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Debatte PostdemokratieMerkel Bonaparte

Kommentar von Thomas Wagner

Mit ihren Bürgergesprächen inszeniert sich die Kanzlerin als volksnah. Diese Machttechnik ist beides: feudal und zeitgemäß. Um mehr Partizipation geht es nicht.

Die Spitze der Exekutive inszeniert sich als unmittelbarer Ansprechpartner der Bürger – Merkel beim Tag der offenen Tür im Kanzleramt 2011. Bild: dpa

H aben Sie Lust, Angela Merkel einmal gehörig die Meinung zu sagen? Träumen Sie vielleicht sogar davon, die Politik der Bundesregierung mit konkreten Vorschlägen auf ein ganz neues Gleis zu bringen? Wenn ja, haben Sie morgen in Heidelberg die Gelegenheit dazu. Das jedenfalls suggeriert die Ankündigung des zweiten von insgesamt drei Bürgergesprächen der Kanzlerin.

Seit dem 1. Februar besteht die Möglichkeit, im Internet mit der Regierungschefin in einen „Dialog über Deutschlands Zukunft“ zu treten. Im Mittelpunkt stehen dabei drei Fragenkomplexe: Wie wollen wir zusammenleben und denen helfen, die noch am Rande stehen? Wie sichern wir unseren Wohlstand? Wie lernen wir als Gesellschaft? Gute Ideen, so ließ sich Merkel vernehmen, werde sie an die zuständigen Ministerien weiterleiten.

Was hier so bürgernah klingt, ist in demokratiepolitischer Hinsicht äußerst problematisch.

Nicht nur ist fraglich, ob durch die Initiative der CDU-Politikerin die notwendige Trennung von Partei- und Regierungsarbeit gewahrt bleibt oder der zu erwartete Ideen-Input den vom Kanzleramt betriebenen Aufwand und den damit verbundenen Einsatz von Steuergeldern rechtfertigen kann. Schwerer aber wiegt der Einwand, dass die Bürgerbeteiligung nur simuliert ist.

Beim ersten Bürgergespräch in Erfurt nahm sich die Kanzlerin knappe 90 Minuten Zeit für die Vorschläge von 100 ausgewählten Bürgern. Was als partizipatorische Neuerung angepriesen wird, ist kaum mehr als eine modernisierte klassische Machttechnik der von oben gelenkten Demokratie, für die der italienische Nietzsche-Forscher Domenico Losurdo den Ausdruck Soft-Bonapartismus prägte: Die Spitze der Exekutive inszeniert sich als unmittelbarer Ansprechpartner der Bürger, deren Interessen es gegen unfähige Funktionäre aus Parteien und Gewerkschaften durchzusetzen gelte.

privat
Thomas Wagner

ist Soziologe und freier Autor. Zuletzt veröffentlichte er „Demokratie als Mogelpackung“. Oder „Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus“ (Papyrossa) sowie „Sarrazin, die SPD und die Neue Rechte“ (Spotless).

Wer so agiert, gibt sich den Anschein, ausgesprochen pragmatisch und vor allem überparteilich zu sein. Angesichts einer darniederliegenden FDP und im Vorfeld einer immer wahrscheinlicher werdenden Neuauflage einer großen Koalition mit der SPD hat die Kanzlerin guten Grund, sich als Macherin zu inszenieren. Ihr fehlendes Charisma schlägt dabei nicht negativ zu Buche. Denn gerade Merkels zurückhaltender, selten auftrumpfender Führungsstil unterstützt die bonapartistische Suggestion, dass einzig und allein sie selbst gewährleisten könne, dass die langfristigen Interessen der Mehrheit der Bevölkerung über den Tag und die Legislaturperiode hinaus berücksichtigt werden.

Die neue Expertenaristokratie

Die zahlreichen Experten, die von Merkel in das Dialogverfahren einbezogen werden, erscheinen freilich wenig geeignet, diesem Anspruch zu genügen. So wird ausgerechnet jene Arbeitsgruppe, die neue Formen der Partizipation diskutieren soll, von Politik- und Unternehmensberatern dominiert, die vor allem die strategische Wirkung partizipatorischer Verfahren im Auge haben. Diese werden in elitären Kreisen zunehmend als geeignete Methode betrachtet, um eine Politik sozialen Kahlschlags und privater Bereicherung durch die gelenkte Mitsprache der Bürger besser zu legitimieren.

In einer Zeit, wo der Konsens für neoliberale „Reform“-Projekte brüchig wird, sieht etwa die Bertelsmann-Stiftung in der Implementierung von neuen Beteiligungsformen eine Chance, die Politik und vor allem die Bürger wieder besser zu steuern. Die Erprobung solcher Befriedungstechniken reicht bis in die siebziger Jahre zurück. Als die Proteste gegen die Atomkraft nicht mehr zu ignorieren waren, setzte auch die damalige Bundesregierung auf Bürgerdialoge. Der Unmut der Umweltbewegung sollte sich hier artikulieren können, aber für die Entscheidungen blieb er letztlich unerheblich. Verbindliche Aussagen wurden nicht getroffen. Man hoffte darauf, einen Keil zwischen gesprächsbereiten Gegenexperten und jenen AKW-Gegnern zu treiben, die ihren Widerstand mit einer radikalen Kritik am kapitalistischen System verbanden.

Das strategische Kalkül wurde später beim Einsatz des Mediationsverfahren zur Befriedung der Auseinandersetzungen um den Ausbau des Flughafens in Frankfurt am Main noch deutlicher: Nachdem die SPD-geführte Regierung Hessens durch den Konflikt um die Startbahn West in arge Bedrängnis geraten war, setzte Ministerpräsident Hans Eichel in den neunziger Jahren auf neue Formen der politischen Beteiligung. Der Streit sollte sich vom politischen Kern auf weniger brisante Sach- und Verfahrensfragen verlagern. Der Widerstand wurde durch die Einbindung einer Reihe von Organisationen der „Zivilgesellschaft“ in seiner Legitimation geschwächt und dadurch deutlich eingedämmt.

Einhegen und Kanalisieren

Was es bedeuten kann, auf den Bürgerdialog als politisches Steuerungsmittel zu lange zu verzichten, musste zuletzt Baden-Württembergs abgewählter Ministerpräsident Stefan Mappus erfahren. Das Scheitern von dessen Konfrontationskurs in Sachen Stuttgart 21 verschafft seinem grünen Amtsnachfolger Winfried Kretschmann nun die Gelegenheit für eine nachholende Modernisierung konservativer Regierungsführung.

Auch beim Bürgerdialog der Kanzlerin geht es wie bei vielen anderen neuen Formen der Bürgerbeteiligung nicht um eine wirkliche Erweiterung der Partizipation. Vielmehr wird erprobt, wie sich diese einhegen, kanalisieren und instrumentalisieren lässt. Das breite Bedürfnis nach mehr direkter Demokratie wird auf Bahnen gelenkt, die manches veränderbar machen, die grundsätzliche Verteilung von Macht und Eigentum aber nicht infrage stellen.

Merkels „Dialog über Deutschlands Zukunft“ ist daher keine Antwort auf die Krise unseres repräsentativen Systems, sondern selbst Ausdruck postdemokratischer Tendenzen. Die wirkliche Lösung muss ganz woanders gesucht werden: Die heute noch politisch halbierte Demokratie muss in die Sphäre der Ökonomie hinein erweitert werden. Der Kampf für mehr Bürgerbeteiligung darf vor den Toren der Banken und Konzerne nicht haltmachen.

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14 Kommentare

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  • H
    heryk

    Nicht alle Heidelberger haben sich von der Dialüg- und Propagandaveranstaltung der CDU-Politikerin einwickeln lassen. Vor der Stadthalle wurde sie von etlichen empörten Demonstranten mit lauten Rufen "Lügen, Lügen!" empfangen. Es hatten sich Menschen eingefunden, die anmahnten, dass die Topthemen im Internet von Merkel und Co. völlig ignoriert werden: Offene Diskussion über den Islam und Völkermord an Armeniern und Aramäern.

  • N
    Nordwind

    Tja, wer genug Kohle hat kann sich halt PR-Clowns mieten die diesen Unfug entwickeln und steuern.

     

    Leider sind die Instrumente besagter PR-Clowns nicht nur sehr teuer, sie sind auch sehr wirkungsvoll. Es lassen sich zu leicht Multiplikatoren in der Mainstreampresse finden, die diesen Unsinn noch weiter aufblasen.

     

    Deshalb dank an den Autor für diesen Artikel.

     

    Hätten wir einen Journalismus der konsequent PR und Lobbyismus entlarvte könnten unsere Regierenden ihre Dummheit nicht so effektiv unters Volk bringen.

  • K
    Karola

    Wenn Merkel jetzt ihre angeblich bürgernahen Rundreisen macht um Ideen einzusammeln, ist das nichts weiter als vorgezogener Wahlkampf.

     

    Darauf sollten die anderen Parteien einmal hinweisen und untersuchen lassen, ob das alles so in Ordnung ist.

     

    Merkels CDU ist immer Wahlkampf, das sollten doch jetzt alle wissen.

  • Z
    Zunder

    Merkel muss ja überschätzt werden-, sieht man die anderen Figuren(z.B.) in der Sozialabbau-Partei SPD. Man schaue mal nach Berlin, was da los ist, wo die SPD regiert.Wie viele sozial-Schwachen müssen dort ihre Wohnung verlassen, weil sie nicht mehr bezahlbar ist. Das Volk weiß, dass die SPD keine SPD mehr ist. Und dafür hört es sich das Gequatsche der 'Einäugigen' an, die 'im Land der Blinden' König ist.Demnächst kommt wieder eine große Koalition und das bedeutet wiederum Stillstand.

  • S
    Stefan

    Kanalisieren, Instrumentieren, Manipulieren.

    Die Frage nach einer offenen Debatte über den Islam scheint ... magic ... einfach weg zu sein.

  • MD
    Mehr davon!

    prima Artikel, besonders in der Beschreibung und Analyse. Was die "wirkliche Lösung" sein könnte, würde ich gerne ausführlicher lesen, hab das nicht ganz verstanden. DANKE!

  • W
    Wolf

    Ab mit ihr nach Kreuzberg oder ab mit ihr ins Ruhrgebiet !

     

    Aber da traut Sie sich nicht unter die Menschen, weil ihr sozialpolitisch fast alles egal ist.

     

    Diese Frau hat dieses Land weiter in anonyme EU-Hände begeben, die Kapitaldiktatur in Europa gestärkt und

    die kleinen Leute schon längst verlassen.

     

    Denke, eine Frau aus Ostdeutschland wird wohl in den nächsten Jahrzehnten niemals mehr die Richtlinien der Politik bestimmen können und das ist absolut richtig.

  • W
    Wolf

    Weg mit der Eu-Wirtschaftsunion, weg mit dem Euro, weg mit den für Generationen noch zu bezahlenden Rettungsfonds für Banken und weg mit Merkel.

     

    Innen- und sozialpolitisch ist diese Frau nicht zu gebrauchen !

  • W
    Wolf

    Wer zu einer derart aufgesetzten Veranstaltung geht und dieser Frau vielleicht noch die Hand schüttelt, kann nicht mehr alle Krampen im Holz haben.

     

    Für diese Frau zählt nur Macht, ein bestes Verhältnis zu Banken, Bänker und der Wirtschaft.

    Eine Frau, die Europa und Euro besessen absurd handelt.

     

    Innen- und sozialpolitisch ist sie mit einer Niete vergleichbar !

     

    Wer als kleiner Mann CDU wählt, der hat den Knall noch nicht gehört !

  • JC
    Johnny Cynic

    Ja richtig, da waren Schröder ("Hol mit mal 'ne Flasche Bier") und Fischer ("Arschloch") schon volxtümlicher und wesentlich partizipierender in der Politik der "ruhigen Hand".

    Auch der grüne Archont Kretschmann ist dienstwagenfahrenderweise ("Der Mensch hat doch Füße!") wesentlich basisdemokratischer (oder sollte es populistischer heißen) wenn es um Bürgerbeteiligung geht. Sein Hofstaat ist jedoch seitdem die böse Volxhexe sein Schlossparkmärchen kaputtgemacht hat in einen Dornröschenschlaf gefallen. Lediglich das Aschenpuddel GWL meldet sich manchmal noch und erzählt der staunenden Öffentlichkeit, sie habe des Gesamtschulkaisers neue Kleider nun endlich fertig genäht wie ja jeder sehe könne.

  • MH
    Mario Hertling

    Übrigens:

    Nicht nur Frau Merkel, auch die Berliner Grünen (Berliner Landesverband) praktizieren gern Pseudo-BürgerInnenbeteiligung. Hier ist eine treffende Beschreibung:

     

    http://www.freitag.de/community/blogs/lila-lueftchen/berliner-gruene-im-online-krampf

     

    Ihr Mitsprache-Online-Portal

    http://gruene-berlin.de/da-müssen-wir-ran/alle

     

    haben die angeblichen KämpferInnen für "Transparenz" und eine "neue Beteiligungskultur" nach einigen kritischen Fragen kürzlich einfach ohne Begründung aus dem Netz gelöscht.

     

    Das ist ein Schlag ins Gesicht der WählerInnen!

  • N
    Normalo

    Der Schlichtungsprozess zu Stuttgart 21 hat sehr eindringlich gezeigt, worin die "Steuerung" der Bürger durch die Schaffung von echtem Dialog vor allem liegt: Sie werden so gezwungen, sich auch mal Gegenargumente anzuhören, mal selbst im Geiste in die Schuhe der Verantwortung zu schlüpfen. Aus dem monologisierenden Wutbürger wird dann im "besten" Fall noch ein wortkarg vor sich hinköchelnder Trotzkopf, der immer noch von Herzen gern den Rücken geschrubbt haben will, ohne dabei nass zu werden, aber im Grunde akzeptiert hat, dass das nicht geht. Diese Form von Realitätssinn kann natürlich ein echter Alt 68er nicht gutheißen. Sowas ist Gift für die "Bewegung" (welche auch immer...).

     

    Aber predigen Sie den Bürgern ruhig weiter, dass es nur eine Verschwörung sein kann, sie extra zu Wort kommen zu lassen, um sie mundtot zu machen. Das kommt bestimmt gut an bei den Trotzköpfen, egal wie absurd so eine Gedankenkonstruktion auch ist.

  • D
    Deliberator

    Ob nun Bürgergespräche mit dem Herrn Bundespräsidenten oder der Regierungschefin: WER spricht mit WEM über WAS mit WELCHEM Ziel-(Verbindlichkeit/-und Umsetzbarkeit)??

    Die Bundeskanzlerin spricht mit einer sehr geringen Zahl, ausgewählter BürgerInnen, über irgendwelche konkreten Themenfindungen/-Zielvereinbarung- und v.a. ohne Verbindlichkeit über eine irgendwie geartete Zukunft

     

    Das hat in Form und Farbe rein gar NICHTS mit Demokratie zu tuen, sondern dann doch eher mit Post-Verarschungs-Strategie. Es stößt mir sauer auf. Neue PolitikerInnen braucht das Land!!!!

  • K
    kannes

    Frau Merkel, schaffen Sie kündigen

    Sie die europäischen Verträge und

    lassen uns endlich wieder als unabhängiges

    Land uns selbst verwirklichen ohne Brüssel!!!

     

    Wir wollen nicht für andere Staaten haften, nie mehr!

    Und diese amtlichen Statistiken, welche

    häufig von Nichtmathematikern erstellt werden

    mit politischer Einfärbung, um zweifelhafte

    Erlasse und Gesetze zu begründen, kotzt uns

    maßlos an!!!!

    Schenkt uns endlich unsere Freiheit wieder!

     

    Und demokratisch ist die Veranstaltung keineswegs.

    Wer ist denn legitimiert reden zu dürfen, der

    sich dann als Sprachrohr der Masse begreifen darf?

    Warum ist dann Frau Merkel nicht in JEDER Stadt,

    um gleiches Recht auf Artikulationsbekundung für jeden

    zu verwirklichen!

    Das ist eine Farce!!!!

    Will Frau Merkel wirklich als Totengräberin der

    deutschen Demokratie gelten.

    Die CDU manipuliert das Wahlrecht und gibt

    unverzichtbare Kernkompetenzen nach Brüssel ab.

    Erste Frau im Staat und schafft diesen ab!!!!

    Wir brauchen dringend neue glaubwürdige

    Parteien aus intelligenten offenen Menschen!!!!

    Ich will meine Freiheit wieder!