Verfahren gegen Armstrong eingestellt: Freispruch zweiter Klasse
Die US-Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen gegen Lance Armstrong ein. Doch der Dopingverdacht gegen den siebenmaligen Tour-de-France-Gewinner bleibt.
Lance Armstrong hat seine achte Tour de France gewonnen. Sie war in Kilometern nicht zu messen, dauerte aber fast zwei Jahre. Im Ex-FBI-Agenten Jeff Novitzky hatte der Rekordmann aus Texas einen Mann, der härter, smarter und ausdauernder schien als all die Jan Ullrichs, Ivan Bassos und Joseba Belokis, die ihn zuvor auf dem Rad herausgefordert hatten - und die allesamt zu den Kunden des Dopingarztes Eufemiano Fuentes gezählt werden. Novitzky hatte bis dato einige dopende Sportler überführt, als prominenteste von allen Olympiasiegerin und Weltrekordlerin Marion Jones.
Doch an Armstrong biss auch Novitzky sich die Zähne aus. Bundesstaatsanwalt Andre Birotte ließ mitteilen, dass die Arbeit der Grand Jury, die über den Dopingverdacht gegenüber Armstrong zu befinden hatte, eingestellt wird. Armstrong feierte dies wie einen Sieg. "Ich bin hoch erfreut. Es ist der richtige Entscheid. Ich freue mich jetzt darauf, mein Leben als Vater, Wettkämpfer und Anwalt für den Kampf gegen Krebs ohne diese Ablenkung fortzusetzen", ließ er seinen Sprecher Mark Fabiani ausrichten. Frühere Weggefährten zeigten sich hingegen bestürzt. "Unser Rechtssystem hat versagt", meinte Betsy Andreu, Ehefrau vom einstigen Armstrong-Helfer Frank Andreu und nach Eigenaussage Zeugin eines Dopinggeständnisses von Armstrong.
Versagt hat das Rechtssystem nicht. Es ist nur nicht auf den Kampf gegen Doping ausgelegt. Die Verdachtsmomente waren in der Tat beträchtlich. Neben den Andreus beschuldigten auch Floyd Landis und Tyler Hamilton ihren einstigen Boss des Dopings. "Ich sah Epo in seinem Kühlschrank. Ich sah mehr als einmal, wie er es sich gespritzt hat, wie wir alle es gemacht haben, wie ich es viele, viele Male getan habe", erzählte Hamilton in einem TV-Interview. Landis bezeichnete Armstrong als seinen "Doping-Mentor". US-Medien bezichtigten Armstrong der Nutzung des Blutersatzstoffes HemAssist. Eine nachträgliche Analyse seiner Dopingproben von der Tour 1999 durch das französische Labor Chatenay-Malabry erbrachte den Nachweis von Epo.
Kein Sieg der ersten Klasse
Beim Verfahren der Grand Jury drehte sich aber nicht darum, ob Armstrong gedopt haben könnte. Es sollte vielmehr herausgefunden werden, ob US-Steuergelder aus dem Budget des halbstaatlichen Postunternehmens für Dopingpraktiken im Team US Postal benutzt wurden. Das gestaltete sich als schwierig. Weil Staatsanwalt Birotte keine Angaben über die Gründe der Einstellung des Verfahrens machte, kann man nur spekulieren: Es könnte an der Verjährungsfrist für solcherart Delikte liegen. Sie beträgt für gewöhnlich 5 Jahre. Lediglich die Gesetzgebung für organisiertes Verbrechen (Rico) gewährt ein Zehnjahresfenster. Doch auch da wäre es eng geworden. Hamiltons Aussagen decken nur die Jahre 1999 bis 2001 ab, Landis' Zeugenschaft reicht bis 2004. Vielleicht waren die Geldflüsse auch nicht direkt nachzuweisen. Und Armstrong kam dank der cleveren Arbeit seiner Anwälte gar nicht erst in die Verlegenheit, vor einer Grand Jury aussagen - und eventuell lügen - zu müssen, wie es Marion Jones passiert ist.
Lance Armstrong hat mit der Einstellung des Verfahrens einen Sieg errungen. Er ist weiterhin nicht offiziell des Dopings überführt. Einen Freispruch erster Klasse hat er aber auch nicht erreicht. Der Ankündigung der US-Antidopingagentur Usada, den Fall sportjuristisch weiter zu verfolgen, kann er wohl gelassen abwarten. Die Usada hat die seit Jahren bekannten Verdachtsmomente nicht für ein Verfahren genutzt. Ob sie Erkenntnisse, die in einem zur Einstellung gebrachten Grand-Jury-Verfahren gewonnen wurden, verwenden kann, ist juristisch umstritten.
Als Fazit bleibt: Wir werden wohl nie offiziell erfahren, wie Armstrong sieben Mal die Frankreich-Rundfahrt gewinnen konnte. Ob die Entscheidung pro Armstrong das Dopingverfahren gegen seinen Nachfolger Alberto Contador in irgendeiner Form beeinflusst hat, werden wir heute Nachmittag erfahren. Für diesen Zeitpunkt hat das internationale Sportgericht Cas in Lausanne die Verkündung seiner Entscheidung zu den Clenbuterol-Spuren im Körper des Spaniers avisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
Öl-Konzern muss CO₂-Ausstoß nicht senken
Shell hat recht
Übergriffe durch Hertha-BSC-Fans im Zug
Fan fatal