Interview: Elke Franzki über Familienplanung: "Ein Ort gegen Schuldgefühle"
In den 1970er-Jahren setzte sich die Hamburger Frauenärztin Elke Franzki für schonendere Methoden beim Schwangerschaftsabbruch ein.
taz: Das Hamburger Familienplanungszentrum (FPZ) wird 30. Sie waren als Ärztin von Anfang an dabei, sind bis heute im Vorstand. Ihr Name war in der Frauenszene aber schon in den 70ern ein Begriff.
Elke Franzki: Das kann sein. Ich habe bei Gerhard Schulz in Hamburg-Wandsbek gearbeitet, das war jemand, der lange Schwangerschaftsabbrüche in der Praxis gemacht hat und ein angenehmes Wesen hatte. Zu dem gingen Frauen hin, auch aus anderen Stadtteilen.
Was war damals das Problem?
Es war in den 70ern auch hier im Norden schwierig, einen Arzt zu finden, der einen Abbruch vornimmt. Und in den Krankenhäusern ging es teilweise sehr unpersönlich zu. Ich war damals Assistenzärztin in Winsen an der Luhe. Da hat die Oberärztin Frauen immer gleich eine Sterilisation aufdrängen wollen, wenn die schon zwei Kinder hatten und Mitte 30 waren. Nach dem Motto: Wenn Sie dieses Kind nicht wollen, dann kümmern sie sich gleich darum, dass es nicht wieder zu einer Schwangerschaft kommt. Und wenn nicht, können Sie auch dieses Kind behalten.
Das Thema Abtreibung war emotional sehr aufgeladen.
Ja. Es gab Ärzte, die dann doch ihre Überzeugung ziemlich zum Ausdruck gebracht haben.
Und es ging auch um schonendere Methoden?
62, ist Frauenärztin in einer Gemeinschaftspraxis in Hamburg-Altona. In den 1970er-Jahren arbeitete sie bei Pro Familia, später im Familienplanungszentrum (FPZ).
Seit der Eröffnung am 15. Mai 1982 haben nach FPZ-Angaben fast 150.000 Frauen und Männer aus mehr als 80 Herkunftsländern dort Rat gesucht. Die zuletzt 21 festen und freien MitarbeiterInnen führten mehr als 40.000 Beratungsgespräche und führten rund 6.000 Veranstaltungen durch.
Beim Jubiläums-Festakt am vergangenen Freitag sprach unter anderem Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Der Altonaer Bezirksamtsleiter Jürgen Warmke-Rose (parteilos, Christ) schickte seinen Stellvertreter.
Damals wurde in den Krankenhäusern immer mit Vollnarkose gearbeitet und ausgeschabt. Das ist eine belastendere Methode. Wir jungen Ärzte von Pro Familia hatten von den Holländern die Absaugmethode übernommen. Da geht man zwar mit einem löffelförmigen Röhrchen an der Uteruswand längs, aber das ist ein stumpfes Plastikteil, da wird die Schleimhaut nicht verletzt. Das ist schmerzärmer und geht total schnell. Und es ist auch blutverlustärmer, war auf jeden Fall die bessere Methode, als mit einer scharfen Curette die Gebärmutter auszuschaben: Denn dabei dauert es viel länger, bis die Gebärmutter entleert ist. Es schmerzt danach auch länger.
Der Eingriff war also unnötig schwierig?
Ja. Pro Familia hat viel dazu beigetragen, dass sich die neue Methode schnell verbreitete. Mein Kollege Ralph Raben hat sich das damals in Holland zeigen lassen. Und es gab bereits eine Pro-Familia-Stelle in Bremen, die sich an der Methode orientierte, da konnten wir das gut lernen. Holland war bis 1976 sowieso ein Begriff, weil viele dorthin fuhren, um den Eingriff machen zu lassen.
Ab 1976 erlaubte Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs die Abtreibung bei medizinischer, kriminologischer, eugenischer und Notlagenindikation. Wie war bis dahin die Rechtslage?
Es war für Frauen ganz schwierig. Es gab den Abbruch nur bei medizinischen oder kriminologischen Indikationen. Ich war 1974 in Altona in einer Gruppe aktiv, die Frauen Adressen vermittelte und Geld für die Fahrt nach Holland verborgte. Ich hatte Gott sei Dank nie einen Abbruch. Aber es gab Situationen, wo etwas hätte passieren können. Ich hab’s bei Freundinnen miterlebt, und bei Patientinnen sowieso.
Worum ging es Ihnen?
Es lag mir am Herzen, dass das Ganze anders geregelt wird: diese Bevormundung, Schuldgefühlemacherei, Zwangsberatung. Dass man nicht selbst entscheiden konnte, ob man ein Kind bekommt. Dass gesagt wurde: Man kann doch verhüten. Jeder weiß, dass es Situationen gibt, wo Verhütungsmittel versagen oder eben doch die Spontanität mit einem durchgeht. Das Leben ist nicht immer so getaktet, dass man Herr oder Frau seiner Entscheidungen ist. Zu einfach, zu sagen: Sie ist doch selber Schuld, wenn sie schwanger wird.
1982 gab es das liberalere Gesetz schon eine Weile. Warum war das FPZ noch nötig?
Zum Beispiel, weil es immer noch schwierig war, den Abbruch in einer angenehmen Atmosphäre und medizinisch richtig guten Form gemacht zu bekommen. Und es ambulant machen zu lassen. Das Schlagwort war, ein „Ort gegen die Angst schaffen“. Es ging den Gründerinnen auch darum, für alle Aspekte der Familienplanung eine medizinisch gute, respektvolle, akzeptierende und freundliche Beratung zu haben – auch für Familienplanung im Sinne von: Kinder kriegen!
Wichtig war Beratung und Abbruch unter einem Dach.
Ja. Damals mussten Ärzte eine Notlage bescheinigen. Das haben nicht alle gemacht. Und später, als die Fristenlösung kam, brauchten die Frauen den Schein, dass sie beraten wurden. Was ja eigentlich gegen die Grundsätze von Beratung stößt, wenn sie aufgezwungen wird.
Was haben Sie selbst im Hamburger FPZ gemacht?
Ich gehörte nicht zu den Initiatorinnen. Das waren Susanne von Paczinski und Renate Sadrozinski, die ganz viel Vorarbeit geleistet haben. Es gab damals in Hamburg eine liberale Atmosphäre von Seiten der SPD: Auch die Politik war unzufrieden mit der Handhabung des Paragrafen 218. Ich kam damals von der Pro Familia dazu. 1982 erhielt ich eine halbe Stelle beim FPZ und fing an, Schwangerschaftsabbrüche zu machen.
Später hatten Sie eine eigene Praxis.
Ich habe 1983 mein erstes Kind bekommen und dann nach einer Auszeit im Ausland eine Praxis in Ottensen eröffnet. Es ist eine der wenigen, die den Abbruch mit örtlicher Betäubung ohne Vollnarkose durchführt. Was ja auch bedeutet, dass mehr Zuwendung nötig ist. Das war auch im FPZ immer ganz wichtig, dass die Frauen sich da gut aufgehoben fühlen, auch nach dem Abbruch. Die Räume sind schön, es ist allen ein Anliegen, dass man sich wohlfühlt. Ich erlebte immer wieder, dass Frauen es kaum glauben konnten, so akzeptiert zu sein. Keiner machte ihnen Vorwürfe.
Ist Schwangerschaftsabbruch heute immer noch ein Tabuthema?
Ja. Das ist noch so. Die meisten erzählen vielleicht noch der besten Freundin davon, mehr nicht. Das kriegen wir andauernd mit. Wenn Frauen einen Termin zum Abbruch haben und ihre Kinder unterbringen oder dem Arbeitgeber Bescheid sagen müssen, dann fragen sie: Was sag ich? Wie können wir das kaschieren? Sogar mir geht es so. Ich sprach mit meinem Krankengymnasten darüber, dass ich auf eine Jubiläumsfeier gehe. Da habe ich ein bisschen übers FPZ erzählt – und einen Moment gezögert, ob ich sage, dass ich dort Schwangerschaftsabbrüche gemacht habe. Obwohl das ein junger Typ ist.
Ist die Zurückhaltung nicht eine Art Selbstschutz? Weil die Frauen Anfeindungen fürchten?
Es kann sein. Es gibt ja auch Frauen, die verdrängen den Abbruch so, dass sie es gar nicht mehr wissen. Das ist ja auch eine Art Verarbeitung. Oder die lieber die Abtreibungspille nehmen, weil es dann so ist, als ob ihr Körper dass allein macht.
Seit 2005 gibt es im FPZ keine Abbrüche mehr.
Das war eine Entscheidung der CDU: Die hatte keine Lust mehr, dafür zu bezahlen. Die Arbeit, die das FPZ bis dahin gemacht hatte, wurde überhaupt nicht honoriert. Es hieß: Das ist nicht mehr nötig.
Das geschah aber damals komplett geräuschlos.
Wir haben aufgemuckt. Aber es war nichts zu machen.
Seit 2001 war ja die CDU-Schill-Regierung im Rathaus an der Macht und hatte bei vielen Frauenprojekten gekürzt. Standen Ihre Erfahrungen in diesem Kontext?
Ich denke, ja. Die ganze Finanzierung war nicht mehr sicher. Nach dem Motto: Über Verhütung und so können auch die Ärzte in den Praxen beraten. Von Pro Familia gab es lange eine Pille für junge Mädchen auf Sozialrezept. Die wurde auch gestrichen.
Wohin wenden sich die Frauen denn heute? Gibt es genug Ärzte, die sie fair behandeln?
Das gibt es. Die Arbeit des FPZ hat Früchte getragen. Alle saugen ab, mittlerweile. Alle machen es auch ambulant, und viele mit der akzeptierenden Betreuung. Ich denke, die Versorgung ist gut. Wir sind in ruhigem Fahrwasser.
Und was wurde aus dem FPZ?
Die Kolleginnen sind nicht in Depression verfallen, sondern haben geguckt, wie können sie andere Aufgaben weiter ausweiten. Das finde ich ganz toll. Zum Beispiel mit der Sexualaufklärung für Menschen mit Behinderungen. Da haben sie mit dem Projekt „Eigenwillig“ ein Tabu angepackt, und eine Menge entwickelt. Da geht es unter anderem um ganz schlichte Fragen: Wie kann ich denn Küssen?
Ist das FPZ heute in Sicherheit?
Es hat eine wichtige Rolle. Wir erfüllen den gesetzlichen Auftrag der § 219-Beratung. Das FPZ ist in fünf Stadtteilen vertreten und bietet niedrigschwellig Beratung zu Sexualität, Verhütung, Familienplanung, Kinderwunsch, auch zur Pränataldiagnostik. Wir helfen Migrantinnen ohne Papiere, ganz offiziell – die Liste ist lang. Und das FPZ hat eine schöne Website mit 80.000 Anfragen im Jahr. Die wird selbst von Dubai aus aufgerufen.
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