Hoffen auf den großen Sprung

SKISPRINGEN Die Frauen wollen mit einer eigenen Weltcupserie endlich ins mediale Rampenlicht hüpfen

AUS BAIERSBRONN FRANK KETTERER

Das medizinische Bulletin nach dem Abschlusstraining fiel nicht wirklich dramatisch aus: ein paar Prellungen, ein paar Schürfwunden, ein blaues Auge sowie eine aufgeplatzte (und später mit vier Stichen genähte) Lippe samt dem Verlust eines Stückchens Zahn, alles hervorgerufen durch vier eher leichte Stürze gleich nach der Landung. Dass es ausschließlich junge Frauen waren, die die Ruhesteinschanze bei Baiersbronn hinuntergesegelt waren, war explizit nicht ursächlich für die Malheurs, eher trug der stumpfe Schnee im Auslauf Schuld daran. Und überhaupt: Stürze gehören zum Skispringen dazu. „Das passiert bei Männern doch auch“, sagt jedenfalls Ulrike Gräßler.

Die junge Frau aus Klingenthal ist das Aushängeschild der Skispringerinnen in Deutschland. Zweite wurde sie vor knapp einem Jahr in Liberec, bei der ersten Teilnahme von Frauen bei einer Skisprung-Weltmeisterschaft. Und natürlich ist sie eine Vorkämpferin, dafür nämlich, dass eine der letzten Männerbastionen in der Welt des Sports endlich und endgültig fällt. Im Sommer hatte die 22-Jährige zusammen mit 14 weiteren Weltklasse-Springerinnen versucht, ihre Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Vancouver einzuklagen. Zwar kam das Oberste Gericht der kanadischen Provinz British Columbia zu der Auffassung, dass der Ausschluss skispringender Frauen von den Spielen diskriminierend sei, kurzfristig ändern konnte es die Ablehnung der alten Männer vom Olymp indes nicht. „Nicht jede Art von Diskriminierung ist ein Verstoß gegen die Charta“, bedauerte die zuständige Richterin. Ulrike Gräßler und ihre Kolleginnen waren von dem Urteil natürlich enttäuscht. Einerseits. Andererseits waren sie klug genug, mit genau diesem Ausgang zu rechnen. „Wir waren darauf eingestellt, dass wir abgelehnt würden“, sagt die Klingenthalerin.

Sinn und Zweck hat die Klage dennoch erfüllt. „Wir haben das Thema damit öffentlich gemacht“, sagt Gräßler. Mit den Folgen geht sie ebenso geduldig wie freundlich um. „Ich habe in diesem Winter schon relativ viele Interviews geben müssen“, erzählt die 22-Jährige. „Die Aufmerksamkeit für uns ist insgesamt gewachsen“, folgert sie daraus. Beim Continentalcup am Wochenende in Baiersbronn standen immerhin knapp 1.000 Zuschauer an der Schanze.

Das ist nicht schlecht, könnte aber auch noch besser werden. Und nur auf die Karte Olympia wollen die springenden Frauen dabei nicht setzen, ausgerechnet ein Mann nennt dafür den Grund. „Olympia würde uns zwar sicher einen Schritt weiter bringen“, sagt Bundestrainer Daniel Vogler. Genau so wichtig aber sei, „dass wir jedes Jahr im Rampenlicht stehen“. Erstrahlen lassen könnte dieses die Einführung einer Weltcupserie für die Frauen. „Wenn der internationale Verband dazu bereit wäre, wäre das Fernsehen auch sofort bereit, Frauen-Skispringen zu übertragen“, glaubt Vogler. Entsprechende Gespräche seien bereits geführt worden, schließlich war die Übertragung der weiblichen WM-Premiere, so sieht es der Bundestrainer, durchaus ein Quotenerfolg.

Zwar wären es dann immer noch die gleichen Frauen wie derzeit in der Continentalcup-Serie, die da von Schanzen springen, für die Zuschauer aber würde das ohnehin kaum eine Rolle spielen. Zumindest bei den Weltbesten ist kaum ein Unterschied zu sehen, ob gerade Männlein oder Weiblein durch die Luft fliegen. „Bei etwas mehr Anlauf können wir die Schanzen genauso gut ausspringen wie die Männer“, sagt Ulrike Gräßler. Bestenfalls was die Masse an Klasse angeht, könnte Nachholbedarf bestehen. Im Continentalcup gehen derzeit auch sehr junge Springerinnen an den Start. Die jüngste Teilnehmerin in Baiersbronn war 13 Jahre alt – eher Kind als Frau.

Vogler ficht das nicht an. Auch bei den Männern seien bisweilen 16-Jährige dabei, entgegnet er. Selbst ein Überflieger wie Gregor Schlierenzauer zähle noch keine 20 Lenze. Dass der Bundestrainer ausgerechnet den Österreicher erwähnt, passt zum Anspruch, den er stellt – und erfüllt: Deutschland verfügt derzeit gleich über drei, vier Siegspringerinnen. „Die Voraussetzungen und die Förderung bei uns sind einfach gut“, nennt Ulrike Gräßler, die neben der Springerei eine Ausbildung bei der Bundespolizei absolviert, den Grund dafür. „Wir haben ein gutes Standing in unserem Verband. Da hat man die Zeichen der Zeit erkannt“, bestätigt Vogler.

Auch im IOC werde es demnächst so weit sein, da ist sich der Bundestrainer sicher: „In vier Jahren, bei den Spielen in Sotschi, können die nicht mehr wegsehen. Diese Entwicklung kann man nicht mehr aufhalten.“