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Regionale Zensur bei Twitter und GoogleNächster Frühling ohne Twitter?

Twitter verursacht heftige Proteste wegen der Ankündigung, Inhalte länderspezifisch sperren zu wollen. Google macht derweil recht lautlos genau das Gleiche.

Lernen diese chinesischen Marineschülerinnen alternative Methoden für dissidente Kommunikation? Bild: imago

BERLIN taz | Große Aufregung machte sich bei den Nutzern des sozialen Kurznachrichtendienstes Twitter breit, als der in einem Blogpost ankündigte, dass in Tweets in Zukunft nach lokalen gesetzlichen Gegebenheiten gesperrt werden könnten. Twitter werde in Ländern operieren, die "andere Vorstellungen vom Umfang der Redefreiheit" haben, verkündete das Unternehmen und dass es die Inhalte entsprechend anpassen werde.

Bei den darauf folgenden Protesten wurde erstens übersehen, dass Twitter bereits jetzt bestimmte Inhalte global sperrt, wenn dort entsprechende rechtsgültige Aufforderungen eingehen. Die neue Methode wird diese Sperrungen auf den jeweilig betreffenden nationalen Bereich beschränken.

Zweitens ist es durchaus bemerkenswert, dass Twitter diese Inhalte nicht einfach unsichtbar machen wird, sondern die Leerstelle als solche kennzeichnen will, ähnlich der Sperrvermerke auf Google bei bestimmten Suchanfragen. Dazu wird auch ein Verweis auf die Seite Chilling Effects gehören, die die entsprechende Anordnung dokumentiert.

Da nationale Schranken im Internet mit einem soliden Basiswissen und wenig technischem Geschick durchaus zu umgehen sind, ließe sich auch argumentieren, dass Twitter sich zwar aus einem Geschäftsinteresse heraus kritikwürdigen Beschränkungen unterwirft, dies aber gleichzeitig so transparent macht, dass die Betroffenen zumindest nach derzeitigem Stand der Technik auch eine Möglichkeit haben werden, sich selber den gewünschten Zugang zu verschaffen.

Auch Google sperrt regional

Was drittens ein wenig untergeht in der Debatte ist die Tatsache, dass solche Sperren auch an anderer Stelle bereits zum Standard gehören. Wie heise.de berichtet, versteckt sich einem Support-Dokument des Google-Blog-Anbieters blogger eine Ankündigung des gleichen Verfahrens. Dort heißt es, dass die Blogs jeweils national zugeordnet werden, um gesetzliche Bestimmungen regional ausdifferenziert anwenden zu können. Von einer Markierung der Leerstelle mit einem Link zu Chilling Effects ist hier jedoch nicht die Rede.

Die Position expandierender Internetdienste wie Twitter und Google ist schwierig. In der Zange zwischen teilweise restriktiver staatlicher Regulierung und dem Dauerfeuer der Musik- und Filmindustrie wegen der vermeintlichen Förderung von Urheberrechtsverletzungen und den Anforderungen an den kommerziellen Ausbau fallen da gerne die Ideale von freier Rede und Demokratie unter den Tisch.

Lobbying gegen das freie Netz

Dass selbst mehr oder weniger freiwillige Selbstbeschränkungen nicht ausreichen, um alle Interessen zu befriedigen, zeigen sowohl die Proteste der Nutzer, als auch das fortgesetzte Lobbying gegen den freien Datenverkehr. So verlangt die Musikindustrie in einem Papier von Google, Bing und Yahoo die massive Überwachung von Suchergebnissen, die auf Seiten führen könnten, die nach Ansicht der Rechteinhaber Urheberrechte verletzen.

Diese sollen gleich ganz aus den Ergebnissen verschwinden oder wenigstens schlechter eingestuft werden als die legitimen Seiten. Welche das sind, will die Musikindustrie wenig überraschend selber bestimmen.

Trotz dieses Drucks ist es für Twitter keineswegs die beste Werbung, für die zu erwartende Zensur Lob von der thailändischen Regierung und der Global Times, einer offiziellen chinesischen Zeitung, zu bekommen. Schließlich galt der Dienst als ein wichtiger, mithin freier Kommunikationsweg während des arabischen Frühlings.

Zukünftige politische Aktivisten werden sich vielleicht neue Kommunikationswege suchen müssen. Während die etablierten Unternehmen sich anderen politischen und ökonomischen Anforderungen unterwerfen, bleibt hier sicher jede Menge Raum für technische Phantasie und Innovation.

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2 Kommentare

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  • DK
    Daniél Kretschmar

    Ja, das könnte eine mögliche Richtung sein. In taz-Berichten wurde das auch schon mal angeschnitten (so 2005/6). Für ein größeres Feature scheint (mir persönlich) Freenet aber zu geekig zu sein.

     

    Was überhaupt ein Problem ist: Die bisweilen hohen Anforderungen an den Wissensstand und die technischen Fähigkeiten der User bei solchen sichereren Lösungen.

     

    Das war übrigens, wenn ich die Wikipedia richtig lese, nicht Twitter mit den chinesischen NutzerInnen, sondern eine Zugangssperre, die aber inzwischen umgangen werden können müsste.

     

    https://de.wikipedia.org/wiki/Freenet

  • AB
    Arne Babenhauserheide

    Vielleicht werden wir dann bald wieder mehr Chinesen in Freenet finden. Das ist verteilt, frei, anonym und dediziert für Freiheit von Zensur entwickelt worden.

     

    Vor Twitter hatte es viele Chinesische Nutzer. Vielleicht werden die nun wieder merken, dass kein zentralisierter Dienst ihnen wirkliche Redefreiheit bieten kann. Denn wo unfreie Software auf entfernten Servern läuft ist immer jemand, den eine zensurfreudige Regierung unter Druck setzen kann.

     

    Seit Freenet 0.7 versteckt es auch seine Existenz (im Darknet-Modus), so dass die Nutzer nur schwer aufgespürt werden können. Und die Autoren der Inhalte so gut wie gar nicht.

     

    Wäre ein tolles Feature-Thema für die Taz…

     

    http://freenetproject.org