem verdächtigt Sudan den tschadischen Präsidenten Déby der Unterstützung für die Rebellen in Darfur, während Déby seinerseits dem Sudan vorwirft, rebellierende tschadische Soldaten im Grenzgebiet zu fördern.

FRANÇOIS MISSER

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