Kinderverschleppung: Niemand werfe den ersten Stein

Das Landgericht Lüneburg verhandelt gegen einen Vater, der seine vier Kinder verschleppt hat. Seine Frau, so sagt er, habe durch die Trennung von ihm das Erziehungsrecht verwirkt.

Vor dem Landgericht Lüneburg zeigte der Angeklagte Axel H. (li) wenig Einsicht. Bild: dpa

LÜNEBURG taz |Axel H. bestätigt bis auf Details die Anklage des Landgerichts Lüneburg: Ja, er hat seine vier Kinder Ende April 2011 nach Ägypten entführt, weil er der Ansicht ist, dass die Mutter nicht länger das Recht habe, sie zu erziehen. Seine Frau habe mit dem Zusammenleben mit einem neuen Mann vor Gott Ehebruch begangen, sagt Axel H., aber er respektiere ihre Entscheidung. "Doch das gibt ihr nicht das Recht, die Kinder an sich zu reißen, wenn sie ihren Vater lieben." Axel H. ist 37 Jahre alt, Krankenpfleger, kurzes Haar, Kapuzenpullover. Auf der Straße würde sich niemand nach ihm umdrehen.

Die Medien bezeichnen Axel H. als christlichen Fundamentalisten, er selbst nennt das ein "verzerrtes" Bild. Er sagt das ruhig, aber im Ton eines Menschen, der Widerspruch schlecht verträgt. Es ist ein langer erster Prozesstag in Lüneburg, Axel H. sagt aus, seine Frau wird befragt. Außerdem eine Psychologin des Landeskriminalamtes, die dabei war, als die beiden Söhne, die bei der Entführung sechs und acht Jahre alt waren und die beiden Töchter, damals vier- und fünfjährig, nach vier Monaten in Ägypten am Frankfurter Flughafen landeten. Man erfährt vieles über eine gescheiterte Ehe, aber ein echtes Bild von Axel H.s Glauben gewinnt man nicht. Aber vielleicht ist da auch kein Glaube, sondern nur ein paar Versatzstücke, die einem Mann ohne Orientierung hilfreich erschienen, um Ordnung in ein Leben ohne Inhalt zu bringen.

Katja H., seine Ehefrau - das Scheidungsverfahren läuft noch - ist eine kleine, blonde Frau in schwarzer Strickjacke und Jeans, sie spricht leise, aber in den Streitereien war sie es, die laut wurde. Er versuchte, ihr Vorschriften zu machen und verbot ihr Kontakte zu Freunden, die in seinen Augen nicht rechtgläubig waren.

Kennengelernt hat das Paar sich 1997 bei der Ausbildung im Krankenhaus, zwei Jahre später ziehen sie zusammen, 2000 legen beide das Examen ab. In seiner Beurteilung habe gestanden, dass er Kritik schlecht vertrage, sagt sie. 2003 wird das erste Kind geboren, Axel H. geht in Elternzeit. Danach könnte er eine Stelle in einem anderen Bundesland antreten, sie würde mit den Kindern hinterherkommen, weil sie erst sehen möchte, ob er bei der Stange bleibt. Er lehnt das ab, beginnt noch eine Ausbildung als Podologe, eine Stelle wird er nicht mehr antreten.

In der Bibel beginnt er zu lesen, so schildert es seine Frau, als sie den Taufspruch für den zweiten Sohn suchen. Allmählich zieht er sich zurück, verbringt immer mehr Zeit vor dem Computer und bei der Bibel-Lektüre. Auf seiner Internetseite schreibt er über Glauben, aber er warnt auch vor Medikamenten, vor Autos und Mobiltelefonen.

Irgendwann überlegen seine Eltern gemeinsam mit der Schwiegertochter, ob der Sohn unter Wahnvorstellungen leide, aber es scheint, als hätten sie diese Möglichkeit verworfen. Die Familie lebt inzwischen von Hartz IV, das Paar streitet darüber, dass Axel H. keine Arbeit sucht, dass er sich zu wenig um die Kinder kümmert. "Es war ihm peinlich, im Ort mit dem Kinderwagen gesehen zu werden", sagt Katja H.. Nach einer ersten Trennung und einem Versuch, die Ehe doch noch zu retten, trennt sie sich 2009 endgültig, danach findet sie einen neuen Partner. Das Interesse ihres Mannes an den Kindern, so sagt Katja H., sei erst dann erwacht.

Über das jeweilige Verhalten nach der Trennung gibt es jene Unstimmigkeiten, die, so scheint es, mehr mit den Altlasten der Beziehung als mit dem Kindeswohl zu tun haben. Vor Gericht wird ein Umgangsrecht für den Vater ausgehandelt, mit der Option, dass die Kinder zusätzlich kommen können, wenn sie es wünschen. Laut Axel H. hat seine Frau auf diesen Wunsch mit Bestrafung der Kinder reagiert. Er selbst liest mit den Kindern das Gleichnis von der Ehebrecherin - dabei geht es ihm aber weniger um Jesu Verurteilung der Ankläger als um die Reue der Frau.

Wichtig für das Gericht ist die Verfassung der Kinder, nachdem die Polizei sie in Kairo gefunden und nach Deutschland zurückgebracht hat. Die Psychologin des Landeskriminalamtes sagt, dass sie dünn, aber lebhaft und "richtig wohlerzogen" gewesen seien. Sie seien auf den Vater bezogen gewesen und hätten nicht eingeschüchtert gewirkt. Aber beim Wiedersehen mit der Mutter habe sie "Sehnsucht nach ihr" wahrgenommen. Jonas, mit acht Jahren der Älteste, habe sich "wie eine Mutter" um die anderen gekümmert. Er war es, der dem Vater vor der Verschleppung die Reisepässe gezeigt hatte.

Die Psychologin sagt, sie habe Axel H. gesagt, dass er seinem Sohn zu viel zumute. Da habe sie "wenig Einsicht" bei ihm festgestellt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.