Goethe ganz nah am Leben

SOZIALES 30 Jugendliche haben das Multimedia-Theaterstück „Faust in da City“ eingeprobt. Das Abschlussprojekt des Fachbereichs Kunst der StreetUniverCity wird heute aufgeführt

■ Die SUB gibt es seit 2006. Jedes Jahr gibt es ein neues Semester, für das sich Jugendliche bis 25 Jahren anmelden können. Sie haben die Wahl zwischen Fachbereichen wie Kunst und Medien, Sport, Streetculture. Wer die Seminare regelmäßig besucht, bekommt Punkte. Und wer am Ende genügend Punkte aufweisen kann, erhält den SUB-Master.

■ Das nächste Semester beginnt am 1. April. Anmelden kann man sich online unter: www.streetunivercity.de

VON MELANIE FUCHS

„Warum darf ich mir nicht die Haare färben, wie ich will? Warum darf ich nicht anziehen, was ich will? Und warum darf ich nicht lieben, wen ich will?“ Ein Handy klingelt. Renata rennt. Ihre großen, glitzernden Ohrringe schaukeln noch, als sie ins Telefon flüstert, sie könne nicht, sie habe Probe. Die anderen warten, bis die 18-Jährige wieder am Platz ist. Ärger wegen eines läutenden Handys bekommt hier niemand. „Von vorne“, ruft Regisseur Ayhan Sönmez. Renata holt Luft: „Ehre. Ein Wort, so viel Bedeutung“. Dabei zieht sie einen langen weißen Stoff zu sich heran.

„Hier geht es um Ehrenmord“, flüstert Giò Di Sera, künstlerischer Leiter des Theaterprojekts und Präsident der StreetUniverCity Berlin (SUB). „Auch im Original von Goethe gibt es dieses Motiv.“ Da erfährt Valentin, dass seine Schwester Gretchen von Faust schwanger ist, und will den Gelehrten umbringen. Faust, findet Di Sera, sei generell sehr nah am Leben seiner Jugendlichen. Deshalb hat er das Drama auch als Grundlage für das letzte SUB-Semester ausgesucht. Es geht um Liebe, Sex, Ehre und darum, eigentlich ein guter Kerl zu sein und doch Böses zu tun. Besonders die, die zur SUB nach Kreuzberg kommen, meistens sogenannte Problemkinder aus sogenannten Problembezirken, können darüber viel erzählen.

Keine Lektürepflicht

Neue Szene. „Die ganzen verlorenen Seelen am Kotti. Und alle wollen nur das eine: Geld!“ Ahmet hebt die Arme. Bei der Aufführung am heutigen Dienstagabend soll es an dieser Stelle Scheine regnen. „Schade, dass ich die nicht einlösen kann“, sagt der 21-Jährige, der gerade auf Jobsuche ist. Er habe sogar in Goethes Faust I reingeschaut. „Aber viel hab ich nicht gelesen, es war etwas schwierig.“ So wie Ahmet wäre es einigen gegangen, glaubt Di Sera, deshalb musste seine Truppe das Drama auch nicht lesen. „Wenn wir die so voll gestopft hätten, wäre die Hälfte weggerannt“, sagt der Neapolitaner. „Wir brauchen auch nicht dieses ‚Seht her, wir kommen von der Straße und können trotzdem Faust.‘ “

Die SUB-Studenten sollen inhaltlich arbeiten, diskutieren, an neuen Texten schreiben. „So haben wir zusammen ein neues Stück auf die Beine gestellt“, sagt Ahmet, und man merkt, wie wichtig ihm das „zusammen“ ist. Er sinniert, Faust sei eher ein Einzelgänger, unzufrieden. „Er fragt sich, was die Welt im Innersten zusammenhält. Er hat viel erreicht, aber denkt, er müsste noch mehr erreichen.“ Vielleicht sei er auch deshalb ein schlechter Mensch geworden.

Doch in der SUB soll nicht nur nachgedacht, sondern auch Handfestes gelernt werden. Im Fachbereich Kunst und Medien können die Jugendlichen zwischen Musik-, Videoproduktion, Theater, bildender Kunst und Tanz wählen. Am Ende jedes Semesters ergeben die Kurse ein großes Ganzes, in diesem Fall „Faust in da City“.

Renata ist wieder dran. „Bau deine Emotionen am Tuch auf. Das soll deine Scheißehre sein!“, ruft Ayhan Sönmez. „Wir brauchen Klavier!“ – „Yalla“, ruft eine Schauspielerin hinterher. Kurz ist es ganz ruhig. „Du warst verheiratet“, sagt Ahmet, der Renatas Bruder mimt. „Aber ich wollte es nicht“, antwortet das Mädchen. Die beiden stehen sich gegenüber. „Die anderen sagen, du hast unsere Ehre beschmutzt“, erwidert Ahmet. Er geht. „Ehre. Ein Wort, so viel Bedeutung“. Dann fragt Renata ins Publikum. „Liegt die Ehre denn wirklich zwischen meinen Beinen?“

■ „Faust in da City“, 5. Januar, 19 Uhr im HAU1, Stresemannstr. 29, Special Guests: K.I.Z. Infos: www.streetunivercity.de