Tine Wittler über Schönheitsideale: "Die Reduzierung auf meine Figur verletzt mich"

Die RTL-Einrichtungsexpertin Tine Wittler hat genug davon, ständig auf ihren Körper angesprochen zu werden. Zum Perspektivenwechsel reiste sie nach Mauretanien und lernte nicht nur andere Schönheitszwänge kennen, sondern auch Medienfrauen, die tapfer dagegen aufmucken.

Wird von den Medien oft als die immer fröhliche Dicke bezeichnet: Tine Wittler Bild: Miguel Ferraz

taz: Frau Wittler, vorletzte Woche Trennungsgeschichten in der Bild-Zeitung, letzte Woche Reiseimpressionen in der Zeit. Boulevard oder Feuilleton – wo fühlen Sie sich wohler?

Tine Wittler: Gemeine Frage! Wenn ich aus innerster Seele spräche, würde ich mich ohne Schlagzeilen am wohlsten fühlen. Aber ich mache den Job, den ich mache. Und für den gehört Klappern zum Handwerk.

Hautsächlich sind Sie als Moderatorin der RTL-Einrichtungsshow „Einsatz in 4 Wänden“ bekannt. Was hat Sie dazu gebracht, ein gesellschaftlich relevantes Thema in den Mittelpunkt einer journalistischen Arbeit zu stellen?

Ich habe den Beruf der Journalistin erlernt, das dringt neben der Fernsehpräsenz nur schwer durch. Zu dem Thema bin ich durch die persönliche Erfahrung einer Frau gekommen, die ihr ganzes Leben lang anders war.

Wie anders?

Na, dick eben. Und als die Fernsehfrau Tine Wittler werde ich wie durch einen Verstärker hindurch noch einmal ganz anders damit konfrontiert. Dieses Buch ist das Ergebnis einer jahrelangen Beschäftigung mit der Frage: Wie kann ich mich davon befreien, dass das Thema Körper so eine große Rolle in meinem Leben spielt?

Wieso hat Sie dieser Befreiungsversuch ausgerechnet nach Mauretanien geführt?

Eigentlich arbeitete ich an einem Roman zu dem Thema. Ich wollte meine Protagonistin auf Reisen schicken und sie ihre Perspektive wechseln lassen. Dafür schien Mauretanien der beste Ort: Dort gibt es seit Jahrhunderten das Ideal der runden Frau, und dort gibt es teilweise noch die traditionelle Zwangsfütterung. Es war schnell klar, dass ich darüber nicht schreiben kann, ohne das Land selbst zu besuchen.

Talkmaster Lanz hat das so zusammengefasst: Wenn man die Umstände an sich selber nicht ändern kann, ändert man einfach die äußeren Umstände?

Das begegnet mir im Moment oft: Statt dass der Blick dahingehend geöffnet wird, dass es noch andere Ideale gibt als die bei uns, dreht man den Spieß um und sagt: Jetzt ist sie hier beleidigt und geht dahin, wo sie die Schönste ist. Weil sie es selbst nicht geschafft hat, abzunehmen. Darum geht es nicht. Es geht darum, die Spiegelung zu nutzen, um Mechanismen, die hier ablaufen, besser zu verstehen.

Haben Sie die Mechanismen, die auf die Betonung der äußeren Erscheinung setzen, nicht auch selbst bedient, indem Sie Ihren Wiedererkennungswert medial einsetzen? Im Fenster Ihrer Bar „Parallelwelt“ hängt zum Beispiel ein Werbeplakat, das Sie beim Wuppen einer Bierkiste zeigt, darunter steht: Astralkörper.

Den Körper in den Mittelpunkt zu rücken, ist nicht meine Entscheidung, das passiert ganz automatisch. Es gibt kaum Artikel über mich, die nicht das Körperliche thematisieren. Das nervt mit der Zeit. Hätte ich das Spiel mitgemacht, hätte ich abgenommen und gesagt: Ich verändere mich für euch. Um dem Problem aus dem Weg zu gehen.

Haben Sie das Gefühl, Ihre Auftraggeber im Fernsehen würden Sie gern dünner sehen?

Nein – da stimmt das mit dem Wiedererkennungswert. Es hat niemals jemand von mir offen verlangt, dass ich mich ändere. Aber ich kann jeden in diesem Geschäft verstehen, der das tut. Auch wenn ich mich äußerlich nicht angepasst habe: Innerlich verletzt mich die Reduzierung auf meine Figur.

In Ihrem Buch beschreiben Sie jede Menge Beleidigungen, die Ihnen im Internet oder auf der Straße entgegengeschleudert werden.

In den Medien läuft das subtiler. Ich werde zum Beispiel oft als die „immer Fröhliche“ bezeichnet. Vor der Kamera ein nettes Gesicht zu machen, gehört aber nun mal zu meinem Job als Moderatorin! Bei anderen ist das eine Selbstverständlichkeit – bei mir wird es thematisiert. Darunter liegt der Subtext: „Bei der Figur müsste sie ja eigentlich kreuzunglücklich sein.“ Und dann wird das Klischee der immer fröhlichen Dicken genährt. Das ist symptomatisch für andere Klischees: Dicke sind faul, gefräßig, undiszipliniert. Schlanke sind flexibel und wirtschaftlich. Ich kritisiere da auch ganz deutlich die Kolleginnen in allen Medien. Auf der einen Seite thematisieren sie den Druck, der beim Thema Schönheit auf den Frauen lastet, auf der anderen Seite üben sie ihn selbst aus.

Wie schwierig war es, den Plan des Perspektivenwechsels in Mauretanien umzusetzen? Immerhin besteht eine Teil-Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für dieses Land.

Ja, denn die Entführungsgefahr ist hoch. Vier Tage vor dem Abflug hat das Auswärtige Amt mir vorgeschlagen, die Reise lieber nicht anzutreten. Aber es war zu spät, das abzublasen. Durch die anderthalbjährige Vorbereitung waren meine Fragen so drängend geworden, dass ich durchgedreht wäre, wenn wir nicht gefahren wären.

38, studierte Kultur- und Kommunikationswissenschaften und lebt als Autorin, Moderatorin, Unternehmerin und Wirtin in Hamburg.

Als Moderatorin präsentiert sie seit 2003 die Einrichtungsshow "Einsatz in 4 Wänden" (RTL) und erhielt hierfür 2004 den Deutschen Fernsehpreis.

Seit 2002 veröffentlichte sie fünf Romane, die aus Sicht einer der Autorin nicht unähnlichen Protagonistin vom Leben in Hamburg-Altona erzählen. Außerdem veröffentlichte sie mehrere Ratgeber in Sachen Wohnen und Mode.

Seit 2005 betreibt sie das Modelabel prallewelt.com für hand- und maßgearbeitete Kleider in großen Größen.

Anfang 2011 machte Wittler eine mehrwöchige Reportagereise nach Mauretanien, die sie im gerade veröffentlichten Buch "Wer schön sein will, muss reisen. Ein Selbstversuch im Land der runden Frauen" (Scherz-Verlag, 19,99 Euro) beschreibt. Der 90-minütige Dokumentarfilm ihrer Produktionsfirma Prallefilm über ihre Recherchereise ist in Arbeit.

Sie sind mit einem kleinen Filmteam gereist, das Ihre Erlebnisse dokumentiert hat. Nun stellt man sich Mauretanien als eher abgeschottetes muslimisches Land vor. Wie haben Sie die nötigen Kontakte gemacht?

Mir kam zugute, dass ich mit einem freien Kopf hingefahren bin und nicht, um Probleme und Skandale zu finden. Die Leute haben gespürt, dass ich sie mit einem persönlichen Anliegen aufsuche. Dadurch ist das Vertrauen entstanden, das für einen offenen Austausch nötig ist. Geholfen hat mir auch, dass ich gelernt habe, die Malhafa zu tragen, das mauretanische Gewand.

Ihre Arbeitshypothese lautete da ja, dass dort ein anderes Schönheitsideal besteht. Ist diese bestätigt worden?

Jahrhundertelang galt dort: üppig ist schön, üppig steht für Wohlstand. Aber wir reden über Ideale. In einem Land, in dem es kaum etwas zu essen gibt, ist es genauso schwer, üppig zu werden, wie hier im Überfluss einen schlanken, gestählten Körper zu haben. Auch gerät das dortige Ideal seit ein paar Jahren stark ins Wanken. Momentan gibt es ein Nebeneinander von dick und dünn: Beides kann als schön gelten.

Wie funktioniert denn die Zwangsfütterung, die Gavage, von der Sie sprachen?

Junge Mädchen werden zu einer sogenannten Gaveuse geschickt, wo sie zusätzlich zum normalen Essen Nahrungsmittel zugeführt bekommen, um an Gewicht zuzunehmen, früher in die Pubertät zu kommen und jung verheiratet werden zu können. Diese Praxis ist teuer und sehr gefährlich, zum Glück ist sie auf dem Rückmarsch. Stattdessen nehmen manche Frauen, um zuzunehmen, jetzt aber Medikamente ein, die eigentlich für die Viehmast vorgesehen sind. Sie quellen regelrecht auf und können auch hieran sterben.

Wie sieht es mit der medialen Inszenierung von Schönheitsidealen in Mauretanien aus?

Es gibt nur wenige eigene Medien, keine Schönheitswettbewerbe oder Modezeitschriften. Es werden aber in wachsendem Maße über Internet und Satellit ausländische Medien konsumiert. Dadurch beginnen viele junge Mädchen, sich westliche Vorbilder zu suchen. Die aufgeklärten Frauen dort haben einen Alarmknopf bei dem Thema und kämpfen dafür, sich keinem Schönheitsideal zu unterwerfen – weder dick noch dünn.

Wo haben Sie das beobachtet?

Ich wurde zu einem Kongress medienschaffender Frauen eingeladen. Dort sind sie aufgestanden und haben gesagt: „Lasst euch nicht als Sprechpuppen missbrauchen! Ihr seid dazu da, eure Themen und Inhalte so zu positionieren, dass man euch hören kann.“ Die Medienfrauen dort sind sich ihrer Verantwortung bei dem Thema bewusst und haben eine Haltung. Das vermisse ich hier oft. Und es ist eine Erkenntnis dieser Reise, die Kolleginnen hier dazu aufzurufen, das Spiel nicht mehr mitzumachen und mit der Reduzierung auf das Äußerliche aufzuhören.

Welche Erkenntnisse hat dieser Perspektivenwechsel für Sie sonst noch gebracht?

Schönheitsideale sind an Zeit und Raum gebunden. Es ist purer Zufall, welchem Ideal ich gerade entsprechen soll. Diese Erkenntnis erleichtert es mir, mich von äußeren Ansprüchen zu befreien. Ich mache mich gerne hübsch, probiere gern Sachen aus – aber nicht, weil eine Mode das diktiert. Das wusste ich zwar alles vorher auch schon. Aber um es zu leben, hat es diese Gespräche mit Frauen aus einem anderen Kontext gebraucht.

Wie war Ihre Reaktion, als die Zeit ein Interview über Ihre Reise mit der Headline vermarktete: „Flut von Heiratsanträgen für Tine Wittler in Mauretanien“?

Erschütterung. Der Subtext dieser Headline heißt mal wieder: Frauen haben den Männern zu gefallen. Und das wäre dieser Frau hier nicht passiert – „so wie die aussieht“. Deshalb ist es uns eine Schlagzeile wert. Abgesehen davon ist die Flut-Metapher für ein Wüstenland, das aufgrund von Dürre derzeit von einer Hungersnot bedroht ist, auch sprachlich ein ziemlicher Fehlgriff.

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