Kolumne Die Farbe Lila: Kleben Sie sich die Kolumne auf'n Arsch
Neues Wundermittel im Kampf gegen Cellulite! Jetzt ausprobieren! Garantiert so erfolgreich wie die Konkurrenz!
Cellulite tut nicht weh. Sie stört nicht beim Laufen, auch nicht beim Kochen oder Fallschirmspringen. Sie riecht nicht. Sie schreit nicht.
98 von 100 Frauen auf dieser Welt haben Cellulite.
Klingt schockierend, als würde man sagen: So gut wie alle Menschen haben Diabetes. Da muss man doch was tun! Der Trick ist das Wort Cellulite. Klingt fast so wie Cellulitis (und wird gerne auch fälschlicherweise so bezeichnet), die bakterielle Entzündung des Unterhautgewebes. Die man nur loswird, indem man eine Menge Antibiotika schluckt.
Ein Marketingcoup ohne Vergleich also die "Erfindung" von Cellulite Anfang der 70er: Eine französische Ernährungsberaterin warb mit deren Behandlung, ungefähr zur gleichen Zeit warnte auch eine New Yorker Kosmetikerin, man müsse dieser "Kombination aus Fett, Wasser und toxischen Abbauprodukten Einhalt" gebieten. Ihre Definition der Cellulite ist wissenschaftlich gesehen: Quark.
Zwei Frauen auf zwei Kontinenten entschieden sich also zur etwa gleichen Zeit dafür, dass Frauenkörper nicht mehr aussehen durften, wie sie aussahen, sondern dass da dringend was getan werden müsse.
Exkurs Frauenkörperkunde: Weibliche Lederhaut ist weicher als männliche. Vor allem, weil sie eine schöne dicke Fettschicht hat. Kollagenfasern halten das alles zusammen und sind bei Frauen anders aufgebaut als bei Männern, weswegen die ziemlich selten Cellulite bekommen. Nur könnte sich deren Haut auch nicht mehrmals im Leben so dehnen, dass eine Riesenmelone darunter Platz hat.
Die Natur hat sich also durchaus was dabei gedacht, als sie die Kollagenfasern von Frauen parallel nebeneinander stapelte, anstatt sie zu einem dichten Netz zu flechten, wie sie es bei Männerhaut tat. Sie hat ganz offenbar nur nicht damit gerechnet, damit optische Schwierigkeiten auszulösen.
Natürlich kann man niemanden daran hindern, seine Freizeit und sein Vermögen in den Kampf gegen etwas völlig Normales zu stecken. Geschätzte 6 Milliarden Dollar geben Frauen weltweit jedes Jahr für Anti-Cellulite-Behandlungen aus, für Cremes und Öle, für Massagen, für Bauch-Beine-Po-Programme, chirurgische Eingriffe und absurde Folterinstrumente.
Die US-amerikanische Autorin Valerie Monroe machte den Selbsttest, eine Laserbehandlung, die angeblich gegen Cellulite helfen soll, und schrieb darüber. "Die Wahrheit ist: Ich wollte an mir herunterschauen und meinen Hintern am Tag meines Abschlussballs sehen. […]
Zweimal pro Woche rollte eine junge Dame eine Maschine, die aussah wie R2D2, über meinen Hintern und meine Oberschenkel. Es fühlte sich an, als würde jemand meinen Arsch staubsaugen."
Wissenschaftler lachen sich über die von Anti-Cellulite-Tees und -Tabletten versprochene "Entschlackung" kaputt. Was die Käuferinnen nicht interessiert. Apropos: Ich schwöre Ihnen, wenn Sie diese Kolumne ausschneiden, fest auf die befallenen Stellen pressen und zweimal den Erlkönig aufsagen, einmal vorwärts und einmal rückwärts, erzielen Sie so hervorragende Effekte wie mit einem Eimer überteuerter Creme.
Ich stelle diesen Text auch gerne noch einmal per Post zu - gegen ein kleines Entgelt, versteht sich. Glauben Sie mir, er hilft gegen diese Dellen im Hir… äh … Hintern.
Leser*innenkommentare
Sabrina von Fersen
Gast
Und plötzlich hab ich keine Angst mehr vor meiner Cellulite....
ion
Gast
Frage mich nur, ob dieses Phänomen: Cellulite, eben nicht doch auch insgesamt Folge der Lebensweise in so genannten 'westlichen' Gesellschaften ist, denn: wie eine Studie vor Jahren herausgefunden haben will, trifft diese Symptomatik in signifikanter Häufung eben nur in ebenjenen, saturierten 'Couchpotato'-Gesellschaften auf.
Insofern: "Gott segne (....)" (cf.: Ma Dalton), dass es sowohl ihn, als auch die taz nicht weltweit braucht.
tazitus
Gast
"..Die Natur hat sich also durchaus was dabei gedacht."
Mein allerliebster Blödsinnssatz
polytechniker
Gast
Ohne smiley: eine moderate Orangenhaut bei Mädels finde ich ohne Einschränkung attraktiv. Um es ganz klar zu sagen, Cellulite ist ein sekundäres Geschlechtsmerkmal bei Frauen - also urweiblich, nicht imitierbar und somit (für mich) authentisch geil.
Zum Problem wird das vielleicht erst, wenn sie freiwillig die Leinwand für andere sein will, oder sein Idealtypus von Frau sich recht genau mit ein paar Zahlen beschreiben lässt. Wie langweilig.
Ha, schon wieder beim rechtfertigen ertappt.
hubert
Gast
Nicht, dass die Versuche multinationaler Konzerne, vorzuschreiben, wie Menschen auszusehen haben, mir nicht vorher schon scheißegal gewesen wären. (Nein, scheißegal ist wirklich das falsche Wort. Sie kotzen mich an.)
Aber es ist jedenfalls gut zu wissen. Danke für.
frohbin
Gast
Vielen lieben Dank!
Ma Dalton
Gast
Ich mußte mir damals mit 24 erstmal erklären lassen, was zum Geier das sein soll, diese ominöse Cellulite. Kapiert hab ichs bis heute nicht so hundertpro... Da hieß es immer: das hat man, wenn man den Finger an der Stelle reindrückt, und die Delle erstmal kurz dableibt und erst nach ner Sekunde oder so zurückgeht. Stell ich mir lustig vor, hab sowas aber noch nie gesehen. Auch bei mir nict. Dennoch hat man mir erklärt, ich hätte das trotzdem - weil mein auf einem Urlaubsfoto abgelichteter Oberschenkel, so schneidersitzähnlich auf ein Mäuerle hochgeschwungen, keine straffglatte Haut hatte, sondern kleine "Wellen" zu sehn waren… und ich dachte immer, es sei normal, daß sich Haut bei einer Dehnung mitverformt. Tjaja, so kann man sich irren...irgendwie sind allerdings die zahlreichen Männer und Jungs, die an diesen Cellulitekram glauben, fast noch tragischere Gestalten. Ich meine... wenn man schon so unsicher ist, daß man künstlich erfundene Mäkel an anderen Körpern sucht und sich einreden läßt, das sei unschön - wie ungesund kritisch muß man dann erst recht mit dem eigenen Körper umgehen?
Gott segne meine diesbezügliche Ignoranz.