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Interview zu Mietkosten von Hartz-IV-Empfängern"Die Leute finden einfach keine Wohnung"

Die Kampagne gegen Zwangsumzüge will gegen die neue Verordnung zu Miet- und Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern vor Gericht ziehen. Die Sätze für die Erstattung gingen an der Realität vorbei.

"Miet mich", steht an dieser Wohnung. Aber zu welchem Preis? Bild: dpa
Sebastian Erb
Interview von Sebastian Erb

taz: Frau Baumert, der Senat will die Richtwerte für die Erstattung von Miet- und Heizkosten für Hartz-IV-Empfänger leicht erhöhen. Sie haben angekündigt, dagegen zu klagen. Warum?

Karin Baumert: Die Verordnung ist unserer Auffassung nach gesetzeswidrig und muss kassiert werden. Laut Bundesgesetz müssen die Kommunen – hier also der Senat – Sätze für Mieterstattungen festlegen, die den realen Mieten entsprechen. Nun gab es nur eine unzureichende pauschale Erhöhung der Richtwerte. Zudem hätte das Ganze vom Abgeordnetenhaus statt vom Senat beschlossen werden müssen.

Inwiefern ist die Erhöhung der Richtwerte unzureichend?

Ein Hartz-IV-Empfänger bekommt nicht einmal den Mietspiegelwert erstattet. Kommt eine Mieterhöhung, müssen die Betroffenen Geld vom Regelsatz abzwacken, sich mit Ein-Euro-Jobs Geld hinzuverdienen – oder schwarzarbeiten.

Karin Baumert

56, ist Theaterpädagogin und Kommunikationstrainerin. Sie arbeitet seit sechs Jahren ehrenamtlich für die Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge.

Umziehen ist keine Lösung?

Für eine neue Wohnung muss man deutlich mehr Miete bezahlen. Die Leute finden in Berlin einfach keine Wohnung zu solch niedrigen Mieten, wie sich der Senat das vorstellt. Da ist es ein Skandal, dass das Jobcenter weiterhin jedes Mal vorab zustimmen muss. Man ist doch chancenlos, wenn es 60 Interessenten für eine Wohnung gibt und man erst das Jobcenter fragen muss. Es braucht feste Sätze, die auf jeden Fall erstattet werden.

In manchen Bezirken gibt es doch billigere Wohnungen.

Vielleicht kriegt man weit weg noch eine kleine Neubauwohnung. Nichts gegen Spandau oder Hohenschönhausen – aber das ist wie ein Umzug in eine andere Stadt. Deshalb bleiben die Leute so lange wie möglich in ihrer bisherigen Wohnung. Irgendwann steht dann ein Zwangsumzug an. Und das ist dramatisch: Die Leute fliegen aus Ihrer Wohnung und haben keine Chance, eine andere zu finden. Von der Politik geht das Signal aus: Hartz-IV-Empfänger haben in dieser Stadt nichts mehr zu suchen.

Wie viele Berliner sind von Zwangsumzügen betroffen?

Das ist schwer zu sagen. Konkrete Zahlen haben wir nicht. Viele Betroffene schämen sich unendlich, so dass wir es nicht wirklich mitkriegen. Klar ist, dass die Fälle massiv zugenommen haben.

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15 Kommentare

 / 
  • J
    Jan

    Grundsätzlich sehe ich es auch so, ein menschenwürdiges Leben muss möglich sein, aber kein Luxus. Und es ist durchaus menschenwürdig, wenn man umzieht, weil man sich die aktuelle Wohnung nicht mehr leisten kann.

     

    Immer nur Erhöhungen fordern ist dann tatsächlich assozial und immer nur vom Staat fordern. Wenn jemand arbeiten kann, dann kann er/sie ja auch mal selber was machen. Wenn er/sie handwerklich begabt ist, dann halt was erstellen und verkaufen. Wenn er/sie lieber am Schreibtisch arbeitet, dann da was machen. Sachen lernen geht dank Bibliotheken quasi kostenlos. Einfach mal ein Buch und lernen. Weil Leute mit hohem Bildungsniveau finden auch ganz oft einen Job, insbesondere gesunde Singles.

     

    Grundsätzlich sollten tatsächlich Familien mit Kindern oder kranke Leute den Vorrang erhalten, weil gesunde Leute die arbeiten wollen, auch quasi immer die Chance dazu haben, während eine alleinerziehende Mutter eben auf das Kind aufpassen muss, weil die Kita oft mehr kostet, als sie in der Zeit verdienen kann, oder der Arbeitgeber keine Lust auf eine Verkäuferin hat, die um 16:30 gehen muss, weil die Kita um 17:00 Uhr zu macht.

  • T
    Thessa

    @ Bernhard

     

    Wieso gibt es denn die vielen Arbeitslosen und Hartz-IV-Betroffenen?

     

    Schon mal davon gehört, dass es in Deutschland nicht genug Arbeitsplätze gibt???

     

    Schon mal gehört, dass die Arbeitslosenstatistiken gefälscht sind (das war schon vor der Einführung von Hartz IV so). In Wirklichkeit gibt es viel mehr Arbeitslose. Allein die Menschen die über 58 Jahre alt sind, kommmen in der Statistik nicht vor.

     

    Anstatt die armen Arbeitslosen anzumotzen, sie sollten doch arbeiten, solten Sie, Berhard, sinnvollerweise besser die Regierung anmotzen, weil die Bundes- und die Berliner Landesregierung so gut wie nichts tun, um die Lage der Armen zu verbessern.

     

    Jetzt sorgt der BerlinerSenat auch noch dafür, dass die Menschen, die keine Arbeit finden können, auch keine bezahlbare Wohnung finden können.

     

    Das ist asozial!

  • O
    Opi

    Ich suche seit 8 Wochen eine Wohnung mit 2 Zimmer , es ist einfach auch Krank wenn man sieht was für Wohnungen für 444 € warm angeboten werden . Seit 20 Jahren Miete Kassiert und nix gemacht in den Butzen . Man verlangt ja nix weiter, ausser vielleicht wenigsten eine saubere Wohnung . Mann kann jeden nur wünschen nicht mal in so eine Sytuation zukommen das man darauf angewiesen ist . Dachte ich bis vor 4 Monaten auch nicht das ein sowas passieren kann. Am schlimmsten finde ich die abwertenden Bemerkungen von den Vermietern die kennen ein doch garnicht.

  • B
    Bernhard

    @Stefan

    Was Singles machen können, um sich um Alleinerziehende zu kümmern? Na logo - Heiraten! ;)

     

    @Diskussion

    Ganz ehrlich - wer vom Steuergeld anderer Leute lebt, von dem erwarte ich, dass er auch in einen anderen Stadtbezirk zieht, wenn die Mieten im "eigenen" Bezirk zu teuer werden. Das ist er der Solidargemeinschaft schuldig. Hartz IV ist eine Grundsicherung und keine Wohlfühlgarantie. Die Alternative: Arbeiten. Wer das nicht will, der muss sich realistisch überlegen, welche Ansprüche er stellen kann.

     

    Die, die nicht arbeiten können bzw. nichts für Ihre Lage können (Kranke, Alte, Kinder) wären ggf. über Sachleistungen (kostenloses/vergünstigtes Schulessen, besondere Förderung, Betreuung, etc.) aufzufangen. Ein Mindestlohn wäre ein weiteres Instrument, dafür zu sorgen, dass die anzunehmende Arbeit anständig bezahlt wird.

  • C
    Commentator

    @aurorua

     

    >>>>Es hat genügend Wohnungen in Berlin die um 350,- EURO warm

  • M
    Mocaer

    Einfach alle umsetzen:

     

    all die rücksichtslosen und brutalen Ganoven, die den Massengeschoss-wohnungsbau der 70-er zu verantworten haben (Architekten, Ingenieure; Chefs der Wohnbausgesellschaschaften, Politiker, Banker und Landowskis) aus ihren Luxushäusern ausquartieren und die vorgenannten in die Hasenställe der 70-er pferchen.

     

    Damit ihnen und ihren Nachfolgern ein Licht aufgeht oder zwei!

  • EL
    Ein Leser

    "Nichts gegen Spandau oder Hohenschönhausen – aber das ist wie ein Umzug in eine andere Stadt."

     

    Das finde ich interessant. Bei Hartz-IV-Empfängern wird es oft als Zumutung beschrieben, wenn diese nur den Stadtteil oder gar die Stadt wechseln müssten (in allen sehr ländlichen Gebieten Deutschlands stehen ja zuhauf billige Wohnungen leer).

     

    Ganz anders bei Arbeitssuchenden (z.B. nach erfolgreichem Studium): Diese sind nach ihrer Ausbildung häufig gezwungen, Berlin zu verlassen und machen das auch.

     

    Ein Umzug wird auch erwartet bei ihnen (Berlin hat z.B. kaum noch Industrie) und niemand käme auf die Idee, zu sagen: "Den frischgebackenen Ingenieur kann man doch nicht zwingen, innerhalb Deutschlands umzuziehen. Der Staat soll für ihn Arbeitsplätze vor Ort schaffen"

  • W
    Wenstruba

    @Stefan

     

    Ich kann dir sagen, was Leute ohne Kinder so machen könnten. Z. B. solidarisch sein, wenn es um Alleinerziehende Eltern ginge. Aber nein, da wurde ja in den letzten 20 Jahren lieber mit Extasy als mit den Nachbarskindern gefeiert. Das Gejammer finde ich nun echt zwielichtig. Wie konnten denn Single einfach darüber hinweg sehen, dass Familien mit Kindern aus der Stadt getrieben werden, geteert und gefedert als Loser dagestellt, die sowieso nur rauchen, saufen und den Bälgern nicht mal als Deutsche anständiges Germanisch beibrachten? Ihr habt weggesehen und da soll ich noch einen Moment mit euch Biolosern Mitleid empfinden? Ihr seid ja komische Leute. So war das eben schon immer, wer nicht das Maul für die anderen aufmacht, muss, wenn er selber dran ist, eben auch alleine kämpfen. Und verstanden habe ich schon lange, was und wer wichtig ist, nämlich die Kinder.

  • S
    Stefan

    @aurorua: erstens steht mitnichten genügend Wohnraum für 350,- warm in Berlin zur Verfügung (und schon gar nicht in den einzelnen Bezirken) und zweitens werden für Alleinstehende bisher max. 378 Euro, demnächst 16 Euro mehr gezahlt - und da ist dann nix mehr mit Nachzahlungen von Heiz- und Betriebskosten.

     

    Wenn überhaupt (falls Verlust der Wohnung droht, höchstens in Ausnahmen als Darlehen, das monatlich vom Regelsatz abgestottert werden muss).

     

    Ist aber alles wohlbekannt - wenn es so wäre, wie Sie es beschreiben, gäbe es ja kein diesbezügliches Problem

     

    Kopfschüttelnde Grüße

  • M
    Marie

    @ Wenstruba

     

    Hartz-IV- Betroffene Singles gegen Hartz IV-Betroffene Familien auszuspielen, ist kontraproduktiv. Denn alle Hartz-IV-Betroffenen haben dasselbe Problem: Sie brauchen realistische Mietzahlungen.

     

    Der Feind ist der Senat.

    Wie kommt der Senat überhaupt dazu, gesetzeswidrige Mieterstattungs-Gesetze zu machen?

     

    Und was macht die Opposition im Abgeordnetenhaus dagegen?

     

    Sind die im von den SteuerzahlerInnen bezahlten Osterurlaub und kümmern sich mal wieder nicht um die Armen in unserer Stadt?

     

    Aber für eine Diätenerhöhung ihrer eigenen Diäten, da sind sich Grüne, Piraten und Linke sofort einig und schreiten bereitwillig zur Tat.

     

    Anscheinend sind das nur narzistische EgoistInnen im Berliner Abgeordnetenhaus, die ihr Geld nicht wert sind. Leistung? Fehlanzeige!

  • A
    aurorua

    Es hat genügend Wohnungen in Berlin die um 350,- EURO warm für alleinstehende zu haben sind, aber solange Mieten bis 450,- EURO gezahlt werden plus Nachzahlungen für Heizung und Betriebskosten, stehen diese Wohnungen leer!

  • EH
    euphrasia holler

    Normalerweise läuft es mir zuwider, mein Singledasein zu rechtfertigen, aber hier muss es sein. Singles sind auch Menschen nach dem GG. Ich habe mindestens 3000 andererleuts Kinder miterzogen. Weil ich früher im Heim oft Schichtdienst gearbeitet habe, habe ich auf eigene Kinder verzichtet. Heute bin ich froh, dass kein Kind von mir, wieder in Armut groß werden muss, denn die Chancen, die ich in den 60ern bekam, bekommt heute kein Kind mehr. Ich wohne seit über 30 Jahren in meiner Wohnung und warum soll ich mit über 60 mir ein neues Umfeld aufbauen? Meinetwegen nennt man mich eine Egoistin, aber was ist mit all den Lohas?

  • P
    Peter

    Es ist schon ein trauriges Bild... Nun wird es leider immer mehr so sein, dass es in Berlin mehr und mehr vertrieben Menschen gibt. Diese müssen den Innenstadtring für ökonomisch stärkere Menschen verlassen müssen. Auch hier wird es bald ein Bild wie in allen Großstädten geben, die besser verdienenden leben im Innenstadtbereich, die ärmeren Menschen werden in die Bereiche mit niedriger Lebensqualität vertrieben. Kleine Gettos entstehen und irgendwann wundern sich diese Leute warum die „überflüssigen“ anfangen die Läden zu plündern und Autos ab zu fackeln...

  • S
    Stefan

    @Wenstruba: Du hast nichts verstanden. Unglaublich: jetzt werden nicht nur schon Niedriglöhner gegen Aufstocker und Aufstocker gegen Hartz IVler gegeneinander aufgehetzt, jetzt auch noch die unterschiedlichen Hartz IVler untereinander.

     

    Es ist ein Skandal ohnegleichen, was da bei der KdU geschieht - übrigens nicht nur in Berlin. Und zwar bei allen Menschen, die Hartz IV bekommen.

     

    Übrigens eine unverschämte Bemerkung, dass sich Singles nicht um Alleinerziehende gekümmert hätten. Was hätte man als solche Gruppe denn tun können?

     

    Sorry - aber das ist nur dümmlich

  • W
    Wenstruba

    Die Wohnungszuschüsse sollen erst einmal für Familien mit Kindern und vor allem für Alleinerziehende angepasst werden. In der einzigen Erhöhung seit der Einführung von Hartzens-Ekelstinke-Gesetz wurde nur ein mal für Singlehaushalte die Erhöhung vollführt. Das ist ungerecht, spricht gegen das GG und verdrängt Familien aus der Stadt. Mit welchem Recht konnte es passieren, dass nur Singles geduldet werden, nicht aber Kindern geholfen wird? Von mir aus sind nun Singlehaushalte zum Umziehen zu bewegen, denn die haben sich einen Dreck um Alleinerziehende gekümmert. Egoisten.