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Die WahrheitDie regierende Giraffe

Ein komisches Foto zu einem komischen Flughafen. Ein Bild muss für sich selbst sprechen. Es gibt nichts Öderes, als einen Witz zu erklären. Allerdings ist Komik auch eine Technik.

Nur die Giraffe bewahrt die Ruhe, sonst gibt es mächtig Wirbel um den Regierenden. Bild: Klaus-Dietmar Gabbert/dapd

Warum ist das Foto, das auf dieser Seite abgebildet ist, eigentlich komisch? „It’s good when you can’t explain a picture, because that means it’s visual“, sagt der große, alte Meister der komischen Fotografie Elliott Erwitt, und Recht hat er:

Ein Bild muss für sich selbst sprechen. Es gibt nichts Öderes, als einen Witz zu erklären. Allerdings ist Komik auch eine Technik, die viel zu selten erklärt wird. Betrachten wir dieses Foto also einmal genauer.

Nur wenige Tage, nachdem bekannt wurde, dass der neue Berliner Großflughafen nicht zum angekündigten Termin seinen Betrieb aufnehmen kann, fand am 12. Mai 2012 auf der Baustelle in Schönefeld ein „Tag der offenen Tür“ statt. Für die Nachrichtenagentur dapd war der freie Bildjournalist Klaus-Dietmar Gabbert unterwegs.

Eines seiner Bilder zeigt den Regierenden Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit, umringt von Besuchern und Journalisten auf dem Flugfeld neben der Werbefigur einer Spielzeugfirma.

Das Motiv steht ganz in der Tradition der Herrschaftsikonografie: Der Führer trifft auf das Volk. So kennt man es zum Beispiel aus der stalinistischen oder nordkoreanischen Propaganda. Und doch gibt es einige kleine, aber wesentliche Unterschiede, deren Geheimnis man mit Hilfe einer klassischen Strukturanalyse lüften kann.

Im Mittelpunkt steht der Regierende, sein Kopf bildet das Zentrum des Bildes. Um ihn herum hat sich ein dynamischer Kreis gebildet, der seine zentrale Rolle noch verstärkt und aus drei Schichten besteht: seine Begleiter, Journalisten und das Volk, dessen Vertreter dem Bürgermeister gegenübersteht und gemeinsam mit ihm eine horizontale Blickachse bildet.

Der Bildaufbau wirkt anfangs sehr traditionell. Wie in der Landschaftsmalerei taucht ein Repoussoir auf, nicht als Zweig mit Blättern, der in den Vordergrund hineinragt, um dem Bild Tiefe zu geben, sondern als Mikrofongalgen in der linken oberen Ecke. Und es gibt einen Horizont, der allerdings eine schiefe Ebene darstellt.

Die von links nach rechts aufsteigende Linie verleiht dem Bild zusätzliche Dynamik und verschiebt die Zentralperspektive. Üblicherweise müsste der Kopf des Herrschers über der Horizontlinie liegen, um seine herausragende Position zu unterstreichen: Die Herrschersonne befindet sich immer im Himmel. Hier aber hat der Betrachter eine kaum wahrnehmbare Aufsicht, so dass er auf den Protagonisten herabschaut.

Es ist alles leicht aus den Fugen geraten bei diesem seltsamen Anlass, wenn ein Flughafen, der nicht eröffnet werden kann, einen Tag der offenen Tür feiert. Und so rückt eine andere Figur ins Zentrum: die das Bild regierende Giraffe.

Leuchtend gelb ragt die Stofffigur aus der dunklen Masse hervor und bildet eine ruhige senkrechte Mittelachse als Gegensatz zu den dynamischen Kreisen, die den Regierenden umringen. Wie erstarrt steht das höchste Tier über dem hohen Tier, als ob es überrascht ist, dass es nicht aus dem Trubel flüchten kann.

Die fast schielenden Kulleraugen und die übergroßen Proportionen lassen die Giraffe sofort komisch wirken. Eine tiefere Komik entsteht jedoch aus dem Kontrast des seriösen Herrschers und der lustigen Figur. Während ausgerechnet der Narr in der Gestalt der Giraffe Ruhe ausstrahlt, gibt es um den Mächtigen herum viel Wirbel.

Die Narrenfigur aber befindet sich mit dem Betrachter auf einer Augenhöhe, sodass beide insgeheim ein Einverständnis entwickeln. Beide, so scheint es, durchschauen das Lächerliche der Situation, dass hier ein Mächtiger, der hoch hinaus wollte, zu scheitern droht. Das ist sowohl ein genaues Abbild der Verhältnisse als auch eine bizarre Verkehrung. Doppelbödiger kann man die absurde Situation kaum ins Bild setzen.

Elliott Erwitt spricht von dem „glücklichen Moment“, den ein Fotograf erkennen muss, wenn er den vollkommenen Schnappschuss erreichen will. Das geht nur, wenn er die Pointe vorausahnt. Klaus-Dietmar Grabbert hat bei diesem Foto solch einen Augenblick erlebt. Er hat einen klassischen Bildaufbau kaum merklich modifiziert und eine überraschende Pointe gesetzt. Sein Foto ist ein Meisterwerk der intuitiven Komposition.

Und wie es einem Meisterwerk gebührt, sollte das Foto der regierenden Giraffe entsprechend gewürdigt werden. Immer im Januar findet in Berlin die vom Bundesverband der deutschen Zeitungsverleger und der Landesvertretung Rheinland-Pfalz ausgerichtete „Rückblende“ statt, bei der die besten Karikaturen und Fotografien des Jahres ausgezeichnet werden. Ein Sieger im Wettbewerb steht schon jetzt fest.

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2 Kommentare

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  • M
    Magnetbirne

    Tolles Bild und tolle Lobhudelei! Und die Fotografenkollegen sind auch schon neidisch :-)

    Ich freue mich sehr für den Fotografen.

     

    Beste Grüße

  • TG
    Thomas Gehrke

    Na, nun mal nix übertreiben, guter Mann. Zweifellos, das Foto ist genial getroffen und absolut des Lobes wert, aber wer selbst seit vielen Jahren fotografiert weiß, wem er seine besten Fotos zu verdanken hat: Dem Zufall. Denn dieses Foto ist, wie jeder Profi sehen kann, 'blind' geschossen. Nach dem Prinzip Hoffnung. Also mit weit geöffnetem Weitwinkel und mit ausgestrecktem Arm einfach mal hinhalten. Da ist nix mit zielen durch den Sucher und mit Absicht. Der Schuß war Glücksache. Also mal halblang. Um es noch einmal zu sagen: das Foto ist genial und des Lobes wert - aber mal bitteschön immer hübsch auf dem Boden bleiben...