Aus für Kanadas Minderheitsregierung

Mit einem Misstrauensvotum stürzt die Opposition die liberale Regierung von Premier Paul Martin

TORONTO taz ■ Kanadas Premierminister Paul Martin ist am Ende. Mit 177 zu 133 Stimmen unterlag er am Montagabend bei einem von den drei oppositionellen Parteien initiierten Misstrauensvotum im Unterhaus. Damit ist die liberale Minderheitsregierung endgültig gestürzt. Möglich wurde das durch die verärgerten Sozialdemokraten, die dem Kabinett in der Hauptstadt Ottawa die nötige Duldung entzogen. Neuwahlen sind für den 23. Januar angesetzt.

Erst im Juni letzten Jahres verloren die seit 1993 regierenden Liberalen die absolute Mehrheit. Sie konnten bei den Wahlen nur 135 von 308 Sitzen gewinnen. Regieren konnten sie nur mit den 18 Stimmen der sozialdemokratischen Neuen Demokratischen Partei (NDP). Ein erstes Misstrauensvotum der Konservativen und des frankophonen Bloc Québécois im vergangenen Mai überstand Martin nur äußerst knapp. Ein Grund für die andauernde Krise ist ein langlebiger Spendenskandal. Nachdem die Separatisten in der französischsprachigen Provinz Quebec 1995 fast die Hälfte der Bevölkerung für die Trennung von Kanada mobilisieren konnten, stellte Jean Chrètien, Amtsvorgänger und Parteifreund Martins, 200 Millionen Dollar zur Stabilisierung der Region bereit. Ein erheblicher Teil des Geldes floss nach Auskunft des Ermittlungsrichters John Gomery jedoch in die Taschen von Günstlingen der Liberalen Partei. Martin selbst, der zu jener Zeit Finanzminister unter Chrétien war, wurde bei einer Untersuchung allerdings von jeder Schuld freigesprochen.

Eine weitere Amtsperiode der Liberalen wird trotzdem nicht ausgeschlossen. „Wir werden gewinnen“, verkündete Martin noch am Montagabend. Doch die Konservativen unter ihrem Spitzenkandidaten Stephen Harper wittern wegen der unglaubwürdigen Steuerpolitik der Regierung ihre Chance: Angesichts eines beachtlichen Budgetüberschusses von neun Milliarden Dollar im vergangenen Jahr fordern sie deutliche Steuersenkungen und eine Teilprivatisierung der Krankenversicherung. Außerdem wollen sie die bislang akzeptierte Homo-Ehe verbieten.

Von der geplanten Demontage der öffentlichen Krankenversicherung könnte die NDP profitieren, die in Umfragen bei 18 Prozent rangiert. Der sozialdemokratische Fraktions- und Parteichef Jack Layton gilt als derzeit beliebtester Spitzenpolitiker des Landes. Auf einem Gewerkschaftstag im Oktober warnte er vor einer „Amerikanisierung der Krankenversicherung“.

HANNES HEINE