Straßenmusiker, Freigeister

KINO Die bei den Iranischen Filmtagen vorgestellten Regisseure zeigen viel politische Energie und große Sympathie für alternative Lebensentwürfe

Iran macht es seinen Künstlerinnen und Künstlern alles andere als leicht. Nichts hat das zuletzt besser veranschaulicht als die Debatte um den Regisseur Jafar Panahi, der für seinen Film „Pardé“ auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde, den Preis aber nicht persönlich entgegennehmen konnte, da er nicht ausreisen durfte. Schaut man sich die Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilme an, die nun die Iranischen Filmtage der Heinrich-Böll-Stiftung auf die Leinwand gebracht haben: Man könnte beinahe meinen, dass die Filmemacher Irans gerade aus diesen Einschränkungen Energie ziehen.

Leicht verdaulich war das, was zu sehen war, nicht. Die Geschichte Nessas etwa: Die traditionell geprägte Familie der leidenschaftlichen Schauspielerin kann nur schwer damit umgehen, dass Nessa in der Öffentlichkeit steht. Dass sie Rollen spielt, die sich nicht ziemen – und vor allem, dass sie nicht heiraten möchte, ist besonders für ihren Bruder inakzeptabel.

Persönliche Porträts

Was nach einem recht simplen Plot klingt, ist jedoch kein Spielfilm, sondern eine Dokumentation, die ein ungemein persönliches Porträt einer jungen Frau zeichnet. Bis ins Haus der Familie begleitet der Filmemacher Loghman Khaledi die Schauspielerin und schaltet selbst dann die Kamera nicht aus, wenn Nessas bodybuildender Bruder seiner Schwester gegenüber handgreiflich wird, weil sie zu spät nach Hause gekommen sei und obendrein noch den Kameramann mitgebracht habe.

Es sind Geschichten gewöhnlicher Menschen, die in einer patriarchalischen, vom Gottesstaat reglementierten Gesellschaft geradezu gezwungen sind, zu außergewöhnlichen Mitteln zu greifen, die die Filmemacher erzählen. Da sind die beiden jungen Musiker Damoon und Salah, die allen Konventionen zum Trotz als Straßenmusiker durch die Stadt ziehen („Maybe Tomorrow“). Da sind die Jugendlichen, die anecken, weil sie ihrem Hobby nachgehen, dem Trendsport Parkour („Street Sultans“).

Auch Khosro Amini, der Protagonist aus Massoud Bakhshis Spielfilm „A respectable Family“, entfaltet durch sein von Kontrollwahn, Korruption und Intrigen geprägtes Umfeld seine Außergewöhnlichkeit. Nach 22 Jahren im Ausland kehrt der Freigeist in den Iran zurück, um ein Semester als Gastdozent an der Uni zu unterrichten. Dort macht er sich mit seinen liberalen Überzeugungen nicht gerade beliebt. Doch zurückkehren kann er auch nicht. Das Ausreisevisum wird ihm verweigert. Als sein Vater stirbt und seinen Söhnen ein Erbe hinterlässt, erfährt Amini von den schmutzigen Machenschaften seiner Großfamilie und wird in eine Vergangenheit zurückgeworfen, vor der er sein Leben lang wegzurennen versuchte.

Genderfragen

Die Brücke zu anderen Kunstformen schlugen die Filmtage schließlich am Montagabend. In ihrer Dokumentation „Rose and Nightingale“ ging Negar Tahsili der Frage nach, wie bildende KünstlerInnen im Iran Genderfragen behandeln. Davoud Zares Kurzfilm „AT“ brachte Tanz auf die Leinwand. Denn zeitgenössischer Tanz, so Zare, sei im Iran die fortschrittlichste Kunstform. Zwar sei er aufgrund seiner inhärenten Verbindung mit dem menschlichen Körper besonders starken Einschränkungen unterworfen, dennoch wachse die Tanzszene des Landes täglich.

Was bleibt, ist der Eindruck eines regen und in seiner Darstellung alternativer Lebensentwürfe höchst politischen Kunstschaffens im Iran, obwohl das autoritär-islamische Regime gerade ein solches zu unterbinden versucht. Massoud Bakhshi merkte vor der Vorführung seines Films „A respectable Family“ scherzhaft an: „Ich glaube, 98 Prozent aller Iraner sind Filmemacher.“ JANNIS HAGMANN