piwik no script img

Erben und StreitenGeronnene Liebe

Erben kann Familien zerstören. Für viele ist es tabu, darüber zu sprechen. Sibylle Plogstedt tut es trotzdem – und hat sogar einen Ratgeber darüber geschrieben.

Lieber regeln, so lange man noch lebt: das Erbe. : Goulden / photocase.com

Wenn es ans Erben gehe, materialisiere sich Liebe, meint Sibylle Plogstedt. Unter Umständen sei die Gefühlsrechnung, die dabei aufgemacht werde, ganz einfach: „Wer mehr bekommt, wurde mehr geliebt.“

Selbst wenn es sich nur um einen salopp dahingesagten Satz handelt, werden dabei doch drei Themen angesprochen. Erstens: Beim Erben geht es um Materielles. Bis 2020 werden in Deutschland laut einer Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsoge 2,6 Billionen Euro vererbt. Zweitens: Beim Erben geht es zudem um Immaterielles, um Gefühle. Drittens: Beim Erben ist das familiäre Harmoniegefüge in Gefahr – und bei etwa einem Drittel der Erbangelegenheiten kracht es auch auseinander. Oft mit einer Wucht, die spätere Versöhnung unmöglich macht.

Diese Disharmonie hat Sibylle Plogstedt fasziniert. Fasziniert hat sie zudem, dass Erben aufgrund dieser Gemengelage ein Tabu ist. Es gelte die Maxime: „Übers Erben spricht man nicht.“

Plogstedts erster Impuls, dieses Tabu zu brechen, hat mit der Geschichte einer Freundin zu tun, die mitten in einem Erbstreit steckte. Einem unglücklichen. Als sie keinen Ratgeber übers Erben fand, den sie ihr zum Geburtstag hätte schenken können, hat sie selbst einen geschrieben.

Diesen und andere spannende Texte lesen sie in der aktuellen sonntaz vom 28. und 29. April. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz.

Plogstedt hat für ihr Buch mit Leuten aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen gesprochen, die geerbt haben, erben sollten oder enterbt wurden. Mit solchen, die Häuser bekommen sollten oder Geld. Mit solchen, bei denen durch die Erbschaft die Existenz von Handwerksbetrieben zerstört oder große Unternehmen zerschlagen wurden.

Sie hat mit Frauen gesprochen, die seit dem Erbstreit nicht mehr mit ihren Geschwistern reden. Sie hat mit verwitweten Müttern gesprochen, die seit dem Erbstreit ihre Söhne nicht mehr sehen. Sie lässt Kinder zu Wort kommen aus der ersten Ehe eines verstorbenen Vaters, die nicht mehr mit der zweiten Frau des Vaters reden.

Konflikte brechen wieder auf

„Beim Erben werden Familien gekillt“, sagt Plogstedt. Und: „Erben ist geronnene Liebe.“ In Familien, in denen es zum Erbstreit komme, seien die Kinder oft manipuliert worden. Die verdeckten familiären Konflikte brechen in der Erbsituation wieder auf.

Zwei Dutzend Begegnungen sind es. Es soll ganz einfach gewesen sein, die Leute zu finden – durch Hörensagen, durch Mundpropaganda. Plogstedt indes geht es nicht nur darum, aufzuschreiben, was schiefläuft. Die Fallbeispiele sind ihr eher Vorlage für eine Analyse, wie der Erbstreit hätte vermieden werden können. Etwa, indem alle Beteiligten frühzeitig in Testamentsentscheidungen einbezogen werden.

Dass Erben Besitzverhältnisse verschiebt, ist also bekannt. Dass sich in der Art, wie sich diese Besitzverhältnisse verschieben, soziale Probleme und gesellschaftliche Entwicklung ablesen lassen, vermutlich weniger.

So verstärkten Erbsituationen das größer werdende Gefälle zwischen ärmeren und reicher werdenden gesellschaftlichen Schichten. In der ersten Dekade dieses Jahrhunderts gab es in 28 Prozent der Erbhaushalte Erbschaften bis 13.000 Euro. In zehn Prozent der Erbhaushalte lag die Erbsumme über 266.000 Euro. Auch die Korrelation zwischen Frauen und Erben sei aufschlussreich. Bis zum Jahr 1960 etwa betrug der Erbunterschied zwischen Söhnen und Töchtern zwei Drittel.

Frauen kommen schlechter weg

Heute hat sich das Verhältnis nivelliert. Aber bis heute sei es so, dass Frauen dann beim Erben schlechter wegkommen, wenn es mehrere Geschwister und darunter Brüder gebe, meint Plogstedt. Da es jedoch immer mehr Einkindfamilien gibt, gibt es auch mehr Frauen, die erben. Längerfristig könne sich damit die wirtschaftliche Einflussnahme von Frauen verändern. Sie können mit dem Geld gestalten.

Dem widerspricht, dass Erben und Erbinnen – aufgrund der höheren Lebenserwartung derer, die vererben – länger warten müssen, bis sie etwas bekommen. Das ererbte Geld wird also möglicherweise weniger in Produktionskreisläufe investiert als zur Alterssicherung gebraucht.

Völlig offen sei, sagt Plogstedt, wie sich die Patchworkfamiliensituation aufs Erben auswirkt. „Da steckt viel Zündstoff drin.“ Drei Viertel der Erbstreitigkeiten geschehen in Patchworkfamilien. Als wäre Emanzipation nicht zu Ende gedacht: „Plötzlich ist es nicht mehr so einfach, die Freiheit, die wir zu Lebzeiten leben, auch über den Tod hinaus tragfähig zu machen.“

Versorgung der eigenen Kinder

Falsch sei es übrigens anzunehmen, dass sich Frauen in Erbstreitereien generell ausgleichender verhielten. In gemischtgeschlechtlichen Gemengelagen vielleicht, „aber wenn Frauen im Erbstreit aufeinander treffen, kann es schlimm werden“. Da würden archaische Muster wie das Brutschützen, sprich die Versorgung der eigenen Kinder, wieder relevant. Solidarität unter Frauen sei nicht mehr so ein starker Wert, wie er es noch in den siebziger Jahren war. Plogstedt kommt aus diesen feministischen Zusammenhängen.

Ziel einer Erbsituation müsste es eigentlich sein, sich über den Zugewinn zu freuen. Deshalb müsse jede gelungene Intervention in Sachen Erben – und dazu zählt auch so ein Buch, wie Plogstedt es geschrieben hat – Wege vorschlagen, die den Streitfall verhindern. In Plogstedts Buch kommen daher auch Erbmediatoren, Steuerberater und Juristen zu Wort.

Fehlende Information übers Erbrecht nämlich ist auch eine Ursache für Streitigkeiten. „Und alle“, meint die Autorin, „die sich jetzt streiten, werden es an ihre Kinder weitergeben.“ Sie rät deshalb: Die Erbangelegenheiten dürfen nicht auf die nächste Generation verschoben werden. Das Tabu muss gebrochen werden: „Erben muss man regeln, solange man noch lebt.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen