Uraufführung in Wilhelmshaven: Vom Honiglecken an Dornen
Ein Christenkönig liebt eine Jüdin, während doch eigentlich ein Krieg zu führen wäre gegen muslimische Invasoren: Kristo Šagors "Die Jüdin von Toledo".
WILHELMSHAVEN taz | Der König fällt aus der Rolle. Aber komplett. Soll’n doch die anderen in gedrechselten Jamben rhythmisch korrekt einherparlieren! Alfonso VIII von Kastilien hat solche Konventionen nicht nötig: Der rotzt seine von Pietät befreiten Ausbrüche dem Gegenüber ins Gesicht und ins Uraufführungspublikum im großen Saal in Wilhelmshaven, vulgärer als jedes Vulgärlatein je hätte sein können. „Kackenlangweilig“ lautet sein erstes Wort, „Kacken“ ist sein lexikalisches Kronjuwel, ganz wie das von seinem literarisch eng verwandten Amtsbruder König Ubu.
Die Diktion für die Bühnenfigur aber hat der Dramatiker Kristo Šagor eher von Helge Schneider, mit dem der spanische König des 12. Jahrhunderts auch – „schnipp, schnapp, Köpfchen ab“ – den Hang zu Blödelversen teilt. Wer deshalb denkt, er dürfe ihn ankumpeln, irrt: „Ich bin der König, du Arsch“, faucht dann Cino Djavid, Augen blitzen, und fast scheint’s, als führen Krallen aus.
In den kurzen Eruptionen entlädt sich jene ständig lauernde Gewalt der Figur, und Djavids Spiel lässt keinen Zweifel: Dieser Mann da ist und bleibt ein Raubtier, unberechenbar, tyrannisch, gefährlich. Dieser Mann da ist die Hauptfigur, obwohl doch Šagors Drama „Die Jüdin von Toledo“ heißt, so wie schon Lion Feuchtwangers später Roman, aus dem der Plot stammt, und so wie dessen Hauptquellen: Franz Grillparzers Tragödie von 1872, Lope de Vegas höfisches Drama von 1617. Beide hatte Šagor bei der Arbeit aufm Schreibtisch liegen, sagt er, für Notfälle, „falls ich einen Impuls brauche“.
Hat er nicht gebraucht – und ist doch, wie die Vorgänger, zu dem Schluss gekommen, dass die ganze Geschichte vom König handelt. Davon, wie der aus seiner Rolle gefallen ist. Zu der hätte ja noch gehört, dass er sich eine Nebenfrau hält – nicht aber, dass er sich mit ihr Intimität gönnt, also sich der Öffentlichkeit entzieht. Und damit absentiert vom staatlichen Handeln – zu dem selbst sein Sexualleben zählt.
Denn in Toledo, es muss so um 1180 herum gewesen sein, „schloss er sich ein“ mit jener „Jüdin, die den Namen Fermosa“ hatte, und zwar „grã tiempo“, lange Zeit, so schildert die „Estoria de España“ keine 100 Jahre später erstmals die Begebenheit. Sie hat, erzählerisch, die Funktion eines Wendepunktes in dieser Vita des realen Alfonso, der später den Beinamen der Edle erhält, weil sein Sieg von Las Navas 1212 der Anfang vom Ende der maurischen Reiche in Spanien war.
„Und er vergaß seine Gemahlin“, so steht es geschrieben, „und er blieb mit jener eingeschlossen, kaum weniger als sieben Jahre, während derer er sich weder an sein Königreich erinnerte, noch an irgend etwas anderes“. Der Mob der Adeligen hat „jene“ dann umgebracht. Danach war Alfons wieder frei für den Krieg, gegen die Muslime, die das Abendland mit Philosophie, medizinischem Fortschritt und den Schrecken der Algebra zu überfluten drohten.
Der Dramatiker Šagor stammt aus Lübeck, lebt in Berlin und gehört zu den produktivsten und auch meistgespielten Dramatikern der Gegenwart: Als 2009 der Intendant der Norddeutschen Landesbühne, Gerhard Hess, anfragte, den Stoff zu dramatisieren, hat er Feuchtwangers Roman erst skeptisch geprüft: „Erst dacht ich: Wozu das, Henri IV von Heinrich Mann macht doch das Gleiche, nur viel besser“, sagt er. Hat aber gemerkt, dass er sich täuscht: „Es sind viele Lieblingssätze drin.“ Und, „wie er das baut“, sagt Šagor, „das ist schon stark“: den Konflikt um die unmögliche, überkonfessionelle Liebe einbettet in eine Geschichte der Glaubenskriege.
Tatsächlich ist der Stoff, von dem es alte französische und spanische Bearbeitungen in allen Gattungen und in Prosa und in Versen gibt, wieder im Kommen. „Diese Affäre ist die wohl berühmteste mittelalterliche Liebesgeschichte zwischen einem Christen und einer Jüdin“, urteilt der US-Historiker David Nirenberg, der in einer kürzlich vorgelegten Studie der Lope den Namen Raquel gab.
Die Konjunktur des Sujets dürfte auch mit der religionskriegerischen Grundstimmung des beginnenden 21. Jahrhunderts zu tun haben. So gab’s allein in Spanien seit den Anschlägen von Madrid beinahe jährlich neue Bearbeitungen. Die profiliertesten stammen vom katholischen Priester Jesñs Sánches Adalid, und von Abraham S. Marrache, dem Ex-Chef der Marrache Group, Gibraltar, die unter unklaren Umständen im Zuge der Krise pleite ging.
Und auch in Deutschland: Vor Šagor und den Wilhelmshavenern hatte 2010 Rafael Sanchez fürs Düsseldorfer Schauspielhaus Feuchtwangers-Roman eine Bühnenfassung angedeihen lassen. Sie soll eher klamaukig ausgefallen sein.
Das lässt sich von Šagors Drama nicht sagen. Ja, es hat sehr komische Momente, es ist insgesamt kurzweilig. Auch nähert sich Šagor der Vorlage nicht übertrieben respektvoll: Feuchtwanger war’s 1947 im Exil darum gegangen, den durch seine Bearbeiter zur judenfeindlichen Fabel umgedeuteten Stoff philosemitisch zu erneuern und zugleich die Risiken der Assimiliation zu reflektieren: Dafür erfindet er Jehuda, den Vater Raquels, der aus dem maurischen Teil Spaniens an den Hof Alfonsos migriert – um, unerhört, dessen Finanzminister und Geldbeschaffer zu werden und den mosaischen Glauben offen leben zu dürfen. Und halb führt er dem König, den er für zu ungestüm und zu kriegerisch hält, seine Tochter zu – um den Frieden zu stabilisieren. Der den Geschäften nutzt.
Dieses Motiv übernimmt Šagor. Religiöse Differenzen hingegen verlieren bei ihm an Spezifität. Feste und Rituale, für Feuchtwanger zentral – hier spielen sie sich im Hintergrund ab. Aber: Er nimmt seinen Stoff ernst, und auch den Romancier – wenn auch weniger als Historienmaler denn als Schöpfer pointierter Sentenzen: „Ein großes Herz hat viele leere Stellen“, ist ein solcher Feuchtwanger-Satz, oder „Der Hund des Zweifels schläft leise.“
Oder auch „die irdische Liebe ist ein Honiglecken an Dornen“, den Šagor, programmatisch, der Figur der Königin, Doña Leonor, mitgibt als eine Art sprachliches Emblem. Leonor – von Aida-Ira El Eslambouly mit Elan gespielt – lernt diese Lebensweisheit von ihrer eiskalten Mutter Ellinor, Königin von England, die, frisch verwitwet, Spanien besucht, um dort nach dem Rechten zu sehen. Um die Zügel im Sinne ihrer Tochter und der Machtoptionen ihrer Familie wieder anzuziehen – am besten durch Krieg. Sowohl als Konkurrentin ihrer Tochter als auch als Kriegshindernis ist die schöne Raquel – ach was, nicht ihre Feindin, so ernst nimmt sie die nicht. Aber, tja, Anna Rausch, die Hübsche, die steht ihr im Weg.
Feuchtwangers großes geschichtliches Panorama findet nicht statt in Šagors fast lyrischem Dramen-Text, und doch ist es ständig mitgedacht: Regisseur Alexander Schilling hat dafür eine kluge, aber auch irgendwie bösartige Formel gefunden, indem er stets alle Personen zur Präsenz zwingt, auf der Bühne, selbst Julia Blechinger, die jene eisgraue Ellinor spielt, und die mit geradem Rücken und höllischer Disziplin den ganzen ersten Teil des Abends schweigen muss.
Sie ist die einzige, die es vermag, die Bestie Alfons zu lenken, bis er ans Schlagzeug zieht, in den Krieg. Sie ist die einzige, die wie er die Freiheit hat, Prosa zu sprechen, das heißt ihren eigenen Rhythmus, und sie ist auch spielerisch allein in der Lage dem beeindruckenden Cino Djavid Paroli zu bieten: ein mitreißender Zweikampf mit Zuschauern, echtes Drama. Ein gutes Stück Theater.
Nächste Vorstellung: Freitag, 20 Uhr, Neues Theater Emden Alle Termine:
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