Katholische Arbeitsuniversität in Peru: Bildung im Ghetto
Perus Hauptstadt Lima ist wie viele andere Metropolen von Elendsvierteln umgeben. Eines heißt Pachacñtec – und hat eine bemerkenswerte Bildungsinitiative.
LIMA taz | Gloria Ramos stellt die Kalkulation für ihr „Karito“ vor. So soll der kleine Buch- und Kopierladen heißen, den sie aufbauen will. Und zwar in einem Pueblo Joven, einem der Stadtviertel Limas, die oftmals über Nacht durch das Besetzen von Land entstehen.
Rund um Perus Hauptstadt werden die Pueblo Joven quasi in die Wüste gesetzt – denn die Neun-Millionen-Metropole ist von schmutzig-ockergrauen Sandhügeln umgeben.
Gloria Ramos bewirbt sich bei der Stiftung Integrale Entwicklung Neues Pachacñtec um einen Mikrokredit. Eine dreiköpfige Jury hört sich die Kalkulation an. „Gloria hat den Studiengang Verwaltung genauso wie ich an der Arbeitsuniversität abgeschlossen“, flüstert Waldo Zapata. Der junge Mann, 23, arbeitet für die Universidad laboral, die Arbeitsuniversität.
Peru hat rund 29 Millionen Einwohner und ist rund dreimal so groß wie Deutschland. Derzeit studieren rund 810.000 Studenten an den Hochschulen des Landes und rund vier bis fünf Millionen Pennäler durchlaufen Grund- und weiterführende Schulen. Die sind in aller Regel staatlich, doch die Konkurrenz der privaten hat in den letzten Jahren merklich zugenommen. Der Grund ist einfach: die fehlende Qualität des staatlichen Bildungswesens. Vor allem auf dem Land und in den Armutsvierteln der Städte sind die Schwächen besonders groß. Das beginnt mit Einschreibegebühren und den Ausgaben für Schuluniformen. Rund dreißig Prozent der Bevölkerung gilt als arm und die Quote steigt auf dem Land schnell auf sechzig Prozent.
Manchmal führt er Besucher über das sandige Areal im Norden Limas. Ein großes Eingangstor aus grauem Beton markiert den Eingang zur etwas anderen Ausbildungsstätte, einem Centro de Estudio y Desarrollo comunitario, dem Gemeinschaftlichen Studien- und Entwicklungszentrum.
Jugendlichen eine Perspektive bieten
Die Arbeitsuniversität besteht derzeit aus einem Dutzend Pavillons zwischen Sandhügeln und frisch gesetzten Baumreihen. „Das ist Teil eines Aufforstungsprojekts, das auch zur Bildungsinitiative gehört“, erklärt Zapata. „Die Arbeitsuniversität ist darauf ausgerichtet, Jugendlichen aus Pachacñtec und benachbarten Stadtvierteln eine Perspektive aufzuzeigen.
Die Ausbildung hat einen direkten Bezug zum Arbeitsmarkt und gut 93 Prozent unserer Absolventen finden direkt im Anschluss eine Arbeit“, erklärt der junge Mann mit den sorgsam gescheitelten pechschwarzen Haaren und dem Jackett zur Jeans. Er stammt aus dem Viertel, hat hier gelernt zu präsentieren, zu kalkulieren, zu verwalten, und gehört zu den Ersten, die die Arbeitsuniversität abgeschlossen haben.
Initiator der Arbeitsuniversität war der damalige Pfarrer von Pachacñtec, Javier del Río. „Ich habe verfolgt, wie rund 50.000 Menschen die Sandhügel hier in Besitz nahmen. Es war eine dieser Besetzungen, die quasi über Nacht stattfinden“, erinnert sich der 54-Jährige. „Die Menschen waren arm, die Zustände verheerend. Da mussten wir etwas unternehmen. Für die Leute hatte die Ausbildung ihrer Kinder Priorität“, sagt del Río, der heute als Erzbischof in Arequipa arbeitet und nur noch gelegentlich in Pachacñtec vorbeischaut.
Da die katholische Kirche das Projekt nicht alleine stemmen konnte, ging de Río Klinkenputzen. Zum Beispiel bei Repsol YPF, dem führenden Erdölkonzern im spanischsprachigen Raum. Repsol betreibt wenige Kilometer vor Pachacñtec die größte Raffinerie Perus, La Pampilla.
Sprungbrett aus der Armut
„Die brauchen qualifizierten Nachwuchs, wir wollten die Ausbildung auf die Beine stellen. Das war für beide Seiten eine Win-win-Situation und so haben wir begonnen zusammenzuarbeiten“, erklärt der Erzbischof schmunzelnd. Der Kirchenmann konnte die Familie Rizo Patrón überzeugen, dem Projekt den Zement für den Bau der Pavillons zu überlassen. Mehrere Unternehmen wurden als Partner für die Ausbildung gewonnen, um der marginalisierten Jugend Perspektiven aufzuzeigen.
„Zum Elektriker, Raffinerieangestellten, Verwaltungsspezialisten, Frisör, Koch und demnächst auch zum Kellner bilden wir aus“, erklärt Waldo Zapato. Für jeden Ausbildungszweig gibt es einen Sponsor. So werden die Elektriker dank der Hilfe des spanischen Stromkonzerns Endesa ausgebildet und sie werden dank der engen Kooperation mit dem Unternehmen in aller Regel auch direkt vermittelt.
Erzbischof Javier del Río leitet die Stiftung, die das Projekt trägt. „Ziel ist es, der Welt der Armut zu entrinnen“, erklärt sein Mitarbeiter Miguel Irizar ein wenig pathetisch. Die Realität rund um die Universität, zu der auch eine Grundschule und eine weiterführende Schule gehören, gibt ihm Recht. Derzeit sind 1.039 Schüler aller Altersgruppen eingeschrieben, so Schulleiterin Ximena Longono.
Der Traum vom Schönheitssalon
Gut dreihundert dieser Schüler absolvieren ihre Ausbildung von zwei bis drei Jahren in den verschiedenen Ausbildungsgängen. „Bei den Frauen ist der Traum vom eigenen kleinen Schönheitssalon recht ausgeprägt“, erklärt Waldo Zapato, als er die Tür zum Pavillon öffnet, wo mehrere Frauen sitzen und sich geduldig die Haare von den Azubis färben lassen. Insgesamt sind es zwanzig Lehrlinge, die an dem Kurs teilnehmen, der von einer großen Kosmetikfirma mitfinanziert wird.
Doch die Ausbildung an der Arbeitsuniversität ist nicht kostenlos, wie die Leiterin der Kochschule Rocío Heredia erklärt. „Im ersten Jahr haben wir den angehenden Köchen alles finanziert, bis zu den eigenen Messern. Das war ein Grund, weshalb nur neun von zwanzig Schülern den Kurs bis zum Ende absolviert haben. Es war zu leicht“, erklärt die agile Frau. Sie ist der verlängerte Arm des peruanischen Starkochs Gastón Acurio. Der wurde im Jahr 2007 von Javier del Río angesprochen und war sofort Feuer und Flamme für das Projekt, das bereits einen Ableger in Arequipa hat, wo del Río etwas Ähnliches aufbaut.
Der Sinn des Schulgelds
Die Kochschule in Arequipa ist schon eingeweiht worden, denn schließlich lief in Pachacñtec fast alles nach Plan. Im Jahr 2009 wurden die ersten Köche ausgebildet, die heute allesamt in renommierten Restaurants von Lima kochen, und in den Folgejahren waren es jeweils zwanzig Köche und Köchinnen, die den Kurs absolvierten.
Rund einhundert Soles, umgerechnet dreißig Euro, kostet er derzeit pro Monat, allerdings gibt es auch ein Stipendiumprogramm. Die eigentlichen Kosten betragen das Zehnfache, aber die Differenz tragen Stiftung und Sponsoren.
Die Gebühren haben aber, so Rocío Heredia, für mehr Disziplin und Zielstrebigkeit der Schüler gesorgt. Dafür sorgt auch die Konkurrenz, denn für mehr als 200 Bewerber gibt es nur zwanzig Plätze pro Semester. In den anderen Ausbildungssparten ist das ähnlich. Wer die Ausbildung durchhält, hat exzellente Chancen.
Selbstbewusstsein stärken
„Hier hilft man sich gegenseitig“, erklärt Waldo Zapato. Er ist auch Ansprechpartner für Schüler, die Probleme haben. Sei es finanzieller, unterrichtsspezifischer oder psychologischer Natur. „Vor allem am Anfang der Ausbildung ist das Selbstbewusstsein nicht sonderlich ausgeprägt, da brauchen viele Schüler Hilfe.“ Dafür stehen Psychologen, Vertrauenslehrer, aber auch Seelsorger zur Verfügung. Schließlich ist die Arbeitsuniversität eine katholische Einrichtung und folgerichtig steht auch eine Kapelle auf dem Areal.
Vorzüge des Ausbildungsprojekts, welches sich vom staatlichen Angebot stark unterscheidet: Es wird gefördert, nicht auf überholte, pädagogische Konzepte gesetzt. „Das ist ein Kernproblem des peruanischen Bildungssystems, es wird kaum evaluiert, kaum investiert und erneuert“, betont Salomón Lerner, ehemaliger Rektor der katholischen Universität von Lima. „Ich begrüße, dass nun auch Privatunternehmen helfen, der Armut mit Bildung zu begegnen.“
Bildungsinitiativen hat auch die seit Juli 2011 agierende Regierung von Ollanta Humala angekündigt, doch die lassen auf sich warten. Folgerichtig agiert die Arbeitsuniversität bisher vollkommen unabhängig von staatlicher Förderung.
Das gilt auch für das Kreditprogramm der Stiftung, welches Gloria Ramos durchlaufen wird. Die Jury war angetan von ihrer Idee – Buch- und Kopierläden werden gebraucht, wenn man die Armut bekämpfen will.
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