Nachwahl in Birma: Reformmotor und Feigenblatt
Politisch unwichtig, symbolisch bedeutend. Der Reformprozess in Birma stützt sich derzeit vor allem auf zwei ungleiche Akteure: General Thein Sein und Aung San Suu Kyi.
Der General: Thein Sein
Wie kein birmesischer Exgeneral vor ihm hat Thein Sein sein Schicksal ausgerechnet in die Hand der Oppositionspolitikerin und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi gelegt. Es ist ihr Segen zu seinen Reformen, den Thein Sein für den eigenen Erfolg als Präsident so dringend benötigt. Damit erkennt der 66-Jährige indirekt an, dass er einen wirklichen Wandel in seinem Land nur mit ihr zusammen und nicht gegen sie durchsetzen kann. Die beiden Gleichaltrigen sind damit schicksalhaft miteinander verbunden.
So muss Thein Sein, der bis vor einem Jahr der aus Exmilitärs und ihren Cronies bestehenden Regierungspartei USDP (Union Solidarity and Development Party) vorstand, jetzt auf einen Erfolg Suu Kyis und ihrer oppositionellen NLD bei den Nachwahlen hoffen. Der Sieg ihrer Partei allein kann seinen Reformen Glaubwürdigkeit verleihen, denn nur wenn die Lady den Wahlprozess und die Ergebnisse anerkennt, hat Thein Sein Chancen, dass die westlichen Staaten ihre Sanktionen schrittweise aufheben. Und nur so wird er als erster ziviler Präsident nach einem halben Jahrhundert Militärherrschaft sein heruntergewirtschaftetes Land entwickeln können.
Bedeutung: Symbolisch sind die Nachwahlen am Sonntag wesentlich bedeutender als realpolitisch. Sie sind ein wichtiger Test der Reformbereitschaft der aus vielen Exmilitärs bestehenden Regierung. Erstmals wurden auch ausländische Beobachter eingeladen.
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Wahl: Es geht um 45 Sitze: 37 der 440 im Unterhaus, 6 von 224 im Oberhaus und 2 in den Regionalparlamenten. Die Urnengänge in drei Wahlkreisen im Kachin-Staat wurden aus Sicherheitsgründen verschoben. Die Nachwahlen wurden nach Bildung der neuen Regierung vor einem Jahr nötig, weil laut Verfassung kein Minister ein Parlamentsmandat haben darf. Die Wahlen im November 2010, die ersten seit den annullierten von 1990, waren weder frei noch fair. Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi durfte nicht kandidieren. Ihre Parteil NLD boykottierte die Wahlen. 25 Prozent der Mandate sind ohnehin für das Militär reserviert, das eine Sperrminorität hat. Die meisten Mandate hält die militärnahe USDP (Parteichef: Präsident Thein Sein).
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Aussichten: Selbst im unwahrscheinlichen Fall, dass Suu Kyi jetzt alle 45 Mandate gewinnen würde, bliebe ihre parlamentarische Macht klein. Ein Erfolg der NLD gilt jedoch als Zeichen für die Fairness der Wahl wie für die Ernsthaftigkeit politischer Reformen. Westliche Staaten machen die Aufhebung oder Lockerung ihrer Sanktionen von einem glaubwürdigen Wahlverlauf abhängig. (han)
Wenngleich weder der Erfolg seiner bisherigen Reformen noch ihre Nachhaltigkeit gesichert sind, ist Thein Seins bisher größter Coup, die Lady von seiner Ernsthaftigkeit überzeugt zu haben. Zwar wirkt der frühere General mit seiner Brille und Glatze eher wie ein bescheidener und penibler Buchalter und nicht wie ein mächtiger Schlächter in Uniform. Doch hatte er in Birmas brutalem Militärregime Schlüsselstellungen inne.
So war er etwa Premierminister, als 2007 der friedliche Aufstand der Mönche niedergeschlagen wurde. Die Bilder blutverschmierter Sandalen hatten damals die Weltöffentlichkeit erschüttert. Auch war er dafür verantwortlich, dass 2008 ausländische Helfer nach dem verheerenden Zyklon „Nargis“ nicht schnell ins Land gelassen wurden.
Er kann zuhören
Das machte es alles andere als selbstverständlich, dass Suu Kyi ihm vertraut. Doch nach Meinung vieler verfügt der aus dem Irrawaddy-Delta stammende Thein Sein über eine ausgeprägte Gabe, zuhören zu können. Sein Berater und Redenschreiber Nay Wing Maung charakterisierte ihn kürzlich gegenüber der New York Times als „weder ehrgeizig noch entscheidungsfreudig oder charismatisch, aber sehr aufrichtig und ehrlich“. Surin Pitsuwan, thailändischer Generalsekretär der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean, zu der Birma gehört, bezeichnet ihn als „sehr soft, sehr sanftmütig und sehr vorsichtig“.
Das militärkritische südostasiatische Solidaritätsnetzwerk Altsean-Burma nennt ihn „Mr. Clean“, weil er nicht so korrupt wie andere birmesische Generäle sei. Ansonsten sei er „unterwürfig und nicht konfrontativ“. Gegenüber dem früheren Militärdiktator Than Shwe, der Birma 19 Jahre lang beherrschte, sei er ein „Jasager“ gewesen. Genau dieser Loyalität verdanke Thein Sein, der laut Altsean-Burma in der Generalität nicht hoch angesehen ist, überhaupt die Präsidentschaft. Von 2001 bis 2003 war er Than Shwes Adjutant. Dieser versprach sich von ihm als Nachfolger einen ruhigen Lebensabend.
Thein Sein selbst stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Sein Vater, der zeitweilig Mönch war, sonst Bambusmatten flocht und als Kuli Schiffe be- und entlud, soll ihm hohe moralische Maßstäbe vermittelt haben. Der Armut entkam der Sohn durch die Aufnahme an der Militärakademie und seinen stetigen Aufstieg. Als General im nördlichen Shan-Staat soll er später weniger brutal gewesen sein als seine Vorgänger und Nachfolger. Doch soll er sich dort einmal laut Altsean-Burma nicht um Opfer eines Flugzeugabsturzes gekümmert haben, sondern lieber Golfspielen gegangen sein.
Zur heutigen Legende gehört, dass Thein Sein schon seit Jahren politische Reformen befürwortet haben soll, gegenüber seinem Mentor Than Shwe, in dessen Gegenwart nicht einmal der Name Suu Kyis erwähnt werden durfte, aber machtlos gewesen sei. Als oberster Koordinator der Hilfsmaßnahmen nach dem Zyklon „Nargis“ soll Thein Sein beim Flug über die zerstörten Gebiete, zu denen sein Heimatdorf gehörte, gemerkt haben, dass sein isoliertes Land sich öffnen müsse, um sich entwickeln zu können.
Ähnlich sollen sich seine Auslandsreisen ausgewirkt haben. Im feinen Singapur etwa, wo sich Birmas Generäle wegen des maroden Gesundheitssystems zu Hause gern behandeln lassen, bekam Thein Sein einen Herzschrittmacher. Jetzt ist der voreilig schon als „Asiens Gorbatschow“ bezeichnete Exgeneral der Schrittmacher des bisherigen Wandels in Birma. (von Sven Hansen)
Die Lady: Aung San Suu Kyi
Birmas Bevölkerung schnuppert ein Stück Freiheit. Denn ihr Idol Aung San Suu Kyi bewirbt sich bei den am 1. April anstehenden Nachwahlen im Parlament um einen Sitz – zum ersten Mal überhaupt. Die Menschen pilgern dorthin, wo die „Lady“ Reden hält; sie hoffen, dass die Freiheit Suu Kyis gleichzeitig ein besseres Leben für das Volk bedeutet. Aus ihrem letzten Hausarrest war Suu Kyi im November 2010 entlassen worden, kurz nach den umstrittenen Parlamentswahlen.
Ihre Kandidatur hat Präsident Thein Sein ermöglicht (siehe oben). Er billigte eine Gesetzesänderung, die Suu Kyi und ihrer „Nationalen Liga für Demokratie (NLD) den Weg zurück in die politische Arena ebnete. „Ich halte Thein Sein für ehrlich, hatte die 66-jährige Oppositionsführerin erklärt. Dass sie dem Exgeneral vertraut und die marginale Chance nutzen will, die sich angesichts der politischen Öffnung bietet, dürfte wesentliche Motivation dafür sein, sich an den Nachwahlen zu beteiligen. „Suu Kyi denkt immer zuerst an das Wohlergehen des Volkes“, sagt Zin Linn, in Thailand lebender Publizist und Vizepräsident der Burma Media Association. Eine härtere Linie zu vertreten, würde möglicherweise neues Blutvergießen bedeuten.
Zugleich verweist er auf die „Sandwich-Situation“ der NLD. Diese muss nicht nur dem Volk bzw. den in den Konfliktregionen lebenden ethnischen Minderheiten gerecht werden. Sie muss auch vermeiden, jene Hardliner in Regierung und Militär gegen sich aufzubringen, die sich im Dunstkreis des früheren Juntachefs Than Shwe bewegen und die von Präsident Thein Sein und Vertretern des Reformflügels initiierte Öffnung zu torpedieren suchen.
Suu Kyi scheint sich bewusst zu sein, dass sie als Feigenblatt für die Legitimierung eines System missbraucht werden könnte, in welchem der Machtanspruch des Militärs nach wie vor eine zentrale Rolle spielt. So hatte die Friedensnobelpreisträgerin von 1991 deutlich gemacht, dass das Thein Sein entgegengebrachte Vertrauen nicht unbedingt auch für andere in der Regierung gelte. Kürzlich erst war ein Teil ihrer im Staatsfernsehen ausgestrahlten Rede zensiert worden: Darin hatte Suu Kyi der früheren Junta „Rechtlosigkeit“ vorgeworfen. Auch kritisierte sie, dass bereits vor den Wahlen 2010 ein Viertel aller Sitze für Armeeangehörige reserviert worden war. Gleichzeitig gab sie sich versöhnlich: Die Streitkräfte spielten eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Landes.
Zufällige Ikone
Suu Kyi selbst wurde eher zufällig zur Demokratie-Ikone: Die Tochter des 1947 ermordeten Unabhängigkeitshelden Aung San verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Indien, wo ihre Mutter Botschafterin war. Später studierte sie im englischen Oxford Philosophie, Politik und Wirtschaft. Mit ihrem Mann, dem 1999 verstorbenen britischen Tibetologen Michael Aris, bekam sie zwei Söhne und lebte einige Zeit in Bhutan. Nach Birma kehrte sie 1988 zurück, um ihre kranke Mutter zu pflegen.
In jenem Jahr hatten Studenten einen Volksaufstand gegen das Regime initiiert, den die Militärs blutig niederschlugen. Suu Kyi selbst wurde im Juli 1989 zum ersten Mal unter Hausarrest gestellt. Die Wahlen von 1990 gewann die NLD haushoch, aber die Generäle erkannten diesen Sieg nie an.
Der Einzug Suu Kyis ins Parlament bei den Nachwahlen gilt als sicher – wobei die daraus resultierende Verantwortung schwer wiegen dürfte. Sie wolle die Verfassung ändern, falls sie genug Unterstützung durch das Volk und die ethnischen Minderheiten bekomme, so der Publizist Zin Linn. Die in einem manipulierten Referendum 2008 durchgedrückte Abstimmung, die die Rechte ethnischer Minderheiten beschneidet, erlaubt es der Armeeführung im Falle einer Staatskrise, das politische Ruder an sich zu reißen. Auch garantiert sie der früheren Junta Straflosigkeit für begangene Menschenrechtsverletzungen.
Kritiker warnen vor dem Schwachpunkt des derzeitigen Reformprozesses: dass er allein auf persönlichen Beziehungen basiere, wie zwischen Suu Kyi und Thein Sein. „Wird der Prozess nicht institutionalisiert, besteht die Gefahr, dass er zurückgenommen werden kann“, so der Analyst Aung Naing Oo. Aung San Suu Kyi selbst bleibt ebenfalls vorsichtig: „Solange die Armee nicht fest hinter der Demokratisierung steht, können wir nicht sagen, dass wir den Punkt erreicht haben, an dem es kein Zurück mehr gibt.“ (von Nicola Glass)
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