Kommentar Piraten: Die „Bodos“ sind nicht das Problem
Die Piraten drohen nicht nach rechts abzukippen. Diese Unterstellung ist nur Alarmismus, der dazu dient, sich nicht ernsthaft mit der Partei zu befassen.
D ie Piraten haben ein Problem: Erst wird die Partei ein Mitglied wie Bodo Theisen nicht los, der mit seinem dumm-revisionistischen Weltbild hausierte. Und dann meint auch noch ihr Berliner Landesvorsitzender, nicht die konsequente Auseinandersetzung mit politischen Irrläufern in den eigenen Reihen sei das Problem, vielmehr seien es jene, die „die Bodos“ aus der Partei werfen wollten.
Hartmut Semken hat das, mit Rücktrittsforderungen konfrontiert, inzwischen bedauert. Und Bundeschef Sebastian Nerz gesteht ein, die Partei müsse „noch den richtigen Umgang mit solchen Äußerungen finden“. Von diesen werden nun immer mehr bekannt und das ist keine Angelegenheit, die sich mit dem Hinweis auf „zehn Prozent Irre“, die es in jeder Partei gebe, abtun lässt.
Sicher: Neugründungen haben immer schon Leute angezogen, die eine Bühne für ihren politischen Obskurantismus suchten. Mit dem Erfolg wächst zudem die öffentliche Aufmerksamkeit, nach einem weithin positiven medialen Hype wird jetzt genauer hingeschaut.
ist Redakteur im Meinungsressort der taz.
Und dafür braucht es angesichts der vielen netzaktiven und mitteilungsbedürftigen Piraten nicht eimal viel Mühe: Eine Partei, deren momentane Beliebtheit auch auf einem gewachsenen Bedürfnis nach Transparenz und offener Organisationskultur beruht, wird eben nicht nur von talkshowkompatibler Prominenz repräsentiert. Sondern auch von den Theisens und Semkens.
Der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse hat die Diskussion um rechte Ausreißer jetzt zum „Testfall“ für die Piraten erklärt. So richtig die Forderung nach konsequenter Auseinandersetzung mit politischen Irrläufern ist, so wenig wird man aber den Eindruck los, dass die Empörung der als etabliert geltenden Parteien bisweilen auch noch einen anderen Grund hat.
Möglichkeiten der Kooperation ausloten
Die Piraten stören eingefahrene Kreise, ihr Aufstieg, was auch immer man davon hält, erschwert die ohnehin schon komplizierter gewordene Mehrheitsfindung in bundesdeutschen Parlamenten. Die Partei ist machtpolitische Bedrohung, allein die Zahl der derzeit für sie erwarteten Mandate beschneidet die Karriereaussichten bei der Konkurrenz. Ein rechtes Problem bei den Piraten mag da manchem gerade recht kommen.
Doch die Piraten drohen weder nach rechts abzukippen, noch befreit die nun laufende Debatte über den Umgang mit solchen Positionen bei den Piraten das Mitte-Links-Lager von der Aufgabe, sich mit dem Newcomer ernsthafter zu befassen. Es reicht nicht, ein paar Mal zu geloben, Netzpolitik und Basisdemokratie nun ebenfalls wichtiger zu nehmen.
Und noch weniger reicht es, den Piraten Inhaltsleere bei zentralen Themen zu unterstellen. Es gehört zwar zum politischen Wettbewerb, andere Parteien aus dem Parlament herauszuhalten - wie es sich zum Beispiel SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles bei den Piraten zum Ziel gemacht hat. Wirklich demokratische Kultur bedeutet aber auch, Möglichkeiten der Kooperation auszuloten.
Helfershelfer einer großen Koalition
Zurzeit sieht es so aus, als ob der Aufstieg der Piraten vor allem Angela Merkel hilft, weil mittelinks von ihr aus rechnerischen keine politischen Mehrheiten werden. Wo bisher schon SPD und Grüne die ausgestreckte Hand der Linkspartei in der Hoffnung ausschlugen, die ungeliebte Konkurrenz werde so von selbst verschwinden, drängt nun das nächste Crossover-Problem auf die Agenda: Soll man, kann man mit den Piraten womöglich sogar koalieren?
Der Frage lässt sich jedenfalls nicht einfach mit dem Hinweis auf „die Bodos“ in der Partei ausweichen. So schnell die Politfreibeuter solche Leute über Bord gehen lassen sollten, so schnell müssten aber auch SPD, Grüne und die Linkspartei auf die neue Konkurrenz in ihrem Lager zugehen. Gelernt werden kann dabei aus den Erfahrungen und Fehlern, die seit den neunziger Jahren in diversen Versuchen gemacht wurden, ein rot-rot-grünes Gespräch über Möglichkeiten und Grenzen gemeinsamer Reformperspektiven zu führen.
Das ist in Zeiten des Dauerwahlkampfs und der auf schlagzeilenträchtige Zitate verkürzten politischen Debatte kein leichtes Unterfangen. Die Initiative dazu wird auch nicht von den Spitzen der Parteien ausgehen.
Wer aber bis zur nächsten Bundestagswahl damit wartet und die Piraten solange lieber „auf einer anderen Umlaufbahn“ wie ein fernes Objekt nur beobachtet, wie Andrea Nahles, der wird zum Helfershelfer einer großen Koalition. Ein solches Regierungsbündnis ab 2013 jedoch würde Öl ins Feuer der Parteienverdrossenheit gießen - und damit nur einen stärken: die Piraten.
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