Montagsinterview mit einem Korbmacher: "Ich kann nicht einfach Künstler sein"
Fred Jacob ist einer der letzten Berliner Korbmachermeister. Ein Gespräch über Verkauf in der DDR und die Kunst, mit Flechten Geld zu verdienen.
Gerade verlässt eine Kundin die Werkstatt, die Frau wollte ein bisschen Fertiggeflecht für einen kaputten Stuhl erstehen. Fred Jacob ärgert sich.
taz: Herr Jacob, was macht Sie so wütend?
Fred Jacob: In zwei Jahren habe ich die Kundin wieder mit demselben Stuhl im Laden stehen. Sie lässt das Geflecht jetzt irgendwo billig festtackern, anstatt es von mir ein bisschen teurer, aber vernünftig durch den Rahmen ziehen zu lassen. Der Stuhl tut mir leid, der ist durch das Getackere hin. Und der kann ja nichts dafür.
Als wir uns das letzte Mal getroffen haben, waren Sie gerade dabei, sechs Korbpferde für eine Produktion an der Frankfurter Oper zu flechten. Ist der Alltag eines Korb- und Stuhlflechters immer so abwechslungsreich?
Ach, das hat sich bei mir so ergeben. Ich habe den ersten Theaterauftrag bekommen, dann den zweiten, den dritten. Da wächst man dran und irgendwann überlegt man sich, was man noch machen könnte. Mit den großen Frauenkörpern dort habe ich 2001 angefangen, das waren die ersten Figuren.
Er zeigt auf zwei große Frauenkörper aus Korbrohrgeflecht. Ein Torso hat die Form einer Schwangeren, der andere zeigt einen fülligen, venushaften Frauenkörper.
Für eine der beiden Skulpturen haben Sie den Landespreis Gestaltendes Handwerk von Berlin-Brandenburg gewonnen.
Ja. Das sollte ja eigentlich erst was ganz anderes werden – ein Blumenkelch. Ich hatte gerade mit der Arbeit angefangen, und als ich dann mal kurz hochschaue und aus dem Fenster rausgucke, läuft vor meinem Laden eine ziemlich dicke Frau lang. Da habe ich auf meine Arbeit geschaut und gedacht: Mensch, das sind doch Schenkel, die du da machst.
Wie wird aus einem Bild im Kopf ein Frauentorso aus Korbrohr? Ist es nicht sehr schwierig, frei Hand zu flechten?
Meistens macht man sich vorher schon eine Skizze oder man hat ein Foto. Dann überlegt man sich ein paar Maße und fängt an. Aber die Köpfe der Pferde für die Oper in Frankfurt am Main habe ich zum Beispiel frei Hand geflochten. Da schaut jedes ein bisschen anders.
Entwickelt man da auch eine Beziehung zu den Figuren?
Der Mensch Fred Jacob wird 1960 in Friedrichshain als eines von zehn Kindern in eine Korbmacherfamilie geboren und wohnt heute mit seiner Frau in Stolzenhagen bei Berlin. Schon Großvater und Vater waren Korbmachermeister, das Handwerk lernte Jacob bei seinem Bruder. Seit 1984 hat der ausgebildete Elektronikfacharbeiter seine Ladenwerkstatt in der Winsstraße in Prenzlauer Berg. 2001 gewann er für einen geflochtenen Frauentorso den Landespreis Gestaltendes Handwerk von Berlin-Brandenburg.
Die Werkstatt Zu DDR-Zeiten hatte Fred Jacobs Werkstatt sechs Angestellte, produziert wurden Waren des täglichen Bedarfs: Körbe, Kiepen, Wäschebehälter. Heute verdient Jacob sein Geld überwiegend mit Sonderanfertigungen für DesignerInnen oder Theaterproduktionen.
Das Handwerk Der Bundesinnungsverband des Deutschen Flechthandwerks registriert noch rund 150 Korbmachermeisterbetriebe in Deutschland, Jacobs ist einer von sieben in Berlin. Seit 2006 kann man KorbmacherIn nicht mehr lernen, der Beruf heißt nun FlechtwerkgestalterIn. Die meisten FlechtwerkgestalterInnen arbeiten im Bereich der Möbelproduktion. Die einzige Schule für diesen Ausbildungsberuf steht in Lichtenfels in Bayern.
Ja. Wenn die Augen, der Mund, das Gesicht entstehen – irgendwann fangen die fast an zu leben. Ach, man spinnt sich da allerhand zurecht (lacht).
Kommen die Ideen immer so zufällig bei Ihnen vorbei wie einmal die Frau vor Ihrem Werkstattfenster?
Manches ist auch schon im Kopf drin. Wenn ich durch den Wald gehe, sehe ich zum Beispiel Äste, in denen sich Figuren verstecken.
Fred Jacob deutet auf zwei astartige Flechtgebilde, die an Mann und Frau erinnern.
Da, „Adam und Eva“ habe ich die beiden genannt. Da bildet sich der alte Kopf was ein und dann muss das raus. Mein Ziel ist immer, etwas zu schaffen, was noch keiner vorher gemacht hat. Nachzuäffen ist nicht mein Ding.
Was fasziniert am Flechten?
Vielleicht, dass man am Anfang nur das Material hat. Rattan sieht ja im Prinzip aus wie Stroh. Und dann entstehen nach und nach Objekte daraus. Man kann auch nicht wirklich vorhersehen, wie sich das Material verhält, man weiß am Anfang nie genau, ob es am Ende passen wird. Ich kann beim Flechten auch schlecht korrigieren – ich könnte es wieder auftrennen, aber dann hätte ich immer einen Knick drin. Was geflochten ist, ist geflochten.
Ihr Vater war auch Korbmachermeister.
Sogar mein Großvater schon. Der hatte seine Werkstatt in der Singerstraße in Friedrichshain.
Er zeigt auf eine alte Schwarz-Weiß-Aufnahme, die neben gerahmten Meisterbriefen der Familie an der Werkstattwand hängt.
Aber mein Vater wollte mich nicht ausbilden – Junge, mach was Vernünftiges, hat er gesagt. Geh in einen Großbetrieb.
Und das haben Sie getan.
Elektronikfacharbeiter habe ich gelernt. Und dann Einrichter. Mit 21 hatte ich in der DDR die höchste Lohnklasse erreicht. Da ging’s nicht mehr weiter. Dann bin ich bei meinem Bruder in die Lehre gegangen. Der war ja auch Korbflechter und hatte seine Werkstatt hier um die Ecke, in der Raumerstraße.
Eine Frau kommt herein und bringt zwei Stühle zur Reparatur. Einer hat ein großes Loch in der Sitzfläche.
Wenn man sich die Skulpturen ansieht, die Sie geflochten haben – haben Sie da überhaupt noch Lust, sich mit Stuhlreparaturen abzugeben oder Körbe zu flechten?
Die Stühle müssen gemacht werden, das gehört dazu. Da kann ich mich ja nicht einfach hinstellen und sagen, ich will Künstler sein. Außerdem brauche ich nicht mehr nachzudenken, wenn ich einen Stuhl flechte. Dann habe ich also Zeit und denke dabei über das nächste Projekt nach.
Was sind Sie eher: Handwerker oder eher Künstler?
Ach, beides.
Er holt einen Zeitungsausschnitt, auf dem die Begründung der Jury für den ersten Preis für Fred Jacobs Frauenkörper zu lesen ist.
Von der Theorie habe ich keine Ahnung, habe ich ja nie studiert. Hier, lesen Sie mal – wäre ich nie drauf gekommen. Finde ich aber toll, was den Leuten alles zu meinen Figuren einfällt. Das lese ich mir durch und denke: Ach, guck mal an, was du da gemacht hast.
Sie haben Ihren Laden seit 1984 hier in der Winsstraße. Wie sah der Arbeitsalltag eines Korbmachers in der DDR aus?
Sechs Angestellte hatte ich, die haben produziert: Einkaufskörbe, Übertöpfe, Wäschebehälter, alles. Da habe ich den Laden zweimal in der Woche für ein paar Stunden aufgemacht und dann war der in ein paar Stunden leergekauft. Alles weg. Die Absatzfrage war nicht das Problem.
Aber kreativ werden konnten Sie nicht.
Nein, da war ganz genau vorgeschrieben, wie ein Korb auszusehen hatte. Die Preise machte das Preisamt. Und ein Teil der Produktion ging immer an die Einkaufliefergenossenschaft. Die verteilten das Material, das hätte man sonst gar nicht bekommen.
Und dann kam die Wende.
Da konnte man dann natürlich machen und tun und flechten, wie man wollte. Aber da wollte dann keiner mehr meine Körbe, da waren sie alle erst mal ganz versessen auf die Billigware aus Asien. Plötzlich war alles im Überfluss da.
Und heute?
Es ist jetzt schon eine gewisse Kaufkraft vorhanden, vor allem hier im Viertel. Da hat sich das Publikum ja völlig gedreht. Ende der Neunziger bemerkte man langsam eine Rückbesinnung auf Qualität. Die Leute wollten mal wieder was anderes als den Korb vom Grabbeltisch. Etwas, bei dem man nicht gleich den Henkel in der Hand hat, wenn man dreimal damit gelaufen ist. Meistens bin ich aber trotzdem nur der Notnagel, wenn irgendjemand bei Ikea irgendein bestimmtes Maß nicht bekommt. Für Ikea habe ich übrigens auch schon mal gearbeitet.
Für Ikea?
Die hatten mir im Foyer so eine Art Korbmarkt aufgebaut und dann habe ich den Kunden Einkaufskörbe geflochten. Statt Plastiktüten. Wurde aber nicht wiederholt, ich war denen wohl zu teuer.
Ärgert Sie, dass alle Ihr Handwerk irgendwie erhaltenswert finden und dann doch alle rückwärts aus dem Laden gehen, wenn Sie die Preise hören?
Klar. Kann ich aber nicht ändern. Ich sitze nun mal nicht in China. Gas, Strom, Benzin, das muss alles bezahlt werden. Was soll ich anderes machen, als das auf das Produkt umzulegen? Irgendwie muss sich der Korb ja rechnen. Handarbeit macht eben Arbeit.
Fehlt den Leuten dafür das Bewusstsein?
Ja. Die meisten wollen alles haben, und das möglichst schnell und billig. Wie soll das funktionieren? Mich ärgert es, wenn die Leute nicht aufhören wollen, zu handeln. Beim Bäcker akzeptieren die Leute den Preis für ein Brötchen. Und den Kfz-Schlosser bezahlen sie auch. Dabei haben wir Korbmacher schon minimale Stundenpreise. Aber das meiste Geld verdiene ich heute ohnehin mit den Sonderanfertigungen. Da bin ich aber in Berlin auch der Einzige, der so was macht.
Wie für die Oper.
Genau. Nur meine eigenen Sachen zu verkaufen, davon könnte ich nicht leben.
Er zeigt auf ein paar kugelige Weidenkörbchen, die zu Blumenvasen umfunktioniert im Fenster hängen.
Selbst wenn ich da jetzt zu Ostern drei, vier von denen verkaufe, bringt mir das ja nichts. Und oft ist es schon frustrierend. Da geht man dann mit dem Preis so weit runter, dass man die Unkosten raus hat, aber in den Urlaub fahren kann man davon eben nicht. Das nervt schon. Na ja, da flechte ich dann halt noch ein bisschen weiter.
Trotzdem schließen Sie jeden Morgen die Werkstatt auf.
Ich könnte gar nicht aufhören zu flechten, das ginge gar nicht, selbst wenn ich auf dem Sozialamt wahrscheinlich genauso viel bekommen würde. Ich kann auch nirgendwo anders so gut flechten wie hier, klappt nicht. Man wird mich wohl irgendwann einfach hier raustragen müssen.
Oder Ihre Tochter übernimmt vorher Ihre Werkstatt. Sie haben Sie ja selbst ausgebildet, oder?
Ja, sie ist bei mir in die Lehre gegangen. Momentan sitzt sie aber im Supermarkt hinter der Kasse. Manchmal kommt sie her und hilft ein bisschen aus.
Sind Sie enttäuscht, dass Ihre Tochter ihr Geld lieber anders verdient?
Sie würde die Werkstatt schon gerne mal übernehmen. Aber sie will auch Geld verdienen, und ich kann ihr kein Geld bezahlen, das nicht da ist. Ist schließlich nicht ständig genug Arbeit für beide da. Und die ganzen Sonderanfertigungen könnte sie ohnehin noch nicht machen. Das ganze Kunstzeug kam bei mir auch erst später. So was muss reifen, da braucht man Erfahrung.
Ist die Tradition eines Familienunternehmens auch belastend? Dass es an Ihnen hängt, ob die Werkstatt weiterlebt?
Jetzt ist es schon so lange gut gegangen, jetzt wird es auch morgen gehen. Ich hoffe ja auf meine Tochter. Vielleicht kommt sie irgendwann auf die Idee, dass Geld doch nicht alles ist (lacht). Außerdem, wenn irgendwann das Erdöl alle ist und die ganze Plaste verschwindet, dann bin ich ja wieder gefragt mit meinen Körben! Da müssen Sie nur warten. Na genau. Und bis dahin gibt’s dann eben mal nicht das dicke Rumpsteak, sondern nur Currywurst. Ich brauche gar nicht so viel. Liegt vielleicht auch daran, dass wir zu Hause zehn Kinder waren. Da hat es gedauert, bis man was Neues bekam, und bis dahin ist man rumgerannt wie Pumuckl. War aber auch nicht so schlimm.
Wie viel Korb findet man eigentlich zu Hause bei Ihnen in der Wohnung?
Och, ein paar Wände sind geflochten und der ganze Treppenaufgang bis hoch zum Giebel. Und dann gibt es noch den einen oder anderen Sessel, eine Lampe, das Bett, die Schlafzimmerschränke. Eigentlich wollte ich noch ein Sofa machen. Aber neulich hat meine Frau gesagt, es reicht.
Sogar Ihre Brille ist mit Korb umflochten.
Die war doch so hässlich. Und irgendwie muss man sich ja absetzen.
Die Sitzfläche des Bauhaus-Designerstuhls, die Fred Jacob vor fast zwei Stunden begonnen hat, ist nun beinahe fertig.
Können Ihre Hände eigentlich auch mal stillhalten?
Nee. Wenn ich jetzt die ganze Zeit nur dasitzen würde, während wir hier quatschen, da verdiene ich ja nichts dabei. Da würde ich ja verhungern.
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