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Theater gut gemeintZu Gast bei Freunden

Der aktuellen Produktion von Rimini Protokoll am Berliner Hau Theater kann man zumindest nicht vorwerfen, sie würde ihre Darsteller schwarz einfärben.

Wanderkarte, Lagos und Bremerhaven verbindend. Bild: hau Berlin

„Ich bin der Boss, folgen Sie mir.“ Kester Peters hat offenkundig Spaß an seiner Rolle. Er sprüht vor Charme und Selbstbewusstsein. Gut gelaunt, schicker Anzug, sportliche Schuhe führt er eine 20-köpfige Besuchergruppe durch die Bühnenszenarie des Berliner Hau-Theaters.

Das Regieteam Rimini-Protokoll (Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel) hat ihn neben anderen Laiendarstellern aus Lagos, Nigeria für ihre neue Produktion gecastet und einfliegen lassen. Nun steht er zur Premiere von „Lagos Business Angels“ am Dienstag-Abend in einer kleinen Box im hinteren Bühnenraum des Hau. Er tauft sie den Blue-Room. Hier wird er im Laufe des Abends sechs, der in zehn Gruppen aufgeteilten Premierenbesucher, von seiner Biografie erzählen.

In jeweils elf Minuten. Bis er mit der ersten Gruppe losgeht, ist er dann doch ein wenig nervös. „This is one of my businesses, Zierfische.“ Kester Peters deutet auf ein kleines Aquarium, welches seinen kleinen Verschlag auf der Bühne behaglich macht. Auf die rückwärtige Wand ist eine sehr blaue Wandkarte geklebt, die in Auschnitten Lagos, Nigerdelta mit Bremerhaven, Nordsee verbindet.

Vom Partner übers Ohr gehauen

Peters wechselt zwischen (gutem) Deutsch und Englisch. In Lagos fing er mit dem Handel von Papageien an. Das war leider illegal. Er wechselte ins Zierfischgeschäft, wurde aber vom Partner übers Ohr gehauen. So beschloß er, nach Deutschland zu gehen, um die begehrte Fracht eigenhändig beim Endabnehmer hochpreisig zu vermarkten.

Doch wie so oft: Hat einer Erfolg, ziehen die nächsten nach. Konkurrenz verdarb das Geschäft. Heute ist Peters Mitte 40 und in Lagos als Berater im Ölgeschäft tätig. Was auch immer dies heißen mag, „Berater“. In elf Minuten konnte es nicht geklärt werden.

Die Wechselhupe ertönt und die Besuchergruppen werden durch den Bühnenparcours (Containerästhetik, Videos, auf Leinwände projizierte Lagosstandbilder) zur nächsten Station geschleust. In einer Box wartet Frieda Springer-Beck. Eine resolute Dame. Im Hintergrund das Wappen des EFCC mit dem Emblem eines Adlers. EFFC, das steht für Economic Financial Crime Comission, eine Spezialeinheit für Wirtschaftsverbrechen, für die sie in Nigeria tätig war. Sie erzählt mit rührender Selbstironie wie es dazu kam.

Wie sie zunächst von Deutschland aus mit „Geschäftsleuten“ aus Nigeria in Kontakt kam und reingelegt wurde. Fake-Firmen, Fake-Banken, Fake-Anwälte. Ein perfektes System, das aber nur so lange funktionierte bis Frau Frieda Springer-Beck anreiste, und nach zähen Kampf ihre 300.000 US-Dollar zurückbekam. Heute lebt sie wieder als Pinselherstellerin in Deutschland.

Do not waste time

Auch „The German Machine“, der Autoausschlachter Frank Okoh, erweist sich als sehr engagierter Interpret seiner selbst. Für ihn wurde eigens ein Schiffs-Container im Hinterhof des Theaters aufgestellt. Dort erklärt der muskulöse Mann, wie der Handel mit Autoalt- und Schrottteilen aus Deutschland in Lagos funktioniert.

Er hat einen Blauen Anton an und kommentiert einen für das Theaterpublikum gedrehten Dokumentarfilm, der ihn beim Verkauf seiner Containerfracht in Lagos zeigt. Regel Nr. 5: „Know your clients“. Regel Nr. 11: „Do not waste time“.

„These Rimini-Guys are very smart,“ hat Kester Peters eingangs gesagt. „They invited us to answer some questions, now we are actors.“ Aber Berlin sei wirklich „very nice“. Glanz und Elend der Methode liegen bei Rimini Protokoll eng zusammen.

Natürlich möchte man gegen einen Kulturaustausch zwischen Nigeria und Deutschland keine Einwände erheben. Doch warum, muss es so Reality-mäßig mit sich selbst spielenden Akteuren auf die Bühne gebracht werden? Soll das authentisch sein oder ist es schon folkloristisch, sozusagen die andere Medaille des Blackfacing?

Zudem ist die Frontalbesprechung durch die Laiendarsteller teilweise ermüdend. Man wartet immer dringlicher auf den pausenfüllenden Klammersong „I wanne be a millionaire“. Ärgerlich ist, dass die Laiendarsteller als Ensemble am Ende auf der Bühne noch zu Bischofszitaten („Wir sind geboren, um aufzusteigen“) die Musical-Clowns geben, und Rimini dabei ein bisschen Kapitalismuskritik versprühen. Die aber nun wirklich so harmlos ist, dass sie von jedem Goethe-Institut der Erde unbedingt gefördert werden muss.

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3 Kommentare

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  • SH
    sabine herrhoffen

    rimini p. entzieht sich seit jahren jedem theatralen diskurs. dieses "expertentum des alltags" hat den charme einer schlechten anti-hartz4-spd-wahlveranstaltung. ich dachte dass sich dieses performative gespenst nach ein paar jahren überholt - doch alles was passiert ist dass sich dieses dramaturgenkollektiv wiederholt und wiederholt und wiederholt ins feull. plaudert - die gründe bleiben schleierhaft.

     

    sollte die taz, die in sachen ästhetik nicht unbedingt sonderlich vorn ist hier einmal nen avantgardistischen impuls erspüren? - mich würde es freuen.

  • F
    früher ...

    ... nannte man so was Scharlatane.

    Ein schönes Wort, das viel zu selten verwendet wird.

    Und dabei machen sie noch nicht mal einen Hehl daraus, daß sie ebensolche sind.

    Aber wenn das langsam sogar dem Feuilleton zaghaft dämmert, bedeutet dies womöglich, daß ihnen langsam der Schwung ausgeht und sie nachlässig werden, mit ihrem Budenzauber.

    Nicht daß das am Ende noch schief geht, mit dem nahtlosen Übergang von den öffentlichen Fördergeldern in den Altersruhestand. Weia!

  • R
    rossi

    greeeeetings an den groove doktor wetzel! :D