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Kita-Forscher über frühkindliche Bildung„Das Geschlecht spielt eine Rolle“

Holger Brandes untersucht, welche Rolle Männer in den Kindergärten wirklich spielen. Sie wirken mehr als Herausforderer, während Frauen eher bindungsorientiert sind.

Es macht einen Unterschied, ob der Im-Kreis-Schleuderer ein Mann ist. Bild: dapd
Interview von Thomas Gesterkamp

taz: Herr Brandes, brauchen Kinder „mehr Männer in Kitas“?

Holger Brandes: Ja – einfach schon deshalb, weil es nur wenige Männer in Kitas gibt. Die Auffassung, nach der frühe Kindererziehung Frauensache sei und Männer bestenfalls für ältere Kinder gebraucht werden, entspricht weder dem heutigen Geschlechterverhältnis noch dem aktuellen Erkenntnisstand über kindliche Entwicklung. Kindgemäße Erziehung setzt insbesondere Feinfühligkeit, Fürsorglichkeit und Dialogfähigkeit sowie Sensibilität für individuelle Entwicklungsbesonderheiten von Kindern voraus. Dies sind geschlechtsunabhängige Qualitäten, die nicht etwa biologisch begründet sind, sondern im Lebenslauf und in professioneller Ausbildung erlernt werden.

Machen Erzieher im beruflichen Alltag etwas anders als Erzieherinnen?

Es spricht viel dafür, dass Männer zwar das Gleiche machen wie Frauen, aber in einer etwas anderen Weise. Wir haben Hinweise darauf, dass zum Beispiel Väter in der Erziehung ihrer Kinder mehr als Herausforderer wirken, während Mütter stärker bindungsorientiert handeln. Ob sich dies auch in der professionellen Erziehung auswirkt, ist noch nicht belegt. Bisher wissen wir wissenschaftlich abgesichert kaum etwas über tatsächliche Unterschiede im professionellen pädagogischen Handeln. Zwar reagieren Kinder häufig begeistert auf Männer in Kitas, aber das kann einfach damit zusammenhängen, dass diese so selten und außergewöhnlich sind.

Welche Bedeutung hat es für die weitere Sozialisation von Kindern, wenn Männer verstärkt als Erzieher tätig sind?

Auch hierzu gibt es bislang keine aussagekräftige Forschung. Wir wissen lediglich, dass Kinder im Alter zwischen 3 und 6 Jahren in hohem Maße an Geschlechtsunterschieden interessiert sind und untereinander sowie im Umgang mit Erwachsenen sehr hierauf achten. Vielfach wird angeführt, dass insbesondere Jungen in ihrer Entwicklung darunter leiden, wenn sie in den ersten Lebensjahren nur von Frauen, also alleinerziehenden Müttern, Erzieherinnen, Lehrerinnen umgeben sind und dies die Ursache für zunehmende Bildungsrückstände und Verhaltensauffälligkeiten von Jungen sei. Das ist bestenfalls eine plausible Annahme – an Forschungsbelegen fehlt es.

Holger Brandes

ist Professor im Lehrgebiet Psychologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit in Dresden.

Muss man daraus schließen, dass das Geschlecht der Fachkräfte gar keine Rolle spielt?

Es spielt eine Rolle – das zeigt sich bei aller Vorläufigkeit einer solchen Aussage bereits in unserer Untersuchung: In unseren Videoaufnahmen gibt es Schlüsselszenen, wo etwa die Auswahl des Spielmaterials wie auch der Umgang hiermit deutlich sowohl vom Geschlecht der Fachkräfte beeinflusst sind als auch vom Geschlecht des Kindes. Hier kommt es zu einem manchmal sehr intensiven Austausch über Vorlieben oder Neigungen, die geschlechtsstereotypen Orientierungen entsprechen. Aber es zeigt sich auch, dass gerade in solchen Szenen die Erzieher und Erzieherinnen eher unreflektiert handeln und nicht nach professionellen Standards. Es gibt also Unterschiede, diese sind aber nur punktuell sichtbar und den Akteuren häufig nicht bewusst.

Sie bauen an Ihrer Hochschule einen eigenen Studiengang auf. Wird das zu einer höheren Zahl an Männern führen – und auch zu einer besseren Bezahlung?

Die Aufwertung und bessere Bezahlung dieser Tätigkeit ist gänzlich unabhängig vom Geschlecht der Fachkräfte. Auch die Umstellung der Ausbildung auf Hochschulniveau ist unabhängig hiervon und hat mehr damit zu tun, dass wir zunehmend erkennen, welche Schlüsselrolle Erziehung und Bildung in den ersten Lebensjahren der Kinder zukommt und dass die hierbei zu leistende pädagogische Arbeit höchst anspruchsvoll ist und einer wissenschaftlichen Fundierung bedarf. Dass diese Fragen im Zusammenhang mit der Diskussion um männliche Erzieher aufgeworfen werden, zeigt, dass es in Sachen Geschlechtergerechtigkeit oder Gender Mainstreaming noch einiges zu tun gibt.

Wie kann man mehr Männer gewinnen?

Das wird meines Erachtens davon abhängen, wie sich das öffentliche Bild von Männern und Männlichkeit entwickelt und ob es gelingt, dieses nachhaltig um Qualitäten wie Feinfühligkeit, Sensibilität, Fürsorglichkeit und Pflegefähigkeit zu erweitern.

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7 Kommentare

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  • M
    Mucke

    Also ich denke das Männer in der Kita aufwertend und erfrischend wirken.Das Männer anders Denken bzw.andere Denkstrukturen haben ist ja kein großes Geheimnis.Schon

    alleine aus dieser Voraussetzung ergibt sich eine Differenzierte Handlung gegenüber dem Weiblichen Geschlecht.Das ist wie mit einer Monokultur die eine Abwechslung erhält.Das kann nur Positiv sein.Es kommt natürlich immer auf den Menschen an.So wie es nur wenige Männer gibt die sich auf Kinder Erziehung,Elternzeit(auch wenns die Karriere kostet) usw einlassen wollen...so wenige Erzieher werden es werden.Dabei würden durch mehr Männer der Beruf aufgewertet(In der Männerwelt).Der Verdienst würde durch die Anerkennung steigen.Frauen leben eben immer noch in einer Männerwelt...und die haben die Entscheidungen in der Hand.Aber jetzt nochmal zurück zum Mann in der Kita.Die Arbeit in Frühkindlichen Entwicklung ist Feinfühlig und grundlegend für die spätere Entwicklung.In der Kita muss das geleistet werden was die Eltern daheim nicht mehr wollen,schaffen oder können.Ich sage nur mal als Stichwort,so früh wie möglich wieder Arbeiten gehen ...Oder die Kinder so viel wie möglich abgeben an Oma

    ,Verwandte oder Tagesmütter..Dabei weis man aus Studien das die beste Entwicklung bei dem Kind erzeugt wird umso mehr Zeit Eltern mit ihrem Kind verbringen..Die Positiven Einflüsse die Eltern ihrem Kind mitgeben kann die Kita gar nicht geben. Deswegen ist es auch hier Positiv wenn man im Kindergarten das Rollenbild eines Elternpaares Vorweisen kann.Wenn jetzt zufällig die Studien die ich erwähnt habe interessieren dem füge ich kurz die Links dazu ein.( Studie von Eva Schmidt-Kolmer zur Entwicklung der Krippenkinder in der DDR..diese wird von einer aktuellen Langzeitstudie (US-Langzeitstudie NICHD zur Wirkung von Krippen und Kitas) gestützt.http://www.pisa-kritik.de/ganztagsbetreuung-von-kindern..

  • P
    paula

    ich stimme "ich" zu. nur der letze satz???

    was soll diese männer-frauen diskussion?

    schön in weiblichen und männlichen kategorien denken...

    gibt es wirklich die "weiblichen" und die "männlichen" eigenschaften oder sind diese nicht einfach konsturiert und durch die sozialisation verursacht?

    es gibt viele "weiblich" sozialisierte pädagogen_innen, die fussball spielen, nicht basteln wollen, da dabei nur ein produkt angestrebt wird,...die sich auflehnen gegen die instrumentalisierung der kita als vorstufe zur "elitezüchtung", und verkünstlichung des kita-alltags etc.

    und nun sollen mal wieder "männer" kommen, die alles richten, da die "frauen" nur spielen und zu weich sind? da muss wirklich ein mann kommen, der mal durchgreift und zeigen kann wie es geht???!!!

    meine kritik soll nicht falsch verstanden werden. ich bin für männer im kita-alltag.aber auch für ältere menschen etc. so, wie es hannah beschrieben hat. vielfalt!

    warum haben sich jahre lang männer gegen diesen beruf entschieden? wenig geld, wenig anerkennung (die spielen nur den ganzen tag und trinken kaffee, dass ist nicht schwer), wenig aufstiegschancen. so hat auch die gesellschaft dazu beigetragen, dass es wenig männer im kitabereich gibt.

    dieser bereich sollte mehr anerkennung erfahren! die frühen phasen sind wichtig und prägend. da braucht es sehr gut ausgebildete und qualifizierte menschen, egal ob "weiblich" oder männlich.

  • J
    Jaso

    Ja, Hannah.

     

    Da haben sie vollkommen recht.

  • A
    angelalala

    Ich stimme Jan absolut und ein wenig erschrocken zu: Verdrehung der Tatsachen.

  • I
    Ich

    Egal ob Mann oder Frau, was den Kindern wirklich fehlt, ist der ganz normale Alltag.

     

    Einkaufen gehen und dabei lernen, sich nicht von der Werbung verführen zu lassen, sondern den Inhalt der Ware zu prüfen.

     

    Essen zubereiten und dabei lernen, daß gesund und lecker kein Widerspruch sind.

     

    Kuchen backen und dabei lernen mit Mengen und Zahlen umzugehen.

     

    Fenster putzen und dabei üben, das Gleichgewicht zu halten.

     

    Lauter Dinge, die meine Kinder neben vielen anderen im Kindergartenalter regelrecht genossen haben und die sie in der Kita nicht tun durfen, weil sie stattdessen lernen sollten identische Schneeglöckchen, Osterhasen oder Weihnachtsmänner zu produzieren!

     

    Das Ergebnis sind dann 15jährige, die nicht in der Lage sind, allein Bus zu fahren (selbst erlebt) oder sich ein Bett zu beziehen (auch selbst erlebt).

     

    Ich fürchte, die "Fachleute" haben mit der frühkindlichen Bildung irgendwas gewaltig mißverstanden. Vieleicht könnten Männer mit ihrer eher anpackenden, machenden Art da einen wohltuenden Ausgleich für die Kinder schaffen.

  • JE
    Jan Engelstädter

    Widerspruch zwischen Untertitel und Text:

     

    Zitat Untertitel:

    "...welche Rolle Männer in den Kindergärten wirklich spielen. Sie wirken mehr als Herausforderer..."

     

    Zitat Text:

    "Wir haben Hinweise darauf, dass zum Beispiel Väter in der Erziehung ihrer Kinder mehr als Herausforderer wirken, während Mütter stärker bindungsorientiert handeln. Ob sich dies auch in der professionellen Erziehung auswirkt, ist noch nicht belegt."

     

    Welcher Redakteur hat da während des Formulierens (und Verkürzens) geschlafen?

  • H
    hannah

    Gebt einfach mehr SeiteneinsteigerInnen eine Chance,

    wenn Sie mehrjährige Qualifikationsabschlüsse,

    ein einwandfreies Führungszeugnis haben und

    bietet Eltern und Großeltern durch die

    Erarbeitung von Kursangeboten, die Möglichkeit

    in der Erziehung in den Kindertagesstätten

    aktiv mitzuwirken, sofern fachliche

    und psychologische Professionalität vorhanden ist.

    Entlastet damit das Personal und macht den Beruf

    auch für das Personal soziologisch abwechselungsreicher und interessanter.

    Schafft das Gruppensystem/Klassensystem ab und

    führt ein Kurssystem also ein.

    Vereinbart mit den ErzieherInnen in den Kindergärten

    Ziele und soziale, anspruchsvolle Standards!

    Gebt den Kind Raum für eigene Entscheidungen

    und gebt den Kindern Raum für Zuneigung und Liebe

    und Anerkennung.

    Öffnet die Kindertagesstätten für Mütter und Väter

    mit guter Bildung (Meister/Hochschulabschluss,

    egal in was) für wöchentliche Entdeckungsnachmittage.

    Vertreibt die Drachen! Selektiert jene

    Erziehungskräfte, die Respekt vor den Eltern und

    Kindern haben und auch gemocht werden.

    Findet Euch damit ab, dass Menschen einen Beruf

    oder eine Seiteneinstiegstätigkeit

    nicht ein ganzes Leben lang ausüben wollen und

    vielleicht nur 4 Jahre maximale Energie aufbringen, um dann selbst neue Wege zu beschreiten,

    weil manche nicht ein ganzes Leben lang

    absolut Feuer und Flamme für etwas sein können.

    Die Kraft und die Leidenschaft lassen mit den

    Alltag halt nach. Jeder Filou sollte aber nicht

    antreten, sondern nur gestandene, qualifizierte,

    faire, begeisterungsfähige, empathische Persönlichkeiten, gerne auch Rentner mit

    Bastelfreude oder musikalischen Können.

    Es fehlt an der Vielfalt überall.