Probleme der Demokratie: Von seinen Bürgern verlassen
Manchmal ist es schwierig direkte und repräsentative Demokratie unter einen Hut zu bringen: In der niedersächsischen Samtgemeinde Walkenried zerlegt das Ergebnis einer Bürgerbefragung gerade die Selbstverwaltung.
Walkenried, das stand einmal für unvorstellbaren Reichtum. Das dortige Kloster galt als Ort, wo die Chefs "herlich und prechtig zehren und pancketieren" konnten. Aber das hat Martin Luther geschrieben, im Zorn und vor Langem. Heute ist die Samtgemeinde Walkenried Niedersachsens ärmste oder viertärmste Kommune, je nach Zählung.
Die kommunale Pro-Kopf-Verschuldung dieses Konstrukts, das neben dem Klosterort noch die Dörfer Wieda und Zorge umfasst, liegt bei 3.163 Euro. Jetzt will auch noch der hauptamtliche Bürgermeister aufgeben, drei Jahre vor Ende der Amtszeit. "Was", fragt Frank Uhlenhaut, "soll ich denn noch machen?"
Seit August 1999 ist der Sozialdemokrat hier Samtgemeindebürgermeister, zwölfeinhalb Jahre. Seit zehn Jahren ist er Kreisverbandsvorsitzender des niedersächsische Städte- und Gemeindebundes und selbstredend ehrenamtlicher Gemeindedirektor: Klingt nicht nach jemandem, der nur darauf gewartet hätte, dass Niedersachsens Kommunalverfassungsgesetz einem Hauptverwaltungsbeamten die Möglichkeit einräumt, "aus besonderen Gründen" den Ruhestand zu beantragen.
Denn einfach zurücktreten kann ein Bürgermeister nicht. Allerdings: Peinlich berührt vom grotesken Loveparade-Nachspiel des Duisburger OB Adolf Sauerland haben etliche Flächenländer 2011 wenigstens die Option geschaffen, sich würdevoll zurückzuziehen. Auch Niedersachsen. Und so weit sind wir jetzt: Uhlenhauts Antrag ist eingereicht.
Er respektiere den Schritt Uhlenhauts, sagt der starke Mann der örtlichen CDU, Herbert Miche: "Ich werde zustimmen." Aber wie seine Fraktion entscheidet, sei unklar, "darüber haben wir noch nicht beraten". Und für den Abschied braucht der Bürgermeister eine Dreiviertelmehrheit. Am 23. Februar stimmt der Samtgemeinderat über die Bitte ab. Er kann ihr nachkommen - oder Uhlenhaut vollends ins Elend stürzen. Es sei "tatsächlich so, dass mir das schlaflose Nächte bereitet", sagt der 47-Jährige, seit Herbst, denn: "Ich kann den gewählten Kurs nicht mitgehen."
Der gewählte Kurs, das ist der, die Samtgemeinde eben nicht mit der knapp zehn Kilometer östlich gelegenen Kleinstadt Bad Sachsa zusammenzuschließen. Uhlenhaut hält "die Fusion wirklich für alternativlos": Es ließen sich Doppelstrukturen abbauen, so die Hoffnung, und das Land Niedersachsen zahlt eine schöne Prämie dafür, die Hälfte der Kassenkredite von 2009: 18 Millionen, fifty-fifty zwischen Sachsa und der dann Ex-Samtgemeinde - das wäre schon wichtig, um aus der Zinsfalle rauszukommen. Denn aus eigener Kraft kann das nicht gelingen.
Dafür, dass es so verarmt ist, kann Walkenried weniger als einst die feudalen Mönche für den Furor der marodierenden Wutbauern, die 1525 den Niedergang des Ortes einläuteten: Die Geistlichen flohen. Und die Bauern, so heißt es, plünderten damals das Kloster, nutzten Evangeliare als Fußabtreter - und schmissen dann den Kirchturm um.
So ganz hat sich Walkenried davon nie erholt. Aber richtig schlimm ist es erst seit 1990. Vorher gabs wenigstens noch Zonenrand-Förderung. Aber mit der Wiedervereinigung kam der Aufbau Ost - hier oft konkret ein Abbau West. Tourismusangeboten in Sachsen-Anhalts Ostharz und im nahen Thüringer Wald fließen fette Subventionen zu - während man im Westharz bis heute bemüht ist, wenigstens die Fremdenverkehrs-Standards der 80er Jahre zu halten. Zuguterletzt wurden noch die verbliebenen Institutionen dicht gemacht: Amtsgericht futsch, Forstamt futsch. Güterbahnhof - zu. Immerhin, die Fleischerei Rennschuh hält sich noch.
"Das Machbare machen!": Das war bei seiner Wiederwahl 2006 Frank Uhlenhauts Slogan. "Das war", räumt er nun ein, "schon ziemlich verhalten." Wären dieses Jahr auch Bürgermeisterwahlen gewesen, hätte er mit dem Spruch "Das Notwendige machen!" für sich geworben - "weil ich die Fusion für absolut notwendig halte".
Wahrscheinlich war er als erster für diese Reform. Und als sich dann endlich auch seine Parteifreunde dafür erwärmten, "da war ich richtig begeistert". Das hat er auch schon im Wahlkampf deutlich gemacht, im September. Und im Vorfeld der Bürgerbefragung in den Wochen danach.
Die erfreute sich guter Beteiligung. Und das Ergebnis klar: Halb Zorge war gegen die Verschmelzung, fast 70 Prozent der Walkenrieder lehnten sie ab. Die Wiedaer durften gar nichts sagen: Sie waren entmündigt worden, von ihrer örtlichen SPD-Fraktion. Weil nämlich die Bürger von Walkenried und Zorge bei der Fusionsbefragung anders gestimmt hatten, als es die Wiedaer SPD gewollt hätte, haben sechs ihrer Kommunalwahl-Kandidaten nun ihr Gemeinderats-Mandat nicht angenommen, darunter der ehrenamtliche Bürgermeister Edgar Hopfstock. Dadurch wurde die CDU stärkste Kraft im Rat von Wieda.
Das ist sie auch in Walkenried, aber ganz normal, durch den Willen der WählerInnen: Sie war strikt gegen die Fusion oder, genauer, "dafür, dass man alle Alternativen prüft", so Miche. Was nun aufs Gleiche hinausläuft. Denn jetzt, nach der Bürgerbefragung, wäre es ein Affront, über eine Fusion auch nur laut nachzudenken. Also hofft man, dass das Land Niedersachsen auch ohne Zusammenschluss aushilft. Bloß warum sollte es?
"Im Grunde", sagt Uhlenhaut, bin ich für Bürgerentscheide." Und er sei oft unterlegen gewesen, in seinen fast 13 Jahren als Samtgemeinde-Chef. Manchmal ist es schwer, direkte Demokratie und repräsentatives System unter einen Hut zu bringen.
Denn wie soll Uhlenhaut damit umgehen, "wenn die Bürger meinen Problemlösungsstrategien so grundsätzlich misstrauen?" Soll er sich "zum reinen Frühstücksdirektor" degradieren lassen - und tun, was er für falsch hält? In einer Frage über Gedeih und Verderb? Ein "Bürgermeister ohne Bürger" sei "kein Meister", findet Uhlenhaut - "sondern gar nix".
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