Integrationsstudie sorgt für Debatte: Friedrich reagiert auf Gewitter
Eine Studie zu „Lebenswelten junger Muslime“ sorgt weiter für Diskussionen. Die Autoren werfen dem Innenminister eine „völlige Verfälschung“ der Ergebnisse vor.
BERLIN taz | Am Wochenende versuchte Hans-Peter Friedrich (CSU) eine Klarstellung. In der Bild-Zeitung erklärte er zwar einerseits markig, die „rot-grüne Multikulti-Illusion“ sei „gescheitert“. Zugleich aber bezeichnete er Integration ungewohnt milde als ein „Geben und Nehmen auf beiden Seiten“ – und forderte dabei mehr Engagement von der Mehrheitsgesellschaft ein.
Zuvor war ein regelrechtes Gewitter auf den Innenminister niedergegangen. Anlass war eine Studie über „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“, die im Auftrag des Innenministeriums erstellt worden war und deren Vorveröffentlichung in der Bild-Zeitung am Donnerstag für Aufsehen gesorgt hatte. So hieß es in vielen Medienberichten – auch in der taz, die Studie besage, ein knappes Viertel aller Muslime mit deutschem Pass sowie die Hälfte aller Muslime ohne deutschen Pass seien unwillig, sich zu integrieren.
„Überraschend hoch“ nannte Friedrich diese Zahl. Doch die Ergebnisse der über 700 Seiten starken Studie, die das Ministerium erst am Donnerstagmittag auf seiner Webseite veröffentlichte, waren von Friedrich und der Bild-Zeitung stark verkürzt und verzerrt wiedergegeben worden. So kann die Umfrage etwa keineswegs als repräsentativ gelten, denn dafür war die Stichprobe viel zu klein.
Nur auf Schlagzeilen aus
Selbst die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), nannte die Aussagekraft der Zahlen in der Welt deshalb „mehr als begrenzt“. Und sowohl Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wie SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warfen Friedrich vor, nur auf Schlagzeilen aus zu sein.
Auch aus der wissenschaftlichen Community wurde Kritik laut. Das Forschungsteam um die Soziologin Naika Foroutan an der Humboldt-Universität zu Berlin bemängelte etwa den Integrationsbegriff, welcher der Studie zugrunde liegt. So seien in der Umfrage, deren Ergebnisse nun so hohe Wellen schlugen, die befragten Muslime zwischen 14 und 23 Jahren bloß nach ihrer Einstellung zu Deutschland und zur Herkunftskultur sowie nach Kontakten zu Deutschen gefragt worden.
Zentrale Faktoren wie Bildung, Sprache und Arbeit dagegen blieben außer Acht. Auch sei es fragwürdig, von einer distanzierten Haltung zu Deutschland gleich auf eine „Radikalisierung“ zu schließen. „Dass religiöse Muslime null Bock auf Deutschland haben, kommt natürlich vor, ist aber das Resultat versäumter Integrationschancen“, sagte der Kriminologe Christian Pfeiffer der Neuen Osnabrücker Zeitung. Zugleich warnte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen vor „pauschaler Angstmache“.
Am unglücklichsten über die mediale Turbo-Karriere, die ihre Studie in den vergangenen Tagen hingelegt hat, sind allerdings deren Autoren selbst. Sie haben nie behauptet, ihre Studie sei repräsentativ. Nun werfen sie Innenminister Friedrich und Bild „eine völlige Verfälschung der Ergebnisse“ vor. Die Mitarbeiter der beteiligten Institute hätten deshalb schlaflose Nächte hinter sich, klagt der Bremer Sozialwissenschaftler Klaus Boehnke im aktuellen Spiegel. Die differenzierten Ergebnisse und der positive Tenor der Studie seien schlicht unterschlagen worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke