Flicken, saugen, zupfen

RESTAURATOREN Kunst ist super, macht aber viel Arbeit, etwa im Hamburger Bahnhof in Berlin. Dort sorgen Otto Hubacek und Carolin Bohlmann für den Erhalt von Beuys’ Fetten, Fellen und Filzen, von Fischen und frischem Grün

Der Restaurator steht immer zwischen Verfall und Erhalt, zwischen Kunstwerk und Museum. Er muss nicht unbedingt wissen, was ein Künstler geschaffen hat, sondern wie er es geschaffen hat

VON CAROLIN PIRICH

Die Japaner haben ein Problem. Im Hut ist ein Loch, und aus diesem Loch leckt Fett. Deshalb haben sie Otto Hubacek angerufen, ob er nicht helfen könne. Der Hut solle jetzt ausgestellt werden in Mito, und er kenne sich doch aus damit. Otto Hubacek muss darüber nachdenken, ein freundlicher Mann Mitte fünfzig, auf dessen dunklem Jackett die Enden eines hellen Schals herabhängen. Damit sieht er selbst ein bisschen aus wie ein Künstler, aber das ist er nicht. Jedenfalls nicht ganz.

Im Mai 1982 stand er zusammen mit Joseph Beuys im Städtischen Museum Abteiberg in Mönchengladbach und baute zwei Wochen lang aus Fettblöcken eine Installation auf. Seitdem kam er immer wieder mit Beuys’ Werken zusammen, 1996 zog er sogar mit ihnen nach Berlin.

Carolin Bohlmann bröselt Futter ins Aquarium, stellt die Dose zurück in den Schrank und schreibt ihren Namen in eine Tabelle, die an der Wand hängt: Fische am Vormittag gefüttert. Das Aquarium steht vor einer weißen Wand, die Glasscheiben sind blank gewischt. Nichts trübt den Blick ins klare Wasser, in dem hellrote Schwertträgerfischmännchen schweben. Schwertträgerfischmännchen sind klein, aber aggressiv. Wenn sie um ein Weibchen balzen, richten sie ihre Rückenflosse auf, die dann aussieht wie ein Schwert. Aber gerade sieht die Rückenflosse ganz entspannt aus, und sie streifen mit ihren Mäulchen über den Kiesboden. Aus einer Pumpe blubbern Luftblasen.

Es ist ein friedliches Bild, und man könnte meinen, es wäre einfach ein Becken mit kleinen Fischen und Büschen, wenn es nicht das Schild an der Wand als ein Werk des Schweizer Künstlers Roman Signer auswiese. Es heißt schlicht „Aquarium“; aber Roman Signer hat eine Minirakete mit feuerroter Spitze durch die Scheibe gebohrt. „Es geht um Aggression“, sagt Carolin Bohlmann, während sie flink den Deckel aufs Aquarium zurückschiebt. „Aber ich bin nicht der Kurator.“

Otto Hubacek und Carolin Bohlmann sind Restauratoren im Hamburger Bahnhof in Berlin, einem der größten Museen für zeitgenössische Kunst. Sie müssen nicht unbedingt wissen, was ein Künstler geschaffen hat, sondern wie. Wie ein Werk aufgebaut werden muss, aus welchen Materialien es zusammengesetzt ist und wie diese Materialien geputzt, gepflegt und repariert werden. Damit die Kunst so bleibt, wie sie ist, muss ein Restaurator viel dafür tun. Manchmal füttert er Fische, wie Carolin Bohlmann an diesem Morgen. Manchmal muss er sogar eine Lösung dafür finden, wie sich eine Idee konservieren lässt.

Wie man ein Loch im Filzhut stopft, das ist eigentlich nicht das Problem. Otto Hubacek könnte jemanden fragen, einen Hutmacher vielleicht. Aber er muss entscheiden, ob das Loch überhaupt geflickt werden soll, denn Joseph Beuys hatte Veränderung aus seinem Werk nicht ausgeschlossen. Er fragte sich nicht, ob Jahrzehnte später die Fette, Felle, Filze und die Fotos und Filme, die es von seinen Aktionen gibt, in einem Museum stehen würden und ob dort dann etwas irgendwann stinkt, zerfließt oder sich zersetzt und ein Restaurator das beheben soll. Kaum ein Künstler denkt daran, und Beuys schon gar nicht, im Gegenteil. „Er hatte nichts am Hut mit Restaurierung“, sagt Otto Hubacek. „Wenn etwas kaputt war, dann war es eben kaputt.“ Das macht es für den Restaurator nicht unbedingt leichter.

Für die Unordnung

Die Fische sind satt, das Aquarium sauber, Carolin Bohlmann eilt weiter. Sie streicht mit einem weichen Tuch über empfindliche Oberflächen. Sie gießt Pflanzen, bläst Fusseln von Holz, klopft eine helle Matratze ab, wechselt Lampen aus, und sie rückt die beiden Bücher an die richtige Stelle in einem grünen und gelben Regal. Bei manchem Besucher stellt sich ein unordentliches Gefühl ein, und er will sie hineindrücken, weshalb die Restauratorin jeden Morgen überprüft, ob sie sie wieder herausziehen muss.

Carolin Bohlmann trägt Jeans, ein schickes schwarzes Oberteil, auf dem ihre rotblonden Locken leuchten, und flache Schuhe. Zurzeit kümmert sie sich um mehr als 166 Werke von 34 Künstlern in der Ausstellung, die Udo Kittelmann, der Leiter der Neuen Nationalgalerie „Die Kunst ist super!“ genannt hat. Aber die Kunst macht auch viel Arbeit.

Carolin Bohlmanns Bereich sind die Rieckhallen. Sie läuft sie mehrmals am Tag ab. „Da hat man schnell seine Kilometer zusammen.“ Jeden Tag begegnet sie der stämmigen Frau im Wollmantel, der eine altmodische Hornbrille auf der Plastiknase sitzt. Auf den ersten Blick sieht die Frau aus, als wäre sie eine Besucherin, die sich zu früh am Tag in die Ausstellung verirrt hat. An ihren Armen hängen Papiertüten, in denen sie dieselben Schachteln mit Uncle-Bens-Reis trägt, die die Künstlerin in die Tüte gefüllt hat. Das war vor 37 Jahren. Sie überprüft den Sitz der Tüten und schnuppert am Mantel. Wenn sich Schmutz in die Fasern gesetzt hat, dann saugt sie ihn mit einem Handsauger vorsichtig heraus. Auf den Sauger hat sie ein Stück Gazé montiert, damit sich keine feinen Fäden lösen und die Kleidung der Frau noch Jahrzehnte so bleibt, wie sie ist. Manchmal stelle sie die Arbeit vor ganz „profane Probleme“, sagt Carolin Bohlmann. Dabei wirkt sie sehr fidel.

Die meiste Arbeit macht die „Gartenskulptur“. 1968 hat Dieter Roth damit angefangen, und auch nach seinem Tod bauen Sohn und Enkel an ihr weiter. Wenn die Skulptur in eine neue Ausstellung zieht, verpacken sie die Einzelteile in Kisten und Container, um sie an anderer Stelle mit den Restauratoren wieder aufzubauen. Das letzte Mal war das in den Rieckhallen, da brauchten sie zehn Tage. Sie habe sie besonders ins Herz geschlossen, sagt Carolin Bohlmann, weil sie so viel Zeit mit ihr verbringe.

Die Gartenskulptur sieht aus wie eine Art Schiffsskelett, das die ganze Halle einnimmt. Dazu gehören Pflanzen, Stühle, Farbtöpfe, ein Hasenstall, Monitore, die Aufnahmen von verschiedenen Aufbauzuständen zeigen; ein Kühlschrank, der immer gefüllt sein sollte; ein Tisch mit Buntstiften und Papier, das Besucher bemalen und dann dort aufhängen können. Irgendwann kommen die Bilder zusammen mit toten Pflanzen und all dem Abfall, der beim Aufbau entstanden ist, in sechs große Kisten, an deren Unterseite Trichter mit Gummi-Eutern hängen. Man kann sie durch eine Glasscheibe auf dem Brachland vor dem Museum sehen. Wenn Regenwasser alles aufgeweicht hat, fließt eine bräunliche Flüssigkeit in Einmachgläser. Wenn die voll sind, wird die Flüssigkeit eingekocht und auf die Skulptur gestellt zu den anderen Gläsern mit Gartenskulpturgelee.

In seiner Ausbildung lernt ein Restaurator, wie man Firnisse und Verschmutzungen von einem Gemälde abnimmt, wie man Verletzungen verschließt und Farben mischt, wie sich Farben durch Licht und Luft verändern. Er kann auch nachvollziehen, was das Charakteristische eines Künstlers ist, seinen Pinselstrich etwa. In einem Museum für Gegenwart muss er auch wischen, pusten, bauen, kleben, streichen, saugen und Pflanzen ziehen. Er muss sich ständig mit neuen Materialien und Gedanken auseinandersetzen, was seine Arbeit zwar nicht unbedingt künstlerisch macht, aber auf jeden Fall kreativ. Carolin Bohlmann sagt: „Man kümmert sich eben darum.“ Es ist keine Frage von Wert, Schönheit, Sinn oder Unsinn. Es ist komplizierter.

Da ist die Authentizität, die man von einem Museum erwartet. Das Werk soll so sein, wie es mal aus den Händen des Künstlers gekommen ist. Aber wenn der etwa Harzer Käse zusammen mit Löschpapier in eine Plastikfolie eingeschweißt hat und nun Schimmelpilze wachsen so wie bei Dieter Roth, dann geht das nicht. Das will auch kein Restaurator verhindern. Er würde es nur gern verlangsamen, damit auch nachfolgende Generationen etwas sehen können, das den Ausgangszustand einigermaßen erahnen lässt. „Es wäre eine Kapitulation, ein Werk einfach vergammeln zu lassen“, sagt Otto Hubacek. Der Ort, an dem ein Restaurator steht, ist immer einer dazwischen, zwischen Verfall und Erhalt, zwischen Kunstwerk und Museum.

Otto Hubacek wird jetzt nicht nach Japan fliegen, das ist nicht notwendig, diesmal nicht. Er kennt den Hut, der mit Fett gefüllt ist. Der habe einen mehr skulpturalen Charakter, sagt er, nachdem er eine Weile überlegt hat, obwohl Fett ein Material ist, das sich ausdehnt in Wärme und der Zeit und nie eine endgültige Form erreicht. Deshalb hat Beuys es ja auch verwendet. Aber vermutlich gehört es in diesem Fall nicht dazu, dass die Fettfüllung den Filz aufweicht und herausquillt. „Es geht immer darum, den Gedanken dahinter zu erhalten“, sagt Otto Hubacek. Das Leck wird nun geflickt.

■ Die Ausstellung „Die Kunst ist super!“ läuft noch bis zum 14. Februar im Hamburger Bahnhof in Berlin